Klimakrise "Zeit im Gefängnis hat uns verbunden" – Familien über ihren Protest für die Letzte Generation

Eine im Sand und groben Asphalt festgeklebte Hand. Daneben eine leere Klebetube.
Hand auf Asphalt: Es hat sich ausgeklebt. Die Letzte Generation will künftig auf andere Protestformen setzen. 
© Jonas Gehring / Alto Press
Vor zwei Jahren haben sich zum ersten Mal 24 Menschen auf die Straße geklebt, um für mehr Klimaschutz zu protestieren. Nun will sich die Letzte Generation neuen Protestformen widmen. Wer sind diese Menschen? Der stern hat protestierende Familien gesprochen.

Die Letzte Generation lässt ihr Markenzeichen hinter sich. Ab sofort wird nicht mehr geklebt. Stattdessen will man, so ließ es die Organisation verlautbaren, auf ungehorsame Versammlungen setzen sowie gezielte Aktionen gegen Verantwortliche der Klimazerstörung. Nach Angaben der Ex-Klimakleber gibt es eine mittlere vierstellige Anzahl an aktiven Unterstützern. Wer aber sind diese Menschen und warum engagieren sie sich dort?

Maike und Simon Werle, Mitglieder bei der Letzten Generation, stehen druaßen, im Hintergrund die Kinder.
Simon Werle, 43, freier Video-Editor, und seine Frau Maike Brochhaus, 38, Lehrerin an einer Gesamtschule. Die beiden haben zwei Kinder: Effi, 8, und Ala, 5. Simon hat sich zweimal auf die Straße geklebt und macht derzeit Pause vom Protest. Die Familie lebt in der Nähe von Köln.
© Jan Stradtmann / stern

Simon: Ich habe bei zwei Straßenblockaden in Köln mitgemacht. Die erste war sehr aufregend, aber nicht schlimm, auch weil die Polizei überraschend nett war. Die zweite war dann aber eine sehr heftige Erfahrung. Wir hatten eine große Kreuzung blockiert und wurden beschimpft und angespuckt. Jemand hat mich von hinten am Arm gepackt und von der Straße gerissen. Das war extrem schmerzhaft, ich hatte einen Bluterguss über die ganze Handfläche, aber meine Haut ist nicht aufgerissen. Ich bin dann zurückgerobbt und habe meine Hand wieder in den Kleber gelegt. Das Ablösen hat fast eineinhalb Stunden gedauert. 

Außerdem war ich noch in Berlin dabei, diesmal ohne Kleben. Aber auch da: So viel Hass und dann die Schmerzgriffe der Polizei. Das hat mir richtig Angst gemacht. Danach habe ich gemerkt, dass ich erst mal eine Pause brauche. Das war vor sechs Monaten. Seitdem war ich nicht mehr auf der Straße, aber es beschäftigt mich oft: In den nächsten 25 Jahren werden Hunderte Millionen Menschen aus ihrer Heimat fliehen müssen, weil es dort zu heiß wird. Was wird das mit unserer Gesellschaft machen? Ich fühle mich im Stich gelassen von der Politik, aber auch von meinen Mitmenschen, die vor der Erderhitzung die Augen verschließen und uns angreifen. Ich kann aber nicht wegsehen, darum will ich auch in Zukunft neue, gewaltlose Protestformen ausprobieren. Ich habe es aber nie darauf angelegt, für längere Zeit in den Knast zu kommen. Das wäre zu viel für unsere Familie, meine Kinder sind ja noch sehr klein. Die beiden wissen schon viel über die Natur, das Klima und dass wir eine Menge ändern müssen, um die Zerstörung zu stoppen. Sie wissen aber nicht, dass ihr Papa sich dafür auf die Straße geklebt hat. Das würden sie noch nicht verstehen, deshalb will ich sie damit auch nicht belasten.

Da ist die Wut der Autofahrer und da sind Staat und Polizei, die so rigoros durchgreifen."

