Gesundheit "Gute Pflege kann überlebenswichtig sein"

Gute Pflege: Ruth Hecker im Portrait
Sie weiß, was gute Pflege bedeutet: Ruth Hecker, Qualitätsmanagerin, Fachärztin für Anästhesie und ausgebildete Pflegekraft, ist seit dem Jahr 2019 Vorsitzende des Aktionsbündnisses Patientensicherheit
© Berndhard Albrecht / stern
Ruth Hecker vom Aktionsbündnis Patientensicherheit weiß, was gute Pflege bedeutet. Denn sie besucht viele Krankenhäuser – und erklärt hier, was wichtig ist. 

Frau Hecker, wir machen uns viele Gedanken darüber, wie man die beste Ärztin oder den besten Operateur findet. Sollten wir uns nicht mindestens genauso viele Gedanken über die beste Pflege machen?
Auf jeden Fall. Pflegefachpersonen sind 24 Stunden und sieben Tage die Woche am Bett. Sie erkennen zuerst, wenn sich der Zustand von Patienten verschlechtert, zum Beispiel Atembeschwerden auftreten oder sich eine Sepsis entwickelt. Gute Pflege kann also überlebenswichtig sein.

Wie finde ich heraus, ob an einem Krankenhaus gut gepflegt wird oder Pflegekräftemangel herrscht? Steht das in den jährlich veröffentlichten Qualitätsberichten der Krankenhäuser selbst?
Die bilden ja nur die Vergangenheit ab. Der Bericht für 2023 erschien im Herbst 2024. Sie finden dort Angaben, auf welchen Abteilungen damals wie oft die Personaluntergrenzen unterschritten wurden. Aber diese Mindestbesetzung reicht nicht aus, um gute Pflege sicherzustellen. Zudem sind Qualitätsberichte ohne Vorkenntnisse nur schwer zu verstehen.

Sie besuchen viele Krankenhäuser und hören von Behandlungsfehlern. Gibt es Daumenregeln, also: Wird man zum Beispiel an Unikliniken besser gepflegt als in kleinen Häusern auf dem Land?
Pflegefachpersonen an Unikliniken haben sicherlich einen höheren Ausbildungsstandard, sie hatten mit mehr schweren Krankheitsfällen zu tun. Trotzdem kann man nicht automatisch ableiten, dass die Pflege dort besser wäre als auf dem Land.

Und was ist mit spezialisierten Krankenhäusern?
Tatsächlich wissen wir, dass in Fachkrankenhäusern, wo zum Beispiel nur orthopädische Patienten behandelt werden, die Pflege hoch spezialisiert ist. Und die ist dann auch oft sehr gut.

Was sind typische Pflegefehler, die für Patienten fatal enden können?
Neben der mangelhaften Händehygiene stehen ganz vorne Fehler bei der Arzneimittelgabe. Patienten erhalten die falsche Dosis oder zur falschen Zeit oder bekommen Medikamente, die für andere Patienten bestimmt sind. Ärzte und Pflege sind gleichermaßen involviert – die Ärzte verordnen falsch, Pflegefachpersonen stellen oder verabreichen die Medikamente falsch. Ein Gegenmaßnahme ist, Patienten immer wieder zu fragen: Wie heißen Sie? Um Patienten zu identifizieren und Verwechslungen zu vermeiden.

Da würde man schnell denken: Können die sich das nicht endlich merken?
Tatsächlich aber können Patienten daran erkennen, dass in einem Krankenhaus eine gute Sicherheitskultur gelebt wird.

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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Es gibt Leuchttürme unter den Krankenhäusern, wo es keinen Pflegekräftemangel gibt – während alle drum herum betroffen sind. Was machen die anders?
Es sind Krankenhäuser, die die Arbeitsbedingungen von langer Hand verbessert haben. Wie das geht, ist bekannt und durch viele Studien belegt. Aus den USA kommt das Konzept der "Magnetkrankenhäuser", die Pflegekräfte wie ein Magnet anziehen sollen. Dort gibt es eine wertschätzende Kultur, viele Fort- und Weiterbildungsangebote und auch Karrierepfade für Pflegefachpersonen. Sie arbeiten mit den Ärzten auf Augenhöhe und haben mehr Entscheidungsspielräume. Dann gibt es das Drumherum, Themen wie Kinderbetreuung und Familienfreundlichkeit.

Auch hierzulande fordern Pflegeverbände mehr Kompetenzen für Pflegefachpersonen, und 20 Prozent sollen ein Studium absolvieren. Gehen Sie da mit?
Ja! Wenn mehr hoch qualifizierte Pflege in der Versorgung ist, profitiert davon die Patientensicherheit.

Dagegen gibt es Widerstände. Der Präsident einer großen ärztlichen Fachgesellschaft sagte mir: "Dann will ja niemand mehr Grundpflege machen."
Unsinn. Nicht alle, die Pflege studieren, wollen ins Management. Das tun sie nur deshalb, weil es bislang so wenige geeignete Stellen für akademisierte Pflegefachpersonen gibt. Aber Pflege kann auch am Bett nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen weiterentwickelt werden. Und das wollen viele, die studieren.

Jetzt gibt es allerdings einen Entwurf für ein "Pflegekompetenzgesetz", in dem entsprechende Forderungen aufgegriffen werden. Wird bald alles besser?
Da verlasse ich mich auf die Einschätzung der Pflegeverbände: Es ist eine Grundlage für mehr Verantwortung, Autonomie und Sichtbarkeit der Pflegeberufe. Jetzt aber geht es darum, ob man das auch operativ umsetzt – durch eine dauerhafte institutionalisierte und angemessen ausgestattete Interessenvertretung mit Mitwirkungsrechten. 

Dazu gehört – aktuelles Beispiel –, dass die Pflege in der Kommission zur Aufarbeitung der Pandemie säße. Denn sie spielte eine wesentliche Rolle. Doch sie ist nicht vertreten. Da stellt sich die Frage, wie konsequent dieses Gesetz dann später umgesetzt wird. 

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