Müll im All So gefährlich ist der Weltraumschrott

Eine Simulation der Esa: Schätzungen zufolge befinden sich mehrere hundert Millionen Teile Weltraumschrott im All
Eine Simulation der Esa: Schätzungen zufolge befinden sich mehrere hundert Millionen Teile Weltraumschrott im All
© ESA / DPA
Der Mensch hat ein Müllproblem und das nicht nur auf der Erde. Im All gefährdet der Weltraumschrott Satelliten und Raumfahrer. Wie schlimm ist es? Und lässt sich das Problem lösen?

Anfang November musste die Rückreise chinesischer Astronauten auf unbestimmte Zeit verschoben werden, weil ihre Raumkapsel mit Weltraumschrott zusammengestoßen war. Für die Besatzung und die Begleiter auf dem Boden bedeutete das eine spontane Planänderung während einer laufenden Mission. In der Geschichte der bemannten Raumfahrt war so etwas noch nie zuvor passiert. Es gehört wohl zur Ironie der Geschichte, dass selbst eine führende Weltraumnation wie China, die mit Raketentests viel Schrott im All produziert, dem Müll ausgeliefert ist.

Aber auch für andere Raumfahrtnationen war der Vorfall ein Weckruf, denn die Schrottmengen nehmen zu. Eine Crew der Internationalen Raumstation ISS musste vor einigen Jahren den Trümmern eines russischen Kosmos-Satelliten aus den 1990er-Jahren ausweichen. Die Überreste von Weltraummissionen sammeln sich, seit die Sowjetunion 1957 den ersten Satelliten ins All geschossen hat. Der Abfall mag zwar mehrere hundert bis tausend Kilometer von der Erde entfernt sein: "Aber gerade im niedrigen Erdorbit stellt Weltraumschrott eine reale Bedrohung für Satelliten dar", erklärt Manuel Metz, Co-Vorsitzender der Europäischen Konferenz über Weltraummüll und Mitarbeiter am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), dem stern. Mittlerweile, so zeigt es das Beispiel der chinesischen Weltraumfahrer, ist auch die bemannte Raumfahrt betroffen.

Wie groß ist das Problem? Und lässt es sich lösen?

Weltraumschrott als Waffe?

Weltraumschrott entsteht, wenn ausgediente Satelliten oder ausgebrannte Raketenstufen im All verbleiben. Oder wenn Objekte im Orbit kollidieren. Das Ergebnis ist Debris – Splitterteile verschiedenster Größen, die sich anschließend im Weltraum verteilen. Wissenschaftler warnen, dass die Menge zunimmt und Missionen im All gefährden könnte. Metz hält das Risiko für noch beherrschbar, betont aber auch: "Wir müssen beim Weltraumschrott jetzt handeln, um das Risiko für nachfolgende Generationen zu mindern."

Die Esa zählt seit Beginn der Raumfahrt mehr als 650 Ereignisse, bei denen Objekte zusammenstießen, explodierten oder zerstört wurden und so den Schrott im All vermehrten. Solche Vorfälle könnten irgendwann zur existenziellen Bedrohung der Zivilisation werden: "Wenn die Systeme im Orbit von Schrotteilchen getroffen und gestört werden, dann können manche Dienstleistungen hier unten nur noch eingeschränkt nutzbar sein oder ganz ausfallen", erklärt Weltraumforscher Metz.

Insgesamt mehr als eine Million Teile Weltraumschrott von bis zu zehn Zentimetern Größe dürften demnach aktuell im All kursieren. Dazu kommen noch einmal Tausende Teile, die größer und 140 Millionen Teilchen, die deutlich kleiner sind. In den Weiten des Weltraums klingen solche Angaben unbedeutend. Doch im Orbit, wo andere Gesetze für Zeit und Raum gelten, düsen kleinste Teilchen mit einem Tempo durch die Atmosphäre, das jeden Geschwindigkeitsrekord auf der Erde in den Schatten stellt. Und je größer die Wucht, desto größer der Schaden.

20.000 Teile in 2015: Die wachsende Gefahr des Weltraumschrotts
20.000 Teile in 2015: Die wachsende Gefahr des Weltraumschrotts
© Stuart Grey / YouTube
Die wachsende Gefahr des Weltraumschrotts

Entsprechend besorgt blicken viele Staaten deshalb auf China und Russland, die ihre Fähigkeiten zur Zerstörung von Satelliten in den vergangenen Jahren zunehmend ausgebaut haben. China demonstrierte seine Fähigkeiten zuletzt 2007, als es einen ausgemusterten Wettersatelliten vom Boden aus abschoss. Allein dieser Test verursachte Müll, der bis heute und womöglich noch weitere Jahrzehnte dort oben seine Runden drehen dürfte. Trotzdem tüfteln Peking und Moskau weiter an kinetischen Waffen, die Satelliten zerstören können und noch mehr Weltraumschrott verursachen. Deutschland, das vor zwei Wochen seine Weltraumstrategie präsentierte, lehnt solche Waffen ab.

Einen strategischen Nutzen haben die Splitterteile ohnehin nicht. "Um sie als Waffe einzusetzen, müsste man ihre Umlaufbahn gezielt beeinflussen", erklärt Metz. Zwar gebe es Überlegungen, dies künftig zu testen, "aber da geht es eher darum, den Weltraumschrott aus der Atmosphäre zu entfernen".

Müllabfuhr für den Weltraum

In den Richtlinien zum Weltraumschrott geht es meist darum, wie Satelliten am Ende ihrer Lebensdauer entsorgt werden sollen. Internationale Initiativen, unter anderem beu den Vereinten Nationen beschäftigen sich mit der Frage, wie der Schrott möglichst rasch entfernt werden oder gleich vermieden werden kann. Auch die Esa bemüht sich um Nachhaltigkeit im All, etwa mit der Zero Debris Charter der Esa, die auch Deutschland unterzeichnet hat. Mit der Clear-Space-1-Mission hat die Esa zudem die erste aktive Schrottentfernungsintiative gestartet.

In den meisten Fällen werden Satelliten am Ende ihrer Laufzeit in die Erdatmosphäre gelenkt, wo sie verglühen. Bei größeren Objekten kann es aber durchaus passieren, dass Trümmerteile auf die Erde fallen. Für Kommunikationssatelliten in mehreren zehntausend Kilometern Entfernung ist die Friedhofsumlaufbahn weiter draußen die letzte Station. Dort werden sie abgeschaltet, sodass sie nicht mehr explodieren können. Daneben tüftelt die Industrie an nachhaltigen Lösungen, um etwa die Lebensdauer von Satelliten zu verlängern.

"Global gesehen ist die Zuverlässigkeit, mit der das passiert, nicht so hoch, wie sie sein müsste", kritisiert Metz. Lediglich in 70 bis 80 Prozent der Fälle würden Satelliten entsprechend verschrottet – "besser wären mindestens 95 Prozent".

Der Schrott muss raus aus dem All, da sind sich Forschung und Industrie einig. Im Fall der chinesischen Astronauten ist zwar alles noch einmal gut gegangen: Sie landeten zehn Tage später wieder auf der Erde. Aber wer weiß, ob die Raumfahrer und Satelliten von morgen wegen des Schrotts von heute nicht Schlimmeres erwartet.

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