Maike: Als Simon mir sagte, dass er bei der Letzten Generation mitmachen wolle, war mein erster Gedanke: Zustimmung und Verständnis. Ich selbst kann nicht mitmachen, weil ich Lehrerin bin. Das ginge zu weit. Ich hätte Angst, vor den Schülerinnen und Schülern meine Neutralität nicht wahren zu können. Ich habe dafür einen Klimaschutztag an der Schule ins Leben gerufen und auch jemanden von der Letzten Generation eingeladen, um den Schülerinnen und Schülern neben anderen auch diese Form von Protest vorzustellen. Für mich war es keine Frage, dass ich mich um unsere Kinder kümmere, als Simon auf der Straße war. Uns war im Vorfeld schon klar, was alles hätte passieren können, die Letzte Generation ist sehr gut organisiert und Simon wurde auf alles gut vorbereitet. Aber die Fronten haben sich verhärtet, da ist die Wut der Autofahrer und da sind Staat und Polizei, die so rigoros durchgreifen. Hätte Simon nicht von sich aus entschieden, eine Pause einzulegen, hätte ich mit ihm darüber gesprochen. Ginge es nur um Geldstrafen, das habe ich ihm immer gesagt, wäre ich voll dabei. Die Vorstellung aber, dass er ins Gefängnis geht für Tage oder Wochen, das wäre mir zu viel, das geht nicht. Schließlich sind wir eine Familie und wir haben kleine Kinder.

Effi: In der Schule reden wir öfter über unsere Umwelt. Warum wir mehr Fahrrad fahren sollen, dass so viel Plastik im Meer ist, oder wie man den Urwald beschützen kann, damit nicht so viel abgeholzt wird. Ich war mit meinen Eltern auch schon auf vielen Demos: dafür, dass alle Schlachthäuser schließen sollen, oder dass Lützerath nicht abgerissen werden soll wegen der Kohle. Es macht mir Spaß, dahin zu gehen und gemeinsam Sachen zu rufen. Bei der Demo gegen die Schlachthäuser durften wir uns am Ende alle zusammen auf die Straße legen, für die getöteten Tiere. Das fand ich cool und aufregend. Mein Papa demonstriert auch manchmal. Was er da aber genau macht, das weiß ich nicht.

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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Familie Beadle, Berlin

Judith und Mark Beadle mit Tochter (abgewandt)
Judith und Mark Beadle, 43 und 60, sie ist eine ehemalige Kommunikationsdesignerin, jetzt Vollzeit-Aktivistin. Er: Stand-Up-Comedian. Sie haben zwei Kinder, 13 und zehn Jahre alt. Die Familie lebt in Berlin. Judith ist seit Sommer 2022 bei der Letzten Generation aktiv und hat bei rund achtzig Aktionen mitgemacht. Sie saß insgesamt fast sieben Wochen in Haft. Zurzeit laufen einige Gerichtsverfahren gegen sie.
© Jan Stradtmann / stern

Judith: Ich war zuvor nie aktivistisch unterwegs, bis ich im Sommer 2022 beim Joggen an einer Straßenblockade vorbeigekommen bin. Ich fand es faszinierend, dass sich da Menschen einfach auf die Straße gesetzt haben. Das war eine Form von Protest, die man nicht ignorieren konnte. Anders als Demos oder Petitionen. Um wirklich was zu erreichen, davon bin ich überzeugt, ist die Konfrontation nötig. Es geht schließlich ums Ganze, um unsere Lebensgrundlage. Ich habe mich dann gleich zu einem Online-Vortrag und einem Protesttraining angemeldet. 

