Ali Yildirim spricht über Rassismus, weil er die Folgen kennt. An Schulen berichtet er vom 19. Februar 2020, als ein Rassist in Hanau neun Menschen erschoss. Darunter Ferhat Unvar, ein Kindheitsfreund von Yildirim, "ein Bruder". Nach dem Attentat schob Yildirim, 28, sein Masterstudium auf, kündigte den Nebenjob. Er fühlte sich wie gelähmt vor Wut.
Er spürte Wut auf die Polizei, deren Notruf in der Tatnacht nicht erreichbar war. Wut auf den Vater des Täters, der das Gedenken an die Opfer "Volksverhetzung" nannte. Wut auf die Behörden, die ihm zu langsam aufklärten. Yildirim wusste nicht, wohin mit all seiner Wut. "Ich dachte, das Einzige, was helfen würde, wäre, wenn ich mich auf einer Demo mit Skinheads schlage."

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Aufklärung statt Gewalt
Es kam anders, Yildirim prügelte sich mit niemandem. Er ging zum Grab seines Freundes und traf dort dessen Mutter. Serpil Temiz-Unvar sagte, sie müssten die Wut nutzen, um etwas zu bewegen. Am 14. November, als Ferhat 24 Jahre alt geworden wäre, gründeten die beiden die "Bildungsinitiative Ferhat Unvar". Das Ziel: den Rassismus an Schulen bekämpfen.
Weitere Freunde von Unvar, alle unter 30, schlossen sich der Initiative an. Sie fuhren nach Frankfurt, um sich an der Bildungsstätte Anne Frank zu Demokratietrainern ausbilden zu lassen. Seit einem Jahr ziehen Ali Yildirim und die anderen nun von einer Schule zur nächsten. Sie erzählen, was Rassismus bedeutet, wann Sprache verletzen und wie Solidarität gelingen kann. "Bildung muss die Antwort auf Hass sein", sagt Yildirim.
"Ein Ventil für die Wut"
Vor der Bundestagswahl veröffentlichte die Initiative Videos, in denen Freunde von Unvar aufriefen, wählen zu gehen. Yildirim und die anderen sind enttäuscht, wie wenig sich nach der Tat von Hanau politisch geändert hat, aber sie wollen sich nicht abwenden, sondern einmischen. Monatelang haben sie leerstehende Räume in der Hanauer Innenstadt renoviert, 700 Meter von einem der Tatorte entfernt. Zum Geburtstag von Ferhat Unvar wurden die Räume nun im November eröffnet. Eine Anlaufstelle für Schüler, aber auch Eltern und Lehrer sollen dort zum Umgang mit Rassismus beraten werden.
Seit einem Jahr stellt Yildirim für die Initiative alles hinten an, das Studium und der Nebenjob ruhen noch immer. Die Arbeit als Projektkoordinator ist eine Vollzeitaufgabe, bislang unbezahlt, bald soll sich das ändern, Yildirim eine Teilzeitstelle bekommen. Darum aber geht es ihm nicht. Die Workshops mit den Schülern machten ihm Hoffnung. Die Initiative sei "ein Ventil für die Wut, eine Form, den 19. Februar zu verarbeiten", sagt Yildirim. Auf Facebook veröffentliche Ferhat Unvar früher Zitate, oft Schnipsel aus Rapsongs. Einmal schrieb er: „Tot sind wir erst, wenn wir vergessen werden.“ Ali Yildirim will das verhindern.