Mehr als drei Jahre lang hat sich die Synodalversammlung in Frankfurt getroffen, um über nötige Reformen der katholischen Kirche zu debattieren. Die veröffentlichten Missbrauchsfälle der letzten Jahre haben die Bewegung angestoßen. Die Versammlung besteht aus insgesamt 230 Personen, darunter sind die Mitglieder der Deutschen Bischofskonferenz und 69 Vertreterinnen und Vertreter des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK). Am Samstag hat die Versammlung ihre letzte Sitzung beendet, nach Beschlüssen zu Frauenrechten, der Segnung von homosexuellen Paaren und dem Zölibat. Vize-Präsident Thomas Söding zieht im stern-Gespräch ein gemischtes Fazit.
Kann sich die katholische Kirche verändern?
Herr Söding, glauben Sie, eine katholische Kirche kann zeitgemäß sein?
Sie ist es immer gewesen. Die katholische Kirche in der Form des 19. und frühen 20. Jahrhunderts ist unglaublich erfolgreich gewesen. Aber das Problem ist: An dieses Modell klammern sich zu viele Menschen, die sich nicht hinreichend mit den Alternativen beschäftigen, die der Katholizismus kennt. Deswegen blockieren sie Reformen und sehen darin einen Verrat. Aber in Wirklichkeit hat die Kirche vielfältige Möglichkeiten.
In der Synodalversammlung beschäftigen Sie sich mit diesen Möglichkeiten. Bischof Georg Bätzing, der auf bischöflicher Seite Vorsitzender der Konferenz ist, sagte selbst, er glaube nicht, dass die beschlossenen Reformen weitere Kirchenaustritte verhindern können. Spielt die katholische Kirche für viele Menschen keine Rolle mehr?
Die Reformschritte sind zu spät erfolgt. Aber ich sage, besser spät als nie. Für die mangelnde Kirchenbindung gibt es mehrere Faktoren. Es gibt zum einen gesellschaftliche Megatrends. Alle großen Institutionen haben Probleme, Mitglieder nachhaltig zu binden. Da sind die Kirchen, die evangelische genauso wie die katholische, besonders stark im Blick. Das werden wir kaum beeinflussen können. Auf der anderen Seite gibt es eine Fülle von hausgemachten Problemen. Insbesondere der systemische Missbrauch, der Gott sei Dank aufgedeckt wird. Wenn der nicht bearbeitet wird, sagen noch viel mehr Menschen: Das ist nicht meine Kirche. Das ist nicht die Kirche, die im Sinne Jesu Christi ist.
Sind Sie als Vizepräsident zufrieden mit den Ergebnissen der Versammlung?
Ich bin insofern zufrieden, als wir die gemeinsame Anstrengung von Bischöfen und "Laien" hatten. Wir haben uns nicht zerlegt, das war nicht selbstverständlich. Einige haben von Anfang an das Totenglöckchen geläutet. Aber siehe da, wir leben. Es ist bei weitem nicht genug, aber es war wichtig zu zeigen, was in der katholischen Kirche geht.
Was sind denn aus Ihrer Sicht die größten Erfolge?

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Wir haben die Basis für mehr Transparenz und Kontrolle gelegt. Da muss allerdings noch deutlich nachgeliefert werden. Wir haben gezeigt: Die Diskriminierung von Frauen in der katholischen Kirche ist ein Unding. Und wir haben die überkommene Sexuallehre der Kirche als großes Problem identifiziert. Deshalb haben wir gesagt, dass auch homosexuelle und queere Persönlichkeiten ganz und gar dazugehören und dass die katholische Kirche Formen finden muss, um sie willkommen zu heißen und zu segnen. Die Kirche interessiert sich nicht mehr dafür, was in den Schlafzimmern passiert, wenn das wirklich Paare sind, die sich lieben. Deshalb wurde auch das Arbeitsrecht verändert. Die Kirche hat verstanden, dass sie selbst für ihre Werte und für ihre Institutionen werben muss. Das machen große kirchliche Organisationen wie die Caritas bereits.
Wie war denn die Stimmung vor Ort?
Intensiv, angespannt. Zwischendurch auch von der Furcht geprägt, ob wir die Spannungen aushalten. Am Ende aber doch gelöst, weil kluge Entscheidungen getroffen und starke Zeichen gesetzt worden sind. Die katholische Kirche kann und muss sich verändern.
