JAGODA MARINIĆ Bin ich stöhn?

  • von Jagoda Marinić
Eine Frau schaut in einen Spiegel in dem Barbie abgebildet ist
Unsere Kolumnistin bewundert die Frau, die Jane Birkin im Alter wurde und stellt sich die Frage warum Schönheit meist anhand der Sexyness einer Frau bewertet wird
©  Illustration: Lennart Gäbel; Foto: Gene Glover
Wesen wie Jane Birkin werden oft für die Sexyness ihrer Jugend verehrt. Unsere Kolumnistin aber bewundert eher die Frau, die Birkin im Alter wurde.

Vor wenigen Wochen ist Jane Birkin gestorben. Wie das so ist mit schönen Menschen, die fast jeder kennt, selbst wenn er nicht weiß, weshalb eigentlich: Man hörte da ein tiefes Seufzen von irgendwoher, weil in vielen Menschen gleichzeitig die Endlichkeit der Dinge spürbar wurde. Mit Birkin ging eine Künstlerin, die für eine bestimmte Art zu leben stand, zu singen und aufzutreten.

Die ehemalige CNN-Journalistin Hala Gorani empörte sich auf Instagram darüber, dass viele Medien anlässlich von Birkins Tod Bilder aus deren Jugendzeit wählten, dabei habe sie bis ins Alter Erfolge gefeiert. Gorani meinte, einem älteren männlichen Künstler würde das nicht passieren, und empfand es als "Ageism" gegenüber Frauen. Ich aber denke, bei allen Menschen würde man eher Jugendbilder zeigen, aus purer Nostalgie. Doch ich verstehe Goranis Ärger über eine Gesellschaft, die Frauen in ihrer ganzen Schönheit nicht zu feiern weiß, vor allem dann nicht, wenn die einst fragil wirkende Naivität und Gefälligkeit der Jugend dieser Kraft und Direktheit der Frau weicht, die nicht mehr gefallen muss, um sich zu spüren. Dabei liegt gerade in dieser Unabhängigkeit eine Art Schönheit, die nicht angeboren ist, sondern zu der jede Frau ihren Weg selbst findet – nur hat das eben nicht mehr viel mit der Frau als Objekt zu tun, die medial die Norm ist. An dieser Stelle geht noch ein Gruß raus an Barbie!

Nach Birkins Tod surfte ich durch Bilder und Videos von ihr im Netz. Ihre Karriere verdankte sie anfangs keinem herausragenden Talent, sondern der Tatsache, dass sie den Prototyp einer modernen Frau verkörperte: britisch-französisch, ein Pin-up ohne Kurven, so soll sie sich selbst bezeichnet haben. Jahrzehntelang fragte man sie über Serge Gainsbourg aus, in zahllosen TV-Sendungen voller voyeuristischer Pseudoerotik. Ja, sie hat mit Gainsbourg "Je t’aime … moi non plus" gesungen und gestöhnt, das Lied stand auf dem Index der BBC. End of story.

Jane Birkin und die Leichtigkeit in Interviews

Jagoda Marinić
© Gaby Gerster

Jagoda Marinić schreibt in ihrer Kolumne über in die Welt, wie sie ihr gefällt – oder auch nicht gefällt. Sie ist Autorin verschiedener Bücher (zuletzt "Made in Germany. Was ist deutsch in Deutschland?", "Sheroes. Neue Held*innen braucht das Land") und Host des Podcasts "Freiheit Deluxe". Als Moderatorin der Literatursendung "Das Buch meines Lebens" (Arte), fragt sie bekannte Persönlichkeiten, wie das Lesen ihr Leben verändert hat. Auf Twitter und bei Instagram findet man sie unter @jagodamarinic.

Ich bewunderte Jane Birkin für ihre Leichtigkeit in den Interviews, für die Schwebe, in der sie sich hielt. Später aber langweilte es mich zunehmend, jemandem zuzusehen, der ständig betören will, statt einfach zu sein. Die spanische Zeitung "El País" zitierte passend aus einem Interview mit ihr: "Ich bin müde, mich 'sexy' zu fühlen." Es war offenbar nicht nur als Zuschauerin anstrengend. Der Gedanke, man könnte einfach sexy sein, ohne diese Sexyness mühsam herstellen zu müssen, schien ihr und den Medien ihrer Zeit fremd zu sein. Frauen sollten in lasziven Posen gezeigt werden, in hauchdünnen Kleidern und mit abgemagerten Körpern. Fühlend, leidend, schmachtend. Oder sie eilten trotzig-stolz davon, damit die Männer ihnen nachliefen. Wie limitierend das für die Frauen war.

Meine tiefere Bewunderung kam erst mit ihrem Alter, ihren eigenen Alben und Tourneen: der stolze Bühnenstar Jane Birkin auf Plakaten. Nicht nur Mick Jagger kann das, dachte ich. Am meisten beeindruckte mich Birkin jedoch als öffentliche Mutter: die Art, wie sie mit ihren Töchtern auf Festen und Festivals aufkreuzte, als wären sie eine wilde Bande, die zusammenhält. Ihre Zärtlichkeit für das Talent jedes ihrer drei Kinder, gerade auch nach dem tragischen Tod ihrer Tochter Kate 2013.

Birkin arbeitete früher mit der wunderbaren Regisseurin Agnès Varda zusammen, doch danach wurde sie nicht so oft gefragt wie nach dem Stöhnen mit Serge. Wann werden wir endlich müde, Frauen immer nur "sexy" zu finden?