Meine Tochter spielte damals mit dem Gedanken, vielleicht mal Polizistin zu werden und war sehr dagegen, dass ich bei dieser Art des Protests mitmache, weil sie gegen das Gesetz verstößt. Wir haben darüber gesprochen, dass Recht und Gerechtigkeit nicht immer das Gleiche sind. Ich habe von Anfang an meine Familie eingebunden, mit meinem Mann eine klare Aufgabentrennung verabredet: Ich mache die Proteste und er bleibt zuhause bei den Kindern. Ich war dann insgesamt fast sieben Wochen in Haft und das war schon heftig, ich war zuvor noch nie so lange von den Kindern getrennt gewesen. Aber meine Familie hat uns sehr geholfen, meine Schwester und meine Mutter waren über Weihnachten da, damit mein Mann und die Kinder nicht allein waren. So absurd es klingt, aber die Zeit im Gefängnis hat uns auch miteinander verbunden. Wir haben uns viele Briefe geschrieben, auch über unsere Ängste und Gefühle.

Ich habe nicht versucht, Judith zurückzuhalten."

Es ist mir nie leichtgefallen, mich auf die Straße zu kleben. Es gab immer das Risiko, dass jemand austickt. Einmal auf der Autobahn ist ein Autofahrer ausgestiegen und hat gedroht, mir alle Knochen zu brechen und mir dann ins Gesicht geschlagen. Solche Erlebnisse werde ich sicher nicht vermissen. Ich bin in den vergangenen Monaten auch schon bei anderen Protesten dabei gewesen, wie bei der Blockade des Hamburger Flughafen oder dem Farbprotest an einer Luxusyacht. Und ich werde mich auch weiterhin an allen Formen des Protests beteiligen, bei denen ich auch nur die geringste Chance sehe, dass sie die notwendige Veränderung anstoßen könnten.

Leonie* (Name geändert): Ich finde es einerseits gut, dass sich meine Mutter für unsere Zukunft einsetzt, andererseits aber finde ich es auch blöd, weil sie viel weg ist. Ich mochte das Kleben nicht, es ist gegen das Gesetz und irgendwie auch anti-sozial, weil es so viele Menschen aufbringt. Versammlungen ohne Kleben finde ich besser, weil sie den Hass der Leute nicht so auf sich ziehen. Ich hoffe, dass dann auch mehr Leute mitmachen. Es ist nicht so, dass mir die Zukunft egal wäre, ich gehe auch manchmal auf Demos, und trotzdem denke ich, man sollte mehr im Jetzt leben und es genießen. Natürlich habe ich auch manchmal Angst um meine Mutter, und ich habe sie vermisst, als sie im Gefängnis war. Aber wir reden viel darüber, das hilft mir. Und ich weiß, warum sie es tut. Damit wir alle eine Zukunft haben.

Judith Beadle mit aus dem Asphalt gesaegter Hand in Sand-Kleber-Gemisch nach der Blockade des Potsdamer Platzes
Judith Beadle mit aus dem Asphalt gesägter Hand in Sand-Kleber-Gemisch nach der Blockade des Potsdamer Platzes
© ddp/PIC ONE/Stefan Müller

Mark: Ich habe nicht versucht, Judith zurückzuhalten. Wenn sie sich etwas vornimmt, dann richtig, und dann ist sie eh nicht davon abzubringen. Wir haben aber von Anfang an darüber gesprochen und das tun wir immer noch. Ich akzeptiere, dass sie sich dieser Art von Protest verschreibt, weil ich finde, dass es um eine wirklich wichtige Sache geht, die nicht genug Menschen ernst nehmen. Und ehrlich gesagt bin ich froh, dass es vorbei ist mit dem Kleben und sie sich der Wut der Autofahrer nicht mehr aussetzen muss. Dass ich mich um die Kinder kümmere, ist völlig okay für mich. Ich bin Stand-Up-Comedian und war vorher auch oft unterwegs, und da hat Judith sich gekümmert. Helena ist mittlerweile auch alt genug, um mal auf sich und ihre Schwester aufzupassen, sie sind gut in der Schule, da gibt’s keine größeren Probleme. Außerdem muss meiner Frau ja einer den Rücken freihalten, es geht ja gar nicht anders. Ich bin auch stolz auf Judith. Ich glaube, sie hatte mehr Sorge als ich, dass sich ihr Aktivismus negativ auf unsere Beziehung auswirken könnte. Sie hat gesagt, ich solle ihr sagen, wenn ich das Gefühl habe, sie entferne sich von mir. Aber das Gefühl habe ich nicht. 

Familie Heusinger, Bremen und Braunschweig 

Jutta Heusinger, Mitglied der Letzten Generation, in einem bunten Raum
Jutta Heusinger, 86, ist seit vergangenem Sommer bei der Letzten Generation aktiv ist. Sie lebt in Braunschweig. Ihr steht demnächst ein Gerichtsprozess bevor.
© Jan Stradtmann / stern

Jutta: Ich wusste so gut wie nichts über die Letzte Generation, habe dann mitbekommen, dass ein paar Aktivisten ein Bild von Monet in Potsdam mit Kartoffelbrei bekleckert haben, und wie sehr sich die Menschen darüber aufregt haben. Dabei war das Bild sogar hinter Glas. Ich liebe Kunst, aber es hat mich trotzdem vor allem aufgeregt, wie sehr sich die Menschen über ein bisschen Kartoffelbrei aufgeregt haben. Es geht doch um viel mehr! Um die Zukunft der Menschheit! Ich habe mich dann bei der Letzten Generation gemeldet und dachte, da seien bestimmt nur Jugendliche aktiv, aber es sind wirklich alle Generationen dabei, auch viele 70-Jährige. 

Ich habe mich dann auf die Straße gesetzt, aber nicht geklebt. Ich muss sagen, die Polizei war ausgesprochen höflich. Die haben gefragt, ob ich aufstehen wolle, ich habe gesagt, das könne ich nicht machen, daraufhin haben sie mich weggetragen. Meine Familie unterstützt mich sehr. Einige begleiten mich sogar zu den Protesten. Was ich nicht verstehe: Wie kann das Klima so vielen Menschen egal sein? Bei mir ist es egal, so alt wie ich bin, aber wir haben doch Kinder und Enkel! Es tut mir jedes Mal weh, wenn ich sehe, wie sehr die Menschen beschimpft werden, die ihre Freizeit opfern, um sich für uns alle zu engagieren. Auch ich wurde schon beschimpft, aber mir macht das nichts aus. Ich bin da furchtlos.

Auf dem Foto sah ich sie eingeklemmt zwischen zwei Polizisten und dachte: Hoffentlich haben sie ihr nicht weh getan."

Malte: Ich wusste nicht, dass meine Oma bei der Letzten Generation aktiv ist, bis mir meine Mutter eine Chatnachricht geschickt hat mit einem Foto von meiner Oma, wie sie von zwei Polizisten von der Straße getragen wird. Als ich das sah, musste ich daran denken, dass meine Oma oft sauer war auf mich, wenn ich beim Essen mal unterm Tisch gegen ihre Beine gekommen war, weil sie so schnell blaue Flecken bekommt. Auf dem Foto sah ich sie dann eingeklemmt zwischen zwei Polizisten und dachte: Hoffentlich haben sie ihr nicht wehgetan. 

Malte Heusinger draußen, Mitglied der Letzten Generation
Malte Heusinger, 21, studiert in Bremen 
© Jan Stradtmann / stern

Was die Letzte Generation betrifft, war ich immer skeptisch, ich weiß nicht, ob sie die richtigen Mittel wählt, aber finde es toll und richtig, dass sie so mutig ist, die Auseinandersetzung mit der angesichts der Klimakrise viel zu langsamen Politik aufzunehmen. Durch meine Oma habe ich mehr über deren Anliegen erfahren. Sie ist gut darin, andere zu überzeugen, eine meiner Tanten war schon mit ihr auf der Straße, auch mein großer Bruder, ich aber habe mich bislang rausgehalten. Ich bin immer noch nicht vollends überzeugt von der Art des Protests, aber vielleicht ändert sich das ja mit der neuen Strategie. Ich neige leider auch eher zum Verdrängen. Ich bin, anders als meine Oma, kaum aktiv. Aber das ist natürlich auch keine Lösung.