Leitmesse der Branche Per App auf Opa aufpassen: Ideen für die Pflege der Zukunft

Ein älterer Herr mit Mütze und Brille sitzt lachend vor einem Laptop
Pflege, die glücklich macht? Technische Ansätze dafür gibt es viele 
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Diese Woche startet die Altenpflegemesse. In Essen werden Lösungsvorschläge für das größte Problem der Branche: den Personalmangel. 

Zwischen 280.000 und 690.000 Pflegekräfte werden in Deutschland in 25 Jahren fehlen. Das hat das Statistische Bundesamt im Januar vorgerechnet. Wie will die Branche sich diesem Problem stellen? Lösungsvorschläge gibt es ab Dienstag in Essen zu sehen, da beginnt die Altenpflege-Messe, die bis zum 25. April dauern wird. Doch wer hochentwickelte Pflege-Androiden erwartet, wird enttäuscht: Die Innovationen in der Pflegebranche sind zwar vor allem technischer Natur, aber kommen im Moment nahezu unscheinbar daher.

So sieht man Roboter bei der Messe nur noch vereinzelt. Die Hoffnungen der Branche liegen vielmehr auf kleinen, cleveren Hilfsmitteln: Apps und Künstliche Intelligenz sollen den Arbeitsalltag für Pflegekräfte attraktiver machen. Oder Pflegebedürftigen helfen, mit weniger professioneller Unterstützung klarzukommen. Rund 500 Aussteller sind bei der Leitmesse der Branche vertreten. Die Herausforderung bleibt seit Jahren dieselbe: Gute Pflege für immer mehr alte Menschen – trotz des Personalnotstands und knapper Kassen.

"Die Herausforderungen sind gerade so groß wie nie zuvor in der Altenpflegebranche", sagt Steve Schrader, Experte für stationäre Pflege beim Messeveranstalter Vincentz Network. Längst warnten Fachleute davor, dass bald nicht mehr alle Pflegebedürftigen die Hilfe bekommen könnten, die sie brauchen. "Die Versorgungssicherheit ist inzwischen deutschlandweit gefährdet", betont Schrader.

Pflege für die Zukunft: Apps und KI

Wenn Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am Dienstag den Messekongress eröffnet, will die Branche ihm deshalb vor allem die Forderung nach besseren finanziellen Rahmenbedingungen für die Pflege mit auf den Weg geben. Aber mehr Geld allein wird nicht reichen. 


Auch aufsehenerregende Entwicklungen der vergangenen Jahre wie Pflegeroboter werden da kaum helfen können. "Die ganz großen Versprechungen, die es beim Thema Robotik in der Pflege gab, haben sich bislang nicht erfüllt", sagt Schrader. Dafür rücken einfachere Lösungen in den Fokus: Bei der Sonderschau Aveneo, bei der es im Rahmen der Messe um innovative Ideen geht, zeigen viele Aussteller in diesem Jahr kleine Tools, die auf dem Handy oder dem Bildschirm für Entlastung in der Branche sorgen sollen.

Rund um den Besuch des Gesundheitsministers könnte auch das Konzept der "stambulanten" Pflege diskutiert werden. Gemeint ist damit die Verbindung von stationärer und ambulanter Pflege. In Baden-Württemberg wird das unter anderem seit 2016 als Modellprojekt angeboten: Hier leben Menschen zwar unter Betreuung, quasi wie in einem Heim, aber Angehörige können sich selbst einbringen – indem sie beispielsweise ihre Eltern selbst waschen oder zu Bett bringen. Dadurch soll der Personalmangel abgefangen werden und Familien Kosten sparen können. Im März verkündete Lauterbach, diese Pflegeform in Deutschland einführen zu wollen.

Künstliche Intelligenz soll Pflegekräften helfen

Als technische Erleichterungen für das Personal gibt es beispielsweise eine KI, die Dienstpläne erstellt und möglichst alle Wünsche der Pflegekräfte und der Pflegebedürftigen berücksichtigen. Eingesetzt werden soll sie dort, wo ein menschlicher Planer an seine Grenzen stößt, erklärt Carolin Pauly, Geschäftsführerin des Instituts für Universal Design, das für die Sonderschau verantwortlich ist. Eine andere Firma bietet ein Gerät an, das Pflegekräften Papierkram abnimmt – etwa mit einer automatisierten Dokumentation von Wunden.

Auch die Gesundheit der Fachkräfte ist ein wichtiges Thema – denn viele geben den Job derzeit etwa wegen Rückenerkrankungen auf. Ein sogenanntes Exoskelett ist ein Angebot, das ihnen bei körperlich schweren Handgriffen mit Pflegebedürftigen helfen soll. 

Hilfsmittel für ein langes eigenständiges Leben

Entlastung für die Pflegebranche würde auch bringen, wenn Menschen im Alter gar nicht erst so viel Hilfe bräuchten und länger in den eigenen vier Wänden bleiben können. Ein Anbieter präsentiert dazu etwa einen Bilderrahmen, der mit einer Kamera den Pflegebedürftigen beobachtet und KI-gestützt Alarm schlägt, wenn er sich untypisch verhält oder Anzeichen von schlechter Laune zeigt. Eine andere Firma zeigt eine Weste mit eingebautem Airbag – wenn ein älterer Mensch stürzt, bläst sie sich auf und schützt Kopf und Oberkörper. 

Erfindungen wie diese könnten auch pflegenden Angehörigen erleichtern. Immerhin wird die Mehrheit der Pflegebedürftigen zu Hause versorgt, 2021 waren es über 80 Prozent. Von diesen wird wiederum die Mehrheit von Familie oder Freunden gepflegt. Aber ob diese die technischen Ansätze überhaupt nutzen wollen, bleibt offen. In den vergangenen Jahren standen die Deutschen KI oder Robotik in der Pflege eher skeptisch gegenüber.

Experte Schrader betont, dass mehr Geld, bessere Arbeitsbedingungen und eine flexible Einbindung von Angehörigen und Ehrenamtlichen in die Pflege Erfolg versprechende Ansätze für die Pflege der Zukunft seien. Dabei gehe es ganz grundsätzlich um die Frage, welche Pflege die heute 50- und 60-Jährigen im Alter noch bekommen können.

"Die Gefahr besteht durchaus, dass es zu einer Zwei-Klassen-Pflege kommt", warnt Schrader. "Dann könnten sich gute Pflege in einer wohnlichen Atmosphäre nur noch Menschen leisten, die über das nötige Geld verfügen – und der Sozialhilfeempfänger oder der Normalverdiener bekäme nur noch eine Standardpflege." Um das zu verhindern, müssten die Weichen in Politik und in der Branche jetzt gestellt werden.

jwa