Erinnern Sie sich, wann Sie in den vergangenen zwei Jahren das letzte Mal bewusst etwas von unserem Bundespräsidenten mitbekommen haben? Da war nicht viel, richtig – und das ist ja gar nichts Schlechtes. Ein Bundespräsident soll weise im Hintergrund unterstützen, repräsentieren, Hände schütteln und Auszeichnungen verleihen. Und bitte den Populismus den Parteivertretern überlassen. Das hat Frank-Walter Steinmeier eigentlich immer angenehm gelassen getan. Bis jetzt. Mit seiner Forderung nach der Einführung eines sozialen Pflichtdienstes für junge Menschen hat der SPD-Politiker eine Diskussion losgetreten, die ihm nicht gefallen kann.
Dabei handelt es sich um einen Vorschlag, der ja in der Vergangenheit – mindestens seit Aussetzen der Wehrpflicht – immer mal wieder aufkam. In der Regel allerdings dann, wenn es gerade wenig andere politische Probleme gab. Ein typisches Sommerlochthema, mit dem man recht sicher ein paar unentschlossene Wähler aus der Ü40-Gruppe auf seine Seite ziehen konnte, deren eigene Jugend lange genug her war, so dass ihnen die jungen Menschen ausreichend hedonistisch und egoistisch vorkamen. Denen ein bisschen soziales Gewissen einbläuen, sie mal "richtig" arbeiten lassen (für richtig wenig Geld), mal zeigen, dass das Leben nicht nur Spaß macht? Klingt doch gut?
Steinmeier will die jungen Menschen mal aufs "echte Leben" vorbereiten
Ist aber nicht gut. Aus mehreren Gründen. Einer der wichtigsten ist: Bei einem sozialen Pflichtdienst ist davon auszugehen, dass sich die jungen Menschen um andere Menschen kümmern müssen – seien es Kinder, Senioren, Kranke oder Menschen mit Behinderungen – und niemand aus einer dieser Gruppen wünscht sich die Betreuung durch eine ungelernte Kraft, die womöglich auch einfach keinerlei Lust oder echte Motivation für diese Aufgabe verspürt. Unter diesen Umständen ist zudem auch nicht davon auszugehen, dass ein 18-Jähriger, der zu einem solchen Job "verdonnert" wurde, diesen Job wirklich gut macht.
Wer Betreuung, Pflege oder Alltagsunterstützung braucht, möchte in der Regel, dass das jemand erledigt, der dafür professionell ausgebildet wurde und diese Aufgabe deshalb übernimmt, weil sie ihm liegt und er echtes Interesse an sozialem Engagement hat. Niemand, der sowieso in einer vulnerablen Situation ist und Hilfe benötigt, möchte unfreiwillig zum Sozialkunde-Lehrer, Mentor oder schlicht Versuchskaninchen eines unwilligen Jugendlichen werden.
Haben die Jugendlichen nicht genug Rücksicht genommen?
Und dann irritiert der Zeitpunkt von Steinmeiers Vorschlag doch sehr. Wieso hat jemand ausgerechnet jetzt das Gefühl, die Jugend von heute wäre nicht sozial engagiert genug? Kaum jemand musste während der vergangenen zwei Jahre mehr zurückstecken als die jungen Menschen – und sie haben es vorbildlich getan. Keine Partys, keine Geburstagsfeiern, keine Treffen mit Freunden. Wechselunterricht in eiskalten Klassenzimmern oder Online-Unterricht in einem Land, in dem das Internet immer noch als Spielerei betrachtet wird. Während manch Erwachsene das Tragen einer Maske im Supermarkt als persönlichen Weltuntergang inszenierten, kamen von jungen Menschen während der Pandemie kaum Klagen über all ihre (echten) Opfer.
