Stimmt es, dass es seit Beginn der Corona-Pandemie mehr Fälle von häuslicher Gewalt gibt?
Ja. Laut Bundeskriminalamt (BKA) wurden 2020 146.655 Fälle von Gewalt in Partnerschaften angezeigt, 4,9 Prozent mehr als 2019. Beim bundesweiten Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" gingen 2020 15 Prozent mehr Anrufe ein, insgesamt 51.400. Das Dunkelfeld unentdeckter Taten dürfte laut BKA größer geworden sein als vor der Pandemie.
Vier von fünf Opfern von Gewalt in Beziehungen waren Frauen (80,5 Prozent) und 19,5 Prozent Männer. Das BKA betont die "zunehmende Bedeutung des Gesamtphänomens". Die statistisch erfassten 148.031 Opfer häuslicher Gewalt erlitten am häufigsten eine vorsätzliche einfache Körperverletzung (91.212), gefolgt von Bedrohung, Stalking und Nötigung (33.022) und gefährlicher, schwerer Körperverletzung oder mit Todesfolge (insgesamt 18.097).
Bei einem vollendeten Mord oder Totschlag verloren 158 Menschen ihr Leben, davon 132 Frauen und 26 Männer: "Hinzu kommen sieben Fälle von Körperverletzung mit Todesfolge durch Partnerschaftsgewalt bei Frauen und vier Fälle bei Männern. Damit sind 139 Frauen und 30 Männer Opfer von Partnerschaftsgewalt mit tödlichem Ausgang geworden", so das BKA.
Studie: Opferrisiko in Quarantäne besonders hoch
Sexuelle, Übergriffe, sexuelle Nötigung und Vergewaltigung erlitten 3.389 Menschen, und 1.759 Opfer wurden ihrer Freiheit beraubt.
Zwar hat das BKA "keinen deutlichen Anstieg von Fällen während der Lockdowns" registriert, erklärt sich das aber mit dem "Anzeigeverhalten von Opfern und die Entdeckungsmöglichkeiten durch Dritte". Sprich: Die Täter und Opfer waren im Home Office oder während Kurzarbeit länger als sonst unter einem Dach. Und Opfer hatten weniger Gelegenheiten, unbemerkt um Hilfe zu bitten.

Experten hatten schon früh einen Anstieg häuslicher Gewalt während der Corona-Maßnahmen erwartet. Zu Recht. Das BKA zitiert dazu Untersuchungen im Dunkelfeld der Technischen Universität München und des RWI-Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung. 3,1 Prozent der Befragten berichteten von körperlichen Auseinandersetzungen und 3,8 Prozent von Bedrohungssituationen: "Das Opferrisiko war dabei besonders hoch, wenn sich die Befragten zu Hause in Quarantäne befunden hatten, einer der Partner infolge der Pandemielage in Kurzarbeit oder arbeitslos war oder einer der Partner Angst oder Depressionen hatte." Das Familienministerium, das Innenministerium und das Bundeskriminalamt planen eine Dunkelfeldstudie, die einen besseren Überblick über die Gewalt in Beziehungen liefern soll.

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Das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" (gebührenfreie Nummer 08000 116 016 und online) unterstützt Betroffene aller Nationalitäten, mit und ohne Behinderung an 365 Tagen im Jahr, rund um die Uhr. Auch Angehörige, Freundinnen und Freunde sowie Fachkräfte können sich dort anonym melden.

Stimmt es eigentlich, dass ...
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Quellen: BKA-Studie zur Partnerschaftsgewalt (Berichtsjahr 2020) (PDF-Download) /