Es gibt in Brasilien eine neue Redewendung: "Imagina na Copa." Sie ist überall zu hören, auf den Straßen, im Bus und unter Freunden. Sie heißt so viel wie: Stell dir das erst während der Fußball-Weltmeisterschaft vor.
Wenn der Stau in Sao Paulo wieder mal 100 Kilometer lang ist: Imagina na Copa. Liegen Müllberge in Rios Straßen: Imagina na Copa. Schaut der Ehemann anderen Frauen hinterher: Imagina na Copa. Heißt: Stell dir den Typen erst während der WM vor, wenn die Touristinnen aus Schweden und Holland kommen.
Im Moment dreht sich alles um Müll. Seit mehr als einer Woche streiken 15.000 Straßenfeger in Rio de Janeiro. Am Strand von Ipanema sieht man den Sand vor lauter Abfall nicht mehr. Die Tageszeitung "O Globo" zeigt die Küste als Müllgrube und titelt: "Meer des Mülls."
Bald fallen die trinkfesten Fußballfans ein
Es liegt ein süßlicher, fauler Duft über der Stadt. Er mischt sich mit dem penetranten Gestank von Urin. Während des Karnevals gab es zu wenig öffentliche Klohäuschen, da pinkelten die Narren in die Straßen. Imagina na Copa, sagen die Cariocas, die Einwohner Rios dazu, in einer Mischung aus Resignation und Galgenhumor. Zur WM kommen die trinkfesten Briten und Deutschen.
Die Arbeiter der Stadtreinigung demonstrieren vor dem Rathaus. Sie tragen ihre orangefarbenen Overalls. Der ganze Platz ist ein einziges Orange. Die Arbeiter kommen immer wieder zurück, obwohl einer ihrer Protestmärsche mit Pfefferspray und Tränengas aufgelöst wurde. Sie wollen mehr Geld, 1200 Reais monatlich, etwa 400 Euro. Momentan erhalten sie 250 Euro, plus einiger Sonderzahlungen. Sie sagen, sie können sich diese völlig überteuerte Stadt nicht mehr leisten. Sie sprechen von Vertreibung, auch von Sklaverei. In Brasilien geht es schnell ins Grundsätzliche.
Streik zur Karnevalszeit
Die Gegenseite, die Stadtverwaltung, spricht von Erpressung. Auch sie geht gern ins Grundsätzliche. Sie weiß, dass die Bilder um die Welt gehen: die Copacabana eine Müllhalde. Rio de Janeiro ein Urinal. Was für ein PR-Desaster für die WM-Stadt.

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Die Straßenfeger haben sich bewusst die Karnevalszeit für ihren Streik ausgesucht. Sie sind Vorbild für viele andere frustrierte Arbeiter, Polizisten, Busfahrer. Die näher rückende WM sehen sie als letzte große Chance für Lohnverhandlungen. Ihre Drohung lautet: Stellt euch das Chaos und den Gestank erst während der WM vor, liebe Stadtverwaltung. Imagina na Copa.