75 Jahre stern Was mögen unsere Leser am stern? Antworten eines älteren Herren und einer jungen Frau

Hubertus Kirner sitzt mit dem stern in seinem Wohnzimmer
Hubertus Kirner, 86, ist stern-Abonnent seit Heft Nr. 1/1963
© Quirin Leppert
Und nun ein bisschen Eigenwerbung: Was mögen unsere Leserinnen und Leser am stern? Antworten eines älteren Herrn – und einer jungen Frau.

Deutschland, 1963. Konrad Adenauer ist noch Kanzler. US-Präsident John F. Kennedy versichert, dass er ein Berliner sei. Das ZDF geht auf Sendung. In den Plattenläden steht das Debütalbum einer neuen Band namens The Beatles. Und Hubertus Kirner, Industriekaufmann aus dem oberbayerischen Murnau, leistet sich erstmals ein stern-Abo. Es besteht bis heute – ohne Unterbrechung. 75 Jahre stern und 60 Jahre Abotreue: Zeit, diesen Leser mal zu besuchen.

Hubertus Kirner sitzt mit dem stern in seinem Wohnzimmer
Hubertus Kirner, 86, ist stern-Abonnent seit Heft Nr. 1/1963
© Quirin Leppert

So wie Hubertus Kirner im Türrahmen seines Hauses steht, wirkt er nicht wie bald 87. Eher 15 