Der emeritierte Papst Benedikt XVI. hat sämtliche Vorwürfe aus dem Münchner Missbrauchsskandal zurückgewiesen. "In keinem der Fälle, die das Gutachten untersucht, hatte Joseph Ratzinger Kenntnis von Taten oder vom Tatverdacht sexuellen Missbrauchs der Priester – das Gutachten präsentiert keine Beweise dafür, dass es sich anders verhält", hieß es in einer am Dienstag vom Vatikan veröffentlichten Erklärung seiner persönlichen juristischen Berater.
In einem parallel veröffentlichten persönlichen Schreiben äußerte Benedikt zugleich Betroffenheit. Er könne "nur noch einmal meine tiefe Scham, meinen großen Schmerz und meine aufrichtige Bitte um Entschuldigung gegenüber allen Opfern sexuellen Missbrauchs zum Ausdruck bringen". Er habe in der katholischen Kirche "große Verantwortung" getragen. Umso größer sei sein "Schmerz über die Vergehen und Fehler", die während seiner Amtszeiten geschehen seien.
Auch nach der neuen Erklärung des emeritierten Papstes Benedikt XVI. zum Münchner Missbrauchsgutachten reißt die Debatte um die Bewertung seiner Rolle nicht ab. Die Reaktionen auf die lange erwartete Stellungnahme reichten von Wut und enttäuschter Kritik bis hin zu "menschlich und geistlich tief bewegend".
Benedikt XVI. weist Vertuschungsversuche zurück
Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) nannte die Entschuldigung Benedikts unzureichend. Er bleibe "relativ allgemein", sagte die Präsidentin des ZdK den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Bei seinem Schuldbekenntnis gehe sein Blick nicht zu den Brüdern und Schwestern und den Betroffenen. "Die Empathie gegenüber den Betroffenen fehlt." Deshalb überzeuge die zweite Reaktion von Papst Benedikt "leider nicht", sagte die Präsidentin der Laienvertretung.
Benedikt, der frühere Kardinal Joseph Ratzinger, steht seit Wochen heftig in der Kritik, weil ihm ein Gutachten zu Missbrauchsfällen im Erzbistum München und Freising Fehlverhalten in vier Fällen vorwirft. Am Dienstag reagierte er mit einer Stellungnahme. Der emeritierte Papst bat darin Opfer sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche zwar ganz generell – wie auch schon in der Vergangenheit – um Verzeihung. Konkrete Vertuschungsvorwürfe gegen sich aber weist er entschieden zurück. Sein Anwalt erhebt schwere Vorwürfe gegen das Münchner Gutachten.
Ringen um die Würde
Mehrere Kommunen in der bayerischen Heimat, in denen der emeritierte Papst die Ehrenbürgerschaft hat, ringen nun um den Umgang mit der Würdigungskultur. Man werde sich intensiv mit dem Gutachten und den Aussagen des früheren Erzbischofs von München und Freising auseinandersetzen, hieß es im Landkreis Traunstein und in Freising.
Die neue Äußerung Benedikts ändere die ungewöhnlich schwer zu beurteilende Situation nicht, sagte eine Sprecherin der Stadt Freising, wo Ratzinger studiert und kurzzeitig gelehrt hatte. Man werde sich Zeit nehmen, um die komplexe Thematik zu erfassen, zu bewerten und diskutieren zu können. Im Landkreis Traunstein soll eine Kommission eingesetzt werden, um Vorwürfe und Verantwortlichkeiten einzuordnen, erklärte das Landratsamt – es residiert am Papst-Benedikt-XVI-Platz. In Traunstein, Tittmoning und Surberg ist Benedikt Ehrenbürger. Er lebte mit seiner Familie zeitweise in Tittmoning und Teile seiner Jugend in Traunstein.
Anders als die zuvor veröffentlichte knappe Stellungnahme zum Gutachten trage diese nun die Handschrift des emeritierten Papstes, sagte Pater Hans Zollner, Mitglied der Päpstlichen Kommission für den Schutz von Minderjährigen. Der Brief spiegele Benedikts Umgang mit dem Thema Missbrauch wider. Denn er bedanke sich zunächst bei seinen Freunden – erst dann seien die Betroffenen an der Reihe. Er stelle seine Erklärung in einen großen theologischen Rahmen, ohne auf Details einzugehen.

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Geteilte Meinungen über Benedikts Äußerungen
Die Betroffeneninitiative "Eckiger Tisch" zeigte sich wütend: "Für Betroffene sind diese Art von "Entschuldigungen" wirklich schwer erträglich", hieß es in einer Mitteilung. ""Schmerz und Scham" – Betroffene können es nicht mehr hören."
In einer knappen Stellungnahme begrüßte der Münchner Erzbischof Kardinal Reinhard Marx zwar, dass sein "Vor-Vorgänger" sich äußere – stellte sich aber gleichzeitig hinter die von ihm beauftragten Gutachter und betonte, er nehme die Studie "sehr ernst".
Der Kirchenrechtler Thomas Schüller nennt Benedikts Erklärung unzureichend. "Was fehlt aber? Dass er sagt: 'Ich entschuldige mich und ich übernehme Verantwortung für die schlimmen Fehler, die in Sachen Umgang mit sexuellem Missbrauch in meiner Zeit als Erzbischof von München-Freising gemacht wurden.'"
Der Theologe, Psychiater und Bestsellerautor Manfred Lütz nannte hingegen die – aus seiner Sicht etwas spät abgegebene – Erklärung einen "Befreiungsschlag". Benedikt übernehme ohne Wenn und Aber die sozusagen politische Verantwortung für das, was in seiner Zeit als Erzbischof von München und Freising dort an Schrecklichem geschah.
Für den theologischen Leiter des Benedikt-Geburtshauses in Marktl am Inn, Franz Haringer, ist die Äußerung "menschlich und geistlich tief bewegend". Ratzinger habe "Gewissenserforschung betrieben". "Dieselbe Haltung wünsche ich mir von manchen, die in den letzten Tagen harsche und vorschnelle Urteile über ihn gefällt haben."