Piraten Mythos Freibeuter

Von Peter Sandmeyer
Tausendfach geköpft - aber nicht totzukriegen. Lykier gegen Ägypter, Vandalen gegen Römer, Narentaner gegen Byzantiner - von der Antike bis ins späte Mittelalter herrschte an den Küsten des Mittelmeers ein lebhafter Kleinkrieg zwischen Kauffahrern und Freibeutern.

"Gefragt, ob sie Seeräuber seien, leugnen sie keineswegs", notierte der griechische Historiker Thukydides schon 400 v. Chr., "sie halten ihre Taten auch nicht für unanständig, und es gibt niemanden, der ihnen darob Vorwürfe macht." Im 16. Jahrhundert betrieb sogar der Malteserorden Piraterie und bereicherte sich nicht nur an osmanischen Handelsschiffen, sondern überfiel auch die seiner christlichen Brüder aus Venedig. Der italienische Pirat Balthasar Cossa brachte es 1410 im zweiten Teil seiner Karriere sogar bis zum Papst; allerdings gab es da schon zwei andere. In der chinesischen Provinz Guangdong konnte sich noch Anfang des 19. Jahrhunderts ein straff organisierter Piratenbund etablieren mit bis zu 150.000 Seeräubern, 1000 Schiffen, einem fürsorglichen System der Beuteverteilung und dem fortschrittlichen Angebot an die internationale Handelsschifffahrt, sich mit Geldzahlungen und Schutzbriefen freie Fahrt zu erkaufen.

In Nordeuropa waren es häufig die besten und kühnsten Seefahrer, die zu Piraten wurden. Die verwegenen holländischen "Wassergeusen" überfielen im 16. Jahrhundert die Schiffe der verhassten spanischen Besatzungsmacht, sie waren nicht nur Freibeuter, sondern auch Freiheitskämpfer. Auch der legendäre Francis Drake, der in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts spanische Schiffe und Niederlassungen in der Neuen Welt plünderte, war ein Pirat, allerdings ausgestattet mit einer Lizenz zum Rauben. Die britische Königin erhielt einen Anteil der Beute. Auch die "Vitalienbrüder" um Klaus Störtebeker und Godeke Michels, die berühmtesten Piraten der deutschen Küste, waren ursprünglich mit Kaperbriefen unterwegs. Die Hansestädte Wismar und Rostock hatten sie ausgestellt. Wer willens und imstande ist, "das riche czu Denemarken czu beschedigen", der war der Hanse willkommen. Schriftsteller Thomas Mann nannte das alte Hanseatentum "höheres Seeräubertum".

Es war eine verwegene Schar, die der Hanse um 1390 gegen die dänische Konkurrenz zu Hilfe kam. Entlaufene Bauern, verarmte Landadlige, bankrotte Kaufleute, aber vor allem Hafenvolk, viele davon Rebellen.

Ein Aufstand von Rebellen

gegen die Patrizier, aber auch gegen die neue Hierarchie auf den Schiffen. Die Besatzung stocherte nicht länger gemeinsam im Nebel. Die Entwicklung neuer Navigationstechniken entwertete die alte Bordgemeinschaft. Aus dem Kapitän wurde der Boss, aus den Matrosen wurden Lohnarbeiter. Die Piraten brachen mit Autoritäten und Unterordnung, mit Adelswillkür und Kaufmannshabsucht und mit einer Religion, die geduldiges Ertragen lehrte.

So segeln sie durch die Zeiten und Ozeane mitten hinein in die

Träume der Kinder und Kinobesucher

. Träume von Wildheit und Freiheit - "Gottes Freund und aller Welt Feind". Jahrzehntelang lebte der Mythos nur auf der Leinwand fort. Tot geglaubt tauchen die realen Freibeuter ausgerechnet in einer Welt von Radar- und Satellitenortung wieder auf. Überfallen Segler in der Karibik oder vor Korsika, machen die Straße von Malakka unsicher und jetzt die Gewässer vor Somalia.

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