Den Friedensnobelpreis 2006 erhält ein Armenprojekt in Bangladesch. Völlig überraschend wurden der Ökonom Mohammad Yunus und die Grameen-Bank für ihre Bemühungen um eine wirtschaftliche und soziale Entwicklung der ärmsten Menschen in Bangladesch ausgezeichnet, wie das Nobelpreis-Komitee in Oslo mitteilte.
"Ich bin so dankbar"
Nach der Vergabe des Friedensnobelpreises in Bangladesch sind rund um die Bankzentrale in der Hauptstadt Dhaka etliche Menschen zu einem spontanen Fest zusammengekommen. Augenzeugen sagten, es habe rund 30 Minuten gedauert, Yunus durch die Menge hindurch in die Bank zu bringen. "Der ganze Platz ist voll mit Menschen."
Yunus äußerte sich begeistert über die Auszeichnung an. Dem norwegischen Fernsehsender NRK sagte er völlig überwältigt am Telefon in der Hauptstadt von Bangladesch, Dhaka: "Ich kann es nicht glauben. Ich kann es einfach nicht glauben. Jeder sagt mir, dass ich den Friedensnobelpreis bekommen habe. Aber ich kann es nicht glauben. Ich bin so dankbar. Das ist eine fantastische Nachricht nicht nur für mich, sondern für alle Menschen überall auf der Welt, die Kleinstkredite bekommen haben.
Die Auszeichnung wird unserer Bewegung und der Bekämpfung der Armut auf der ganzen Welt neue Impulse geben. Der Nobelpreis ist doch der ultimative Preis. Das große Los! Einfach fantastisch für uns, die Grameen Bank, für Bangladesch und für arme Menschen überall auf der Welt." Auf die Frage eines Reporters, ob er nicht eher den Wirtschaftsnobelpreis hätte bekommen müssen, sagte der Ex-Professor: "Frieden und Wirtschaft hängen zusammen. Wenn es Armut gibt, gibt es keinen Frieden."
Yunus hat die Grameen-Bank gegründet, um den Armen in den ländlichen Gebieten Bangladeschs Kredite zu verschaffen und damit ihre Abhängigkeit von konventionellen Kreditgebern zu verringern. Damit sollte vor allem Frauen die Basis gegeben werden, als eigenständige Bäuerinnen der notorischen Arbeitslosigkeit zu entgehen und ihre Familien abzusichern. "Über Kulturen und Zivilisationen hinweg haben Yunus und die Grameen-Bank gezeigt, dass selbst die ärmsten der Armen etwas dafür tun können voranzukommen", teilte das Komitee mit. "Ein echter Frieden kann nicht erreicht werden, ohne dass große Teile einer Bevölkerung Wege aus der Armut finden."
Stichwort Bangladesh
Mit rund 144 Millionen Einwohnern ist Bangladesch das siebtbevölkerungsreichste Land der Erde. Das Land ist aber nur doppelt so groß wie Bayern und deshalb mit einer Bevölkerungsdichte von mehr als 1000 Menschen je Quadratkilometer der am dichtesten besiedelte Flächenstaat der Welt. Bangladesch bildete bis 1947 einen Teil Britisch-Indiens. Nach der Teilung des Landes in einen mehrheitlich hinduistischen, säkularen Staat (Indien) und einen muslimischen Staat (Pakistan) wurde das ebenfalls überwiegend islamische Ost-Bengalen Pakistan zugeschlagen. 1971 erlangte Ost-Pakistan schließlich auch völkerrechtlich die Unabhängigkeit, und gab sich den Namen Bangladesch.
Armut und Korruption
Bangladesh gehört zu den ärmsten Staaten der Welt. 40 Prozent der Bevölkerung lebt unterhalb des Existenzminimums. Zwei Drittel der Bevölkerung arbeiten in der Landwirtschaft, vor allem im Reisanbau. Noch immer ist Kinderarbeit weit verbreitet. Ein großes Problem des Staates ist zudem der hohe Grad an Korruption. Bangladesh belegt einen der letzten Plätze in der Statistik der Transparency International.
Mohammad Yunus selbst beschrieb die Situation der armen Bevölkerung: "Ich sah, dass die Leute hart arbeiteten, aber trotzdem blieben sie arm. Warum? Sie sagten mir, es läge daran, dass sie kein Kapital hätten."
