Elf Monate nach Anschlag Stille Eröffnung: Magdeburg eröffnet Weihnachtsmarkt

Genau elf Monate nach dem Anschlag wurde der Magdeburger Weihnachtsmarkt eröffnet. Foto: Matthias Bein/dpa
Genau elf Monate nach dem Anschlag wurde der Magdeburger Weihnachtsmarkt eröffnet. Foto
© Matthias Bein/dpa
Vor gut einem Jahr sterben bei dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt sechs Menschen. Mehr als 300 werden zum Teil schwer verletzt. Jetzt öffnet der Weihnachtsmarkt wieder.

Ein riesiges Burgtor bildet den Zugang zum mittelalterlichen Teil des Magdeburger Weihnachtsmarkts. Dicke Betonsteine in Rot und Grün, den Farben der Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt, ziehen eine enge Reihe um den Alten Markt vor dem Rathaus und die angrenzenden Gebäude. Davor stehen Absperrgitter und riesige Sandsäcke. Der Markt erinnert in diesem Jahr an eine Festung.

Die ersten Besucher schlendern über den Markt, während in den Buden die Händler ihre Waren herrichten. Der Duft von Bratwurst und gebrannten Mandeln zieht durch die Luft. Es nieselt. Auf der Zufahrt zum Markt liegen Blumensträuße rund um kleine, quadratische Bodenplatten, die regennass glänzen. Ein älteres Paar bleibt stehen, legt einen Strauß nieder: ein Name in weißer Schrift. "... musste hier um ihr Leben kämpfen", steht darauf. "Sie verlor den Kampf und starb durch den feigen Anschlag auf den Weihnachtsmarkt." Im Hintergrund läuft in einer der Buden "All I Want for Christmas Is You".

Oberbürgermeisterin: "Werden diesen Tag nicht vergessen"

Vor genau elf Monaten raste an dieser Stelle ein 50 Jahre alter Mann mit einem 340 PS-starken Mietwagen vorbei. Nicht einmal eine Minute dauerte die Amokfahrt, die am 20. Dezember um 19:02 Uhr begann. Sechs Menschen starben, mehr als 300 wurden zum Teil schwerst verletzt. Jetzt hat der Weihnachtsmarkt in Magdeburg wieder geöffnet.

"Natürlich werden wir diesen Tag nicht vergessen", sagt Magdeburgs Oberbürgermeisterin Simone Borris (parteilos). "Umso näher dieser Tag rückt, umso emotionaler werden wir auch." Als sie das erste Mal wieder über den aufgebauten Markt gegangen sei, könne sie schon nachvollziehen, dass manche Menschen den Eindruck hätten, dass alles wie eine Festung aussehe. Aber sie hoffe, dass man auf dem Markt selbst auch wieder eine gewisse Freude verspüre, "dass man dieses Einmauern dann auch nicht mehr so wahrnimmt".

Stadt investiert massiv in Sicherheitsvorkehrungen

Mehr als 250.000 Euro hatte die Stadt Magdeburg schon lange vor dem neuen Weihnachtsmarkt in Sicherheitsvorkehrungen investiert. Neue Zugfahrtsicherungen wurden angeschafft, neue Betonsteine. In der vergangenen Woche gab es dann trotzdem noch einmal Diskussionen um Mängel im Sicherheitskonzept, die das Landesverwaltungsamt aufgeworfen hatte. Eine erste Genehmigung wurde durch die Landeshauptstadt daher verwehrt. Die Sicherheitsvorkehrungen wurden noch einmal erhöht. Dann, genau elf Monate nach dem Anschlag, wurde der Weihnachtsmarkt offiziell eröffnet - ohne große Ansprache, ohne Zeremonie. Die Buden waren einfach auf.

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"Es war eine schwierige Entscheidung, den Weihnachtsmarkt wieder auf dem Platz zu machen", sagte der Geschäftsführer der Magdeburger Weihnachtsmarkt GmbH, Paul-Gerhard Stieger. Ernsthafte Diskussionen über einen anderen Ort oder den Ausfall des Marktes gab es im Magdeburger Stadtrat allerdings nicht. Richtig so, finden viele Magdeburger, die an diesem verregneten Donnerstagmorgen über den Markt schlendern. Und auch die Schausteller

Schausteller erinnert sich: "Ich hab nur Schreie und Quieken gehört"

"Das muss hier sein", sagt Helmut Sulfrian. "Wir dürfen uns nicht von solchen Leuten einschüchtern lassen." Der 75 Jahre alte Magdeburger steht in mehrere Lagen Pullover und Jacken eingepackt vor einem historischen Kinderkarussell. Am 20. Dezember 2024 war er auch da, als Taleb al-Abdulmohsen nur wenige Meter entfernt mit bis zu 50 km/h durch eine Gasse zwischen den Buden fuhr. "Ich hab nur Schreie und Quieken gehört", sagt er. Dann habe er sofort den Notknopf gedrückt, das Karussell sei voller Kinder gewesen. "Die Eltern haben die Kinder aus dem Karussell gerissen." 

Die Entscheidung, den Weihnachtsmarkt wieder an gleicher Stelle aufzubauen, ist in Magdeburg nicht unumstritten. Doch während der Diskussionen in einem Sonderausschuss des Stadtrats ist schnell klar: Politik, Händler und Verwaltung wollen den Markt an gleicher Stelle haben. Im Sommer habe es sogar mehr Bewerbungen als im Vorjahr für die rund 140 Budenplätze gegeben, teilte die Magdeburger Weihnachtsmarkt GmbH mit. Zum Tag des Anschlags selbst wird der Weihnachtsmarkt geschlossen bleiben. Die Stadt plant eine Lichterkette um den Alten Markt, Gottesdienste, eine Gedenkveranstaltung. Um 19:02 Uhr sollen alle Glocken der Stadt läuten. 

Prozess gegen Attentäter läuft nur wenige Kilometer entfernt

Nur knapp zwei Kilometer entfernt, in einem eigens errichteten Interimsgebäude, läuft der Prozess gegen den Attentäter. Vor zehn Tagen hat der Prozess begonnen, einer der größten in der Geschichte des Landes. Rund 180 Nebenkläger sind mit ihren 40 Anwälten beteiligt. Während der Verhandlungen sitzt der Attentäter mit seinen beiden Verteidigern in einem Kasten aus Sicherheitsglas. Jeden Tag wird er von einer Haftanstalt in Sachsen-Anhalt mit dem Hubschrauber schwer gesichert zum Prozess gebracht. Knapp 50 Verhandlungstage sind angesetzt. Immer wieder ermahnt der Vorsitzende Richter den Angeklagten, wenn der sich in lange Reden und Monologe verliert. 

Auf dem Weihnachtsmarkt selbst hoffen die Menschen auf eine ruhige Zeit. Eine ältere Dame ist etwas kritischer und spricht den Schatten an, der über dem Fest liegt: "Wenn man das ganze drumherum sieht, dann denkt man sich: und das nennt sich jetzt besinnliche Adventszeit."

dpa