Herr Templin, kann ein Herz tatsächlich brechen?
Ja. Umgangssprachlich nennen wir es das Syndrom der gebrochenen Herzen. Oder auf Englisch: Broken-Heart-Syndrome. Konkreter müsste man sagen: Syndrom der gebrochenen Frauenherzen. 80 Prozent der Betroffenen sind nämlich Frauen über 60 Jahre.
Weiß man, warum mehr Frauen unter einem gebrochenen Herzen leiden?
Wahrscheinlich spielen Hormone eine Rolle. Aber den genauen Mechanismus hat man noch nicht entschlüsselt.
Was löst das Broken-Heart-Syndrome aus?
Liebe, Trauer, Ängste oder Kummer, also Gefühle, die im Kopf entstehen. Zu Beginn wurde das Syndrom nur mit negativen Emotionen in Verbindung gebracht. Es trat zum Beispiel bei einer Frau nach dem plötzlichen Tod ihres Ehemannes auf. Eine andere Patientin hatte sich so sehr über ihren Ehemann aufgeregt, weil er die Trambahntickets vergessen hatte, dass sie das Syndrom entwickelte. Wir könnten aber auch vom Happy Heart Syndrome sprechen.

Das Herz bricht auch vor Glück?
Seltener als durch negative Emotionen, aber ja, es gibt Patientinnen, denen das Herz quasi vor Glück brach: Weil sie mehrere Jackpots im Casino gewonnen haben oder Großmutter geworden sind und ihr Enkelkind zum ersten Mal sahen. Ich habe mit einigen dieser Patientinnen gesprochen. Es war wirklich sehr interessant zu hören, wie sie diesen Moment beschrieben: Erst war da die ganz starke Emotion, und in direkter Folge kamen die Symptome.
Das Schöne ist, das Herz heilt sich eigentlich von selbst.
Also sowohl Liebeskummer als auch plötzliches Glück können das Herz derart belasten, dass es sich anfühlt wie ein Infarkt?
Ja!
Wie macht sich das körperlich bemerkbar?
Es passiert von jetzt auf gleich: Man spürt Brustschmerzen, genau wie beim Herzinfarkt, ausstrahlende Schmerzen in den Arm, in den Rücken, in den Kiefer. Es kommt oft zu Luftnot. Die Patientin kommt dann mit Verdacht auf einen Herzinfarkt ins Krankenhaus. Dort erkennen die Ärzte: Es liegt gar kein Infarkt vor, sondern das Herz ist wie in einer Art Schockstarre. Große Areale des Herzens bewegen sich nicht mehr.

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Das Broken-Heart-Syndrome
In der Wissenschaft spricht man eigentlich vom Takotsubo-Syndrom. Das wurde das erste Mal 1990 beschrieben von Dr. Hikaru Sato aus dem Hiroshima City Hospital in Japan. Er behandelte Patientinnen, die Zeichen eines Herzinfarkts aufwiesen, also Brustenge und Luftnot, bei denen sich aber entgegen der Verdachtsdiagnose Herzinfarkt freie Herzkranzgefäße zeigten. Die Form, die das Herz der Frauen angenommen hatte, erinnerte Dr. Sato an Tonkrüge, mit denen in Japan Tintenfische gefangen werden, Tako-tsubo genannt.
Wie gefährlich ist das?
Die Sterblichkeit im Krankenhaus ist so hoch wie bei einem Herzinfarkt, sie liegt ungefähr bei fünf Prozent.
Heilt ein gebrochenes Herz von allein, oder wie repariert man es?
In der akuten Phase kann das Herz versagen, oder es können bösartige Rhythmusstörungen auftreten. Dagegen kann man mit Medikamenten oder auch einer Herzpumpe anwirken. Wenn man Patienten damit über die kritische Phase gebracht hat, erholt sich die Pump-Funktion von alleine wieder. Das Schöne ist, das Herz heilt sich eigentlich von selbst.