Ach, Europa Stark im Netz

  • von Tilman Müller
Oft wird über die lebensferne Regelungswut der Eurokraten geschimpft. Nicht immer zu recht. Vor allem mit seinen Online-Netzwerken präsentiert sich Brüssel inzwischen als bürgernaher Ratgeber.

Fast jeder, dem ich davon erzählte, war total überrascht und wollte kaum glauben, dass es in Brüssel eine Internet-Seite gibt, die europaweit mehr als eine Million Jobs anbietet. Manche waren lediglich durch eine kleine Demonstration zu überzeugen: Das Wort "Eures" googeln, und schon taucht das "Europäische Portal zur beruflichen Mobilität" auf. Mit erstaunlichen Zahlen: Genau eine Million und 271838 freie Stellen werden dort im Moment offeriert, und das in 31 europäischen Ländern.

Und weil Europa nun mal Europa ist, läuft das Eures-Programm in zwei Dutzend Sprachen. Da kann der Bulgare auf bulgarisch herausfinden, ob in irischen Küchen Aushilfskräfte gebraucht werden und unter welchen Voraussetzungen er dort welchen Stundenlohn bekommt. Esten erfahren auf estnisch, ob sie an der Costa Brava einen Hotel-Job landen können, und Portugiesen können sich auf portugiesisch schlau machen, ob es irgendwo am Polarkreis eine außergewöhnlich gut bezahlte Arbeit gibt.

Ja, Europa ist groß, deshalb sind auf den Eures-Seiten auch unendlich viele Daten über Arbeitergeber wie Jobsucher zu finden. "Manchmal", gibt Eures-Manager Jimmy Jammar offen zu, "war unsere Website schon so überlastet, dass das gesamte System abstürzte." Wie wichtig diese Netzaktivitäten für Europa sind, zeigen soeben veröffentlichte Zahlen von Eurostat, dem statistischen Amt der EU (epp.eurostat.ec.europa.eu). Danach entstehen in den Jahren 2007 und 2008 aufgrund des florierenden Wirtschaftswachstums unionsweit etwa 5,5 Millionen offene Stellen. Überall mangelt es an Arbeitskräften. Vermittlungsaktionen wie die von Eures sind dringend notwendig.

Noch immer steckt das alte Vorurteil in vielen Köpfen, die Brüsseler Bürokraten dächten sich nur unsinnige Verordnungen und lebensferne Richtlinien aus. Beispiele dafür mag es auch noch heute geben, doch es ist unübersehbar, dass die Kommission inzwischen in vielen Bereichen moderne Steuerungsmechanismen in Gang gesetzt hat, die für die Menschen zwischen Rom, Rostock und Riga wirklich von Nutzen sind.

Die Senkung der Roaming-Gebühren fand zuletzt Beifall in allen 27 Mitgliedsstaaten. Und besonders stark in punkto Bürgernähe ist die Kommission vor allem im Netz. Paradebeispiel ist "Solvit", eine Website über welche jedermann praktische Probleme per Mausklick lösen kann, die im Zusammenhang mit Grenzüberschreitungen innerhalb Europas entstehen.

Online-Netzwerk hilft Österreichs Käse

Das 2002 in Betrieb genommene Online-Netzwerk (ec.europa.eu/solvit) bearbeitet Beschwerden und Probleme von Bürgern wie Unternehmen, kostenlos und in der Regel binnen zehn Wochen. Ein kurzer Blick auf die Website genügt, um die Dimensionen dieses Problemlösungs-Diensts zu erkennen. Da durfte etwa in Frankreich ein bestimmter österreichischer Käse nicht verkauft werden - Solvit nahm sich der Sache an, und zwölf Wochen später gewährten die Franzosen dem österreichischen Hersteller uneingeschränkten Marktzugang. Ein Tscheche konnte sich nach vierwöchiger Solvit-Intervention in Deutschland als Bauhandwerker niederlassen. Auch bei privaten Problemen, die innerhalb der EU etwa beim Wohnungsumzug, beim Berufeinstieg oder einer Scheidung auftauchen, bietet das Netzwerk Lösungsvorschläge an.

Längst haben unzählige User eine ".eu"-Adresse; sie wurde im vergangenen Jahr ins Leben gerufen. Websites wie "EurActiv" oder "euobserver" bringen täglich aktuelle Nachrichten zu nahezu allen Belangen Europas. Das Portal der Europäischen Union (www.europa.eu/index_de.htm) bietet schier unendlichen Lesestoff. Nächstes Jahr wird die "Europäische Digital-Bibliothek" eingerichtet sein, die Zugang zu zwei Millionen Bücher und Filmen bietet – sechs Millionen werden es bereits 2010 sein.

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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Nur eines fehlt noch immer: eine europäische Suchmaschine. Um das großspurig von Frankreichs Ex-Präsident Jacques Chirac angekündigte Projekt "Quaero" - lateinisch für "ich suche" – ist es ruhig geworden. Doch ins europäische Abenteuer kann man sich ja auch über Google stürzen. Wer dort "Europa" eingibt, findet derzeit immerhin 440 Millionen Einträge.