TV-Sendung Was die deutsche Sesamstraße besser macht als das US-Original

Von Gesa Mayr
Puppen der Sesamstraße
Die Helden der Sesamstraße: das Krümelmonster, Ernie und Bert und ihre Freunde
© Mary Evans / Imago Images
Die Sesamstraße sucht in den USA nach einem neuen Produktionspartner, bislang ohne Erfolg. In Deutschland haben die Macher diese Probleme nicht – im Gegenteil.

Vor einem Jahr setzte Sesamstraßenliebling Elmo in den USA einen Tweet ab, von dem viele sich direkt angesprochen fühlten. "Elmo wollte nur mal hören – wie geht’s denn allen so." 

Die Rückmeldung war überwältigend: Viele Millionen Nutzer sahen den Tweet, Zehntausende antworteten der Puppe, schütteten ihr Herz aus. Saisonale Depression gepaart mit Existenzangst und der allgemeinen Weltlage – nicht gut, lautete der Befund.

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Zwölf Monate später geht es der Sesame Street in den USA selbst nicht sonderlich gut: Nach zehn Jahren beim Bezahlsender Max (ehemals HBO) sucht die am längsten laufende Kindersendung der Welt ein neues Zuhause. Die Verantwortlichen haben den Vertrag für die Produktion neuer Episoden auslaufen lassen. Die Bibliothek mit alten Staffeln wird zwar weiterhin verfügbar sein, allerdings nur noch bis 2027.

Die Zuschauerzahlen und das Feedback hätten eine Verlängerung nicht getragen, sagte eine Unternehmenssprecherin dem stern. Man wolle künftig mehr auf Inhalte für die ganze Familie setzen.

Während die 55. Staffel im Januar anlief, suchen die Verantwortlichen des Sesame Workshops, der gemeinnützigen Bildungsorganisation, der die Rechte an der Sesamstraße gehören, in den USA nach einer neuen Heimat. Im Gespräch sind demnach Apple TV+, Netflix, Disney+ und Amazon Prime.

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Wie konnte die Sesame Street in solche Not geraten?

Massive finanzielle Probleme hatten die Sesame Street 2015 überhaupt erst zu dem Umzug zum Bezahlsender HBO getrieben. Eigentlich lief die Kindersendung seit 1969 beim öffentlichen US-Sender PBS. Durch den sinkenden Verkauf von DVDs und neue Kanäle wie Youtube seien dem Sesame Workshop jedoch bei hohen Produktionskosten wichtige Einnahmen verloren gegangen, berichtet die "Washington Post". Der rettende Deal: HBO würde für die Produktion neuer Episoden zahlen und sie exklusiv zeigen – neun Monate später sollten sie dann wie gehabt auf PBS erscheinen.

Doch die Finanzierung war nicht das einzige Problem. Das wachsende Angebot der Konkurrenz und die sinkende Relevanz der Sendung nagten am Erfolg. Die Einschaltquoten nahmen demnach rapide ab. 2023 war die Sendung laut Quotenagentur Nielsen mit Platz 14 nicht einmal mehr in den Top 10 der Kinderprogramme des Landes.

Der Elmo-Tweet illustriert eines der wohl größten Probleme des US-Formats: Es gibt einen hohen Nostalgie-Faktor und eine emotionale Verbundenheit bei Erwachsenen, die mit der Sesame Street aufgewachsen sind. Ernie und Bert sind für viele Millennials und Ältere als Bewohner der Sesame Street nicht wegzudenken. Aber in der eigentlichen Zielgruppe, bei Vorschülern und Kleinkindern, würden die beiden nicht mehr erkannt, berichtet die "Washington Post". Zwar vertrauten Eltern der Marke und dem Format und schalteten die Sendung für ihre Kinder an. Doch deren Interesse wende sich anderen Themen, Formaten und Plattformen zu.