So funktioniert die Grameen Bank:
Eine Filiale bestehend aus einem Filialleiter und einigen Center-Managern betreut etwa 15 bis 22 Dörfer. Filialleiter und Center-Manager besuchen zunächst die Dörfer, um sich mit den lokalen Begebenheiten ihres Aufgabengebiets vertraut zu machen. Sie identifizieren dabei die voraussichtlichen Kreditnehmer und erklären der Bevölkerung das Ziel, die Funktionen und die Arbeitsweise der Grameen Bank. Es werden Gruppen von fünf potenziellen Kreditnehmern gebildet. In der ersten Phase erhalten nur zwei von ihnen einen Kredit. Die Gruppe wird einen Monat lang aufmerksam beobachtet, um festzustellen, ob die Mitglieder die Regeln der Bank einhalten. Nur wenn die ersten zwei Kreditnehmer den Kredit plus Zinsen zurückzahlen, haben die anderen Mitglieder der Gruppe selbst Anspruch auf einen Kredit. Diese Einschränkung ruft einen beachtlichen Gruppendruck hervor, der die individuellen Verhältnisse klärt. In diesem Sinn dient die gemeinsame Verantwortung als Sicherheit für den Kredit. Die Kredite sind klein, aber sie reichen aus, um die Kleinst-Unternehmen der Kreditnehmer zu finanzieren: das Schälen von Reis, Maschinenreparaturen, der Kauf von Rikschas, Milchkühen, Ziegen, Kleidung, Töpferwaren usw. Der Zinssatz für alle Kredite beträgt 16 Prozent. Die Rückzahlungsquote liegt derzeit bei 95 Prozent, begründet durch Gruppendruck und Eigeninteresse ebenso wie durch die Motivation der Kreditnehmer. Obwohl die Grameen Bank neben den Kreditgeschäften auch das Sammeln von Ersparnissen verfolgt, kommen die kürzlich verliehenen Geldmittel immer mehr aus den Handlungsbeziehungen der Zentralbank, anderen Finanzinstituten, dem Geldmarkt und von bi- und multilateralen Organisationen
Yunus begann das Projekt Mitte der siebziger Jahre. Er ist Volkswirt und hat in den USA unterrichtet, bevor er in seine Heimat Bangladesch zurückkehrte. Die von ihm gegründete Bank hat eigenen Angaben zufolge bislang 6,6 Millionen Menschen Kredite gegeben. Davon seien 97 Prozent Frauen gewesen, hieß es auf ihrer Internetseite. Die Rückzahlungsquote beträgt demnach 98 Prozent, auch habe man seit der Gründung außer in drei Jahren jedes Jahr Gewinn gemacht.
Meistens machte Bank Gewinn
Die Bank beschloss 1995, künftig keine Spenden, Kredite oder Zuschüsse mehr entgegenzunehmen. Denn das eigene Geld solle ausreichen, um Kredite zurückzuzahlen. Nur nach der verheerenden Flut 1998 hatte die Bank nach eigenen Angaben Geld von kommerziellen Banken angenommen, um neue Darlehen an die Flutopfer auszuzahlen. Neben diesen Krediten vergibt die Bank auch Stipendien an Kindern von Mitgliedern. Vor allem Mädchen sollen so der zu besseren Schulleistungen motiviert werden.
"Yunus hat sich als Führungsgestalt gezeigt, der Visionen in praktische Handlung zum Vorteil von Millionen Menschen umsetzen könne", hieß es vom Nobelkomitee. Die von Yunus und seiner Bank entwickelte Idee von "Mikrokrediten" sei überall von Institutionen übernommen worden und habe "den Weg in die ganze Welt gefunden. Der norwegische Komiteechef Ole Danholt Mjos sagte, mit der Entscheidung für Yunus habe man die Erweiterung des Friedensbegriffes bei der Nobelpreisvergabe fortgesetzt.
Ein Projekt der Grameen-Bank wurde vor zwei Jahren mit dem Petersberg-Preis der Development Gateway Foundation ausgezeichnet. Der Preis wird unter anderen vom Bundesland Nordrhein-Westfalen gesponsert.
Für den Friedensnobelpreis waren 191 Nominierungen eingegangen. Der Preis ist traditionell die letzte Auszeichnung, die im Reigen der Nobelpreise bekannt gegeben wird. Im vergangenen Jahr erhielten die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) in Wien und ihr Direktor Mohamed Elbaradei den Preis für ihren Einsatz gegen die Verbreitung von Atomwaffen.
Der Nobelpreis für Literatur ging am Donnerstag an den türkischen Schriftsteller Orhan Pamuk. Davor wurden bereits die Preise für Medizin, Physik und Chemie vergeben, die alle an amerikanische Wissenschaftler gingen. Die Preise sind mit jeweils zehn Millionen Kronen (1,07 Millionen Euro) dotiert und werden am 10. Dezember vergeben, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel.