Nach Vorwürfen gegen den Norddeutschen Rundfunk (NDR) in Kiel, politisch brisante Berichterstattung in Schleswig-Holstein unterdrückt zu haben, haben mehr als 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Senders der lokalen Leitung intern ihr Misstrauen ausgesprochen.
In einem Schreiben an NDR-Intendant Joachim Knuth, das dem stern im Entwurf vorliegt, fordern sie personelle Konsequenzen. "Wir begrüßen die dringend notwendige Aufarbeitung der Vorwürfe gegen einige Führungskräfte des Landesfunkhauses", heißt es im Text: "Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit diesen Führungskräften können wir uns – unabhängig von den Ergebnissen der unterschiedlichen Untersuchungen - dennoch nicht mehr vorstellen."
Hintergrund des Schreibens sind Diskussionen über Zensur und politische Rücksichtnahme bei der lokalen Berichterstattung. Seit mehreren Wochen laufen dazu im NDR interne Ermittlungen, vor allem zum Agieren von Landesfunkhauschef Volker Thormählen, dem Kieler Chefredakteur Norbert Lorentzen sowie von Politikchefin Julia Stein. Auch der stern hatte fragwürdige Vorgänge aufgedeckt und die interne Aufarbeitung damit angestoßen.
So wurde eine Alkoholfahrt mit Unfallfolge des seinerzeit mächtigen CDU-Politikers Hans-Jörn Arp lange nicht thematisiert, obwohl die meisten Zeitungen Schleswig-Holsteins darüber berichtet hatten. Auch musste der NDR einräumen, dass Politikchefin Julia Stein im Herbst 2020 den digitalen Bauerntag moderierte und anschließend als Verantwortliche im Abspann des "Schleswig-Holstein Magazins" stand, in dem über die Veranstaltung berichtet wurde. Ein leitender Politikredakteur hatte sich zudem im Wahlkampf für seinen Ehemann eingesetzt.
NDR-Mitarbeiter prangern mangelnde Fehlerkultur an
Das Mitarbeiterschreiben zeigt, dass sich viele beim NDR in Kiel in ihrer journalistischen Arbeit eingeschränkt fühlen. "Einzelne Führungskräfte haben über Jahre einen Führungsstil geprägt und gelebt, der zu viele Kolleg*innen in Angst versetzt, zu oft Wertschätzung, Fehlerkultur und schließlich inhaltliche Auseinandersetzung hat vermissen lassen", heißt es in dem Briefentwurf weiter. "Auch der zurückliegende Umgang mit dem Redaktionsausschuss konnte den Eindruck verstärken, dass es bei den involvierten Führungskräften keinen wirklichen Willen zu Aufklärung und Verständigung gibt."
Die NDR-Intendanz will den Vorgang auf stern-Anfrage hin nicht kommentieren: "Etwaige interne Korrespondenz" unterliege der Vertraulichkeit.
Der NDR befindet sich derzeit in heftigen Turbulenzen. Zuvor hatten sich bereits Mitarbeiter des NDR-Landesfunkhauses in Hamburg in einem Brandbrief gegen ihre Leitung ausgesprochen. In Hamburg geht es um den Verdacht der Vetternwirtschaft.