Und was genau?
Immer wenn die Machtfrage in der katholischen Kirche gestellt wird, klingeln im Vatikan die Alarmglocken. Ich halte das für einen Fehler. Wir haben uns nicht abschrecken lassen. Aber ich hätte mir zum Beispiel deutlichere Zeichen gewünscht, dass nicht nur der Diakonat, sondern auch das Priestertum für Frauen bejaht wird. Aber bei mir überwiegt der Eindruck, hier ist etwas in Bewegung geraten. Diese Bewegung müssen wir auf Dauer stellen.
Der Vatikan hat bereits wesentliche Vorschläge kritisiert und angekündigt, Teile davon nicht mittragen zu wollen. Wie sollen Reformen so dauerhaft umgesetzt werden?
Vieles von dem, was wir beschlossen haben, wird in den einzelnen Diözesen umgesetzt. Da sind die Bischöfe gefragt, auch wenn die nicht einer Meinung sind. Aber wir wissen, dass die große Mehrheit der Bischöfe verstanden hat und liefern will. Jetzt sage ich: An ihren Früchten werdet Ihr Sie erkennen.
Dennoch hat der Vatikan einen großen Einfluss. Es gab sogar einen Brief von Kardinälen, in dem sie sich gegen die deutschen Reformen ausgesprochen haben.
Wir haben offensichtlich ein Kommunikationsproblem mit dem Vatikan. Einige dort befürchten, dass wir die Bischöfe entmachten wollen. Das Gegenteil ist der Fall. Wir sind überzeugt davon, dass das Bischofsamt für die katholische Kirche wichtig ist. Aber wir müssen die Möglichkeit schaffen, gemeinsame Reformen umzusetzen. Und wir haben gezeigt, wie das im Rahmen des Kirchenrechts geht.
Das heißt, dann kann der Papst nicht einfach ein Veto einlegen?
Der Papst selbst hat gesagt, dass wir die katholische Kirche neu denken müssen. Klerikalismus*, der katholische Machismo, ist ein weltweites Problem [*Klerikalismus meint das Bestreben, in der Kirche alle Macht den Priestern zu geben – Anm. d. Red.]. Für mich ist das keine Überraschung, für einige Verantwortliche im Vatikan aber offensichtlich doch. Ich setze darauf, dass die internationale Synode dieses Problem erkennen und lösen wird. Dazu können wir in Deutschland unseren Teil beitragen. Ich erwarte kein Veto, sondern, dass man sich im Vatikan ernsthaft mit unseren Beschlüssen auseinandersetzt.
Wobei die Kirche in anderen Ländern Zulauf hat und bei uns nicht.
Aber auch dort haben wir das Phänomen von Missbrauch, der häufig noch unter der Decke gehalten wird. Ich würde die These wagen: Gerade, weil die katholische Kirche eine Weltkirche ist und insgesamt wächst, braucht sie keine Angst vor Veränderungen zu haben. Man könnte doch sagen, was für ein kleines Land wie Deutschland wichtig ist, muss nicht eins zu eins auch in Argentinien so gemacht werden.
Überall in der katholischen Kirche hat sich gezeigt: So wie es ist, geht es nicht weiter. Nun sind wir in einer Phase, in der ich dazu raten würde, Initiativen wie unsere zu bestärken. Was wir in Deutschland beschlossen haben, ist sicher nicht der Weisheit letzter Schluss. Aber wir sind verantwortlich mit unserer Situation umgegangen. Wir sollten uns nicht gegenseitig das Katholisch-Sein absprechen, sondern sehen, dass man auf unterschiedliche Art und Weise katholisch sein kann. All das zusammenzuhalten, das ist die Aufgabe des Papstes.
Und was, wenn dem Papst die Einheit aller Katholiken wichtiger ist, als dass ein Land wie Deutschland ausschert?
Wir wollen nicht, dass für Deutschland eine Extrawurst gebraten wird. Aber der Papst hat die Aufgabe, Einheit und Vielfalt ins Verhältnis zu setzen. Wenn man sich vorstellen würde, dass alle Katholiken auf der gesamten Welt nur im Gleichschritt marschieren – das wäre eine Karikatur der Kirche. Papst Franziskus selbst hat gerade erklärt, der Zölibat sei nicht in Stein gemeißelt. Das sagen wir auch.
