Peter Ostendorf war noch Chefarzt, als er seine Patienten vor dem Ruhestand warnte. Man lebt gesünder, sagte er, wenn man im Alter nicht anhält, sondern sich einer Sache verschreibt, die einen antreibt. Ostendorf hat seinen Rat selbst befolgt, nachdem er in Rente ging. 2014 eröffnete er eine Praxis in Hamburg, in der er Menschen behandelt, die nicht krankenversichert sind. Damals noch in drei Zimmern. Mittlerweile belegt seine "Praxis ohne Grenzen" zwei Etagen eines ehemaligen Jobcenters.
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Dort betreibt Ostendorf eine kostenlose Poliklinik für unversicherte Menschen. 55 Mediziner im Ruhestand hat er dafür um sich geschart, dazu 20 Krankenschwestern, Dolmetscher, Sozialarbeiter. Alle arbeiten ehrenamtlich, um diejenigen zu behandeln, die sonst nicht versorgt werden. In Ostendorfs Praxis kommen im Jahr rund 6000 unversicherte Patienten, Erwachsene und Kinder, Migranten ohne Papiere, abgelehnte Asylbewerber, aber auch deutsche Selbstständige, die ihre Privatversicherung gekündigt haben, als sie pleitegingen.
Gleicher Standard wie für Kassenpatienten
"Bei mir gibt es keine arme Medizin für arme Leute", sagt Ostendorf. "Alles muss den Standard haben, den der Kassenpatient bekommt." Ostendorf lässt auch aufwendige Operationen durchführen. Die Patienten kostet das nichts, die Praxis finanziert sich über Spenden. Im Jahr braucht Ostendorf eine Viertelmillion Euro, um Miete, Medikamente und Eingriffe zu bezahlen.
Mittwochs ist Sprechstunde, dann behandelt Ostendorf selbst. In der Praxis könne er so arbeiten, wie er sich das immer gewünscht habe, genug Zeit, nicht der Druck, an den Patienten zu verdienen. Trotzdem hofft Ostendorf, dass er bald zumindest keine Kinder mehr behandeln muss. Damit nicht genug, seit Kurzem ist Ostendorf auch Aktivist. Er setzt sich dafür ein, dass jedes Kind in Deutschland krankenversichert wird, gibt Gutachten und Studien zur Zahl unversicherter Kinder in Auftrag, lobbyiert bei den Parteien in Berlin. Man darf nicht stehen bleiben, sagt der Chefarzt im Ruhestand.