Demzufolge veranlassten die Verantwortlichen 2022 eine interne Untersuchung und einigten sich auf Anpassungen. Ein Ansatz war: Die Zahl der Puppen zu begrenzen und sich auf wenige Charaktere festzulegen, ähnlich den Konkurrenzformaten wie "Paw Patrol" und "Peppa Wutz".

"Hey. Hey. Ja, du! Willst du ein 'E' kaufen?"

Ein anderer Ansatz: Weg von den ikonischen Alphabetisierungsclips, die lange ein Kernthema der Sesame Street waren und ein Anliegen der Mitgründerin Joan Ganz Cooney. Ihr Gedanke: "Leute, die lesen können, kontrollieren das System. Und Leute, die es in diesem System zu etwas bringen, lesen!", zitiert die "New York Times" die TV-Produzentin.

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Man entschied sich für komplexere, konfliktgeprägte Storylines, die länger dauern und tiefer auf die Charaktere eingehen, große Gefühle erkennen und mit ihnen umgehen. Der Fokus der aktuellen Staffel liegt auf mentaler Gesundheit – seit der Pandemie demnach ein großes Thema bei Kindern.

Die politische Zerrissenheit im Land tut ihr Übriges. Die Sesame Street sieht sich als Bildungsprogramm, jede Folge wird mit Fachleuten konzipiert. Aber wie gute Bildung aussieht, darüber ist man sich in den USA schon lange nicht mehr einig. Von erzkonservativen Republikanern wie Matt Schlapp bis zu Fox-News-Moderator Tucker Carlson – die Sesame Street wird nur zu gern herangezogen, wenn es darum geht, Argumente zu finden, um Gelder für öffentliche Medien wie PBS oder auch NPR zu kürzen. Übrigens ein großer Punkt in Donald Trumps Wahlprogramm. Als sich Big Bird während der Pandemie "impfen ließ", witterte der republikanische Senator Ted Cruz direkt eine Verschwörung.

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Das läuft in der deutschen Sesamstraße anders

Von der Sesamstraße gibt es mehr als 150 lokale Formate, die alle mit regionalen Partnern arbeiten. In Deutschland ist das seit 52 Jahren der NDR. Hier gibt es eine eigenständige Redaktion, die losgelöst von der US-Sendung Themen erarbeitet und überlegt. Und die von den Turbulenzen nicht betroffen ist.

"Die Herausforderungen, vor denen der Sesame Workshop derzeit steht, betreffen die deutsche Ausgabe in keiner Weise und sind zudem auch überhaupt nicht vergleichbar", sagte eine NDR-Sprecherin dem stern.

Die deutsche Sesamstraße hat sich demnach schon früh vom US-Pendant emanzipiert. Seit den Achtzigern sei die Sendung an die Lebensrealität deutscher Kinder angepasst. Der Fahrradladen von Schorsch sei ein gutes Beispiel dafür, Ernies und Berts Märchenstunde mit den Geschichten der Gebrüder Grimm ein weiteres. Die Puppenspieler schreiben viele ihrer Szenen selbst. Die beliebtesten Themen sind laut NDR soziales Miteinander, Freundschaft und Respekt.

Diese Art von Lokalisierung ist ein Teil des Erfolgsrezepts der deutschen Sesamstraße. "Mehr als 50 Jahre Partnerschaft sprechen für sich", sagt auch Bernhard Glöggler von Sesame Workshop. Deutschland sei der älteste und der erfolgreichste Ableger. Insgesamt wurden seit den Siebzigern mehr als 3000 Folgen ausgestrahlt.

Ein weiterer Unterschied zu den USA: der Zugang. Die Sesamstraße läuft beim NDR, auf dem Kinderkanal, in den ARD-Mediatheken, in einer eigenen App und auf einem eigenen Youtube-Kanal – teilweise mit riesigem Erfolg: der "Mahnah Mahnah"-Song hat mehr als 45 Millionen Views. "Da gehen wir mit der Mediennutzung unserer Userinnen", sagt Bernhard Glöggler. "Und wenn sich die wieder verändert, werden auch wir uns wieder verändern."

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