Aber es gab bei einer Synodalversammlung im letzten Jahr keine nötige Zwei-Drittel-Mehrheit für eine "überarbeitete Sexualmoral" der Kirche.
Ja, das war ein Tiefpunkt.
Jetzt haben Sie den Vatikan um die Prüfung gebeten, ob der Zölibat, also die Ehelosigkeit für Priester, verbindlich sein muss. Reicht das?
Für die katholische Kirche ist der Zölibat wichtig, das haben wir in der Versammlung unterstrichen. Gleichzeitig haben wir dafür plädiert, dass es Ausnahmen von der Verpflichtung geben muss. Dafür hat es eine klare Mehrheit gegeben, auch bei den Bischöfen. Es gibt ja auch schon viele verheiratete Priester. Allerdings müssen wir uns in diesem Punkt an Rom wenden. Das machen wir. Hoffentlich werden dort die Probleme nicht ausgesessen.
Es haben sich trotzdem Bischöfe enthalten oder dagegen gestimmt. Was ist, wenn Ihre Beschlüsse nicht bei den Gläubigen ankommen?
Die Bischöfe sind für die Umsetzung vor Ort verantwortlich. Sie müssen jetzt liefern und über ihren Schatten springen, wenn sie Bedenken haben. Wir können niemanden zu seinem Glück zwingen. Das wollen wir gar auch nicht, weil es deren innere Überzeugung sein soll. Wir treffen uns in drei Jahren nochmal zu einer weiteren synodalen Versammlung, dann wird Bilanz gezogen. In der Zwischenzeit gibt es einen hochrangigen Ausschuss, der Wege in die Zukunft der katholischen Kirche in Deutschland bahnen soll. Synodalität geht weiter, weil die Probleme noch nicht gelöst sind und wir jetzt die Erfahrung gemacht haben, dass man die Probleme am besten gemeinsam analysiert und dann gemeinsam deren Lösung angeht.
Die Mehrheit der Katholikinnen und Katholiken ist Umfragen zufolge für Reformen. Aber ein harter Kern von besonders engagierten Mitgliedern der Kirche wehrt sich und hat sogar während der Tagung in Frankfurt dagegen protestiert. Wie nehmen Sie diese Leute mit?
Ich kenne sehr Wenige, die wollen, dass alles so bleibt, wie es ist. Ich sehe aber eine sehr kleine Minderheit, die einen radikal anderen Kurs als die Synode will. Keine geteilte Macht, sondern eine überhöhte Macht der Bischöfe. Keine Weiterentwicklung der kirchlichen Lehre, sondern das Einbetonieren des Status quo. Und ich beobachte mit großer Sorge, dass sich diese Bewegung radikalisiert.
Inwiefern?
Da sind Bewegungen zusammengekommen, die inzwischen zu den Querdenkern tendieren. Ich will nicht von katholischen Reichsbürgern sprechen. Aber eine solche Aggressivität innerhalb der Kirche, wie sie von Rechtsaußen vor allem über Social Media entwickelt wird – die ist giftig. Am Anfang haben die reaktionären Gruppen vielleicht geglaubt, dass sich eh nichts ändert. Und jetzt merken sie, es tut sich etwas, weil die Mehrheit der Bischöfe davon überzeugt ist.
Sie sind offensichtlich sehr überzeugt von den Reformen, die passieren müssen. Warum lohnt es sich aus Ihrer Sicht, für den Erhalt der katholischen Kirche zu kämpfen?
Weil der Glaube die Gemeinschaft braucht. Gottes Perspektive öffnet sich im Herzen von einzelnen Menschen. Dabei hilft eine Organisationsstruktur. Der Geist des Glaubens hängt eng mit der Organisation des Glaubens zusammen. Und deren Leitbild muss sein: mehr Gerechtigkeit, nicht zuletzt Geschlechtergerechtigkeit, mehr Partizipation, mehr Transparenz, mehr Gemeinsamkeit in der katholischen Kirche. Deswegen würde ich nicht sagen, dass ich mich für den Erhalt der katholischen Kirche einsetze, sondern für ihre Reform.