Und auch darüber hinaus: Wer glaubt, jungen Leuten läge soziale Gerechtigkeit nicht am Herzen, hat wohl noch nie eine "Fridays For Future"-Demo gesehen. Ach so, aber ja ... das hat ja nichts mit "sozial" zu tun, oder, das sind doch diese "Klimaspinner"? Wenn Sie so denken, überlegen Sie mal, wie sozial es ist, der nächsten Generation eine Welt zu hinterlassen, auf der das Leben durch die Klimakatastrophe zu einem bloßen Überleben werden könnte. Bei wem liegt hier also mangelndes Sozialgefühl vor? Und auch darüber hinaus engagieren sich junge Leute heute wie selbstverständlich sozial – aber eben nicht so, wie viele Vertreter der älteren Generationen es gern hätten. Junge Leute gendern etwa, nicht weil sie müssen, sondern aus Respekt. Sie urteilen nicht über die sexuelle Orientierung, das Aussehen oder die Geschlechtsidentität anderer – sehr wohl aber über Intoleranz und Rücksichtslosigkeit.
"Gutes" und "schlechtes" soziales Engagement
Außerdem: Wer sich in der Vergangenheit berufen fühlte, sich sozial, ökologisch oder kulturell zu engagieren, konnte das mit einem entsprechenden freiwilligen Jahr bereits tun. Hier die Angebote auszubauen wäre sicher eine gute Idee. Auch eine bessere Vergütung würde sicher vielen Jugendlichen die Entscheidung leichter machen – denn nicht jeder hat wohlhabende Eltern, die den Nachwuchs nicht nur finanziell durch Ausbildung oder Studium bringen, sondern auch noch ein zusätzliches Jahr Kost, Logis und Unterhalt wuppen können. Mit solchen freiwilligen Angeboten lockt man jedenfalls Jugendliche, die tatsächlich Lust auf ein solches Engagement haben. Und die entscheiden sich im Anschluss dann womöglich auch tatsächlich für einen Beruf im sozialen Sektor.

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Ehrenamtlich auf dem Bike, vor Gericht und im Urlaub

Das Ehrenamt für Biker: Motorrad fahren für die gute Sache beim Deutschen Roten Kreuz. So wie Henry Markowski. Neben seinem Vollzeitjob engagiert sich der begeisterte Biker bei der DRK-Zweiradstaffel und absolviert dort gerade die Ausbildung zum Rettungssanitäter.
Wer also von seinem eigenen Zweirad auf eine der speziell ausgerüsteten BMW umsteigen und zudem noch eine fundierte Sanitätsausbildung genießen möchte - hier ist die Gelegenheit. Die ehrenamtlichen DRK-Biker werden als sogenannte First Responder eingesetzt, die noch vor den eigentlichen Rettungskräften eintreffen und die Erstversorgung sicherstellen. Die Motorradstaffeln sind vergleichsweise dünn gesät. In Hamburg und Gelsenkirchen, Herten bei Recklinghausen gibt es Kradstaffeln sowie in Augsburg-Land, Rodgau, Contwig bei Saarbrücken oder Borken (NRW).
Womit wir zum vielleicht wichtigsten Punkt kommen: Berufe im sozialen Sektor. Wo fängt man da überhaupt an? Die Jobs, zu denen junge Menschen verdonnert werden sollen, sind sicher wichtige Aufgaben, für die Personal gebraucht wird. Ausgebildetes Personal. Und ja, sicher gibt es im gesamten sozialen Bereich einen enormen Fachkräftemangel – der sich aber schnell beheben ließe, wenn sich endlich Menschen in entsprechenden Positionen für massiv bessere Bezahlung und nicht-aushebelbare Arbeitszeitregelungen und Personalschlüssel einsetzen würden. Nirgends wird so rigoros und skrupellos gespart wie in Krankenhäusern, Kindergärten und Pflegeheimen. Können wir das als Gesellschaft wirklich hinnehmen? Bloß mit den Achseln zucken und resigniert etwas von "sozialer Marktwirtschaft" brummen? Sind dann nicht vielmehr wir alle diejenigen, die mal einen Crashkurs in Sachen soziales Gewissen bräuchten?
So oder so: Die jungen Menschen sind es nicht. Die tun genug. Lasst sie in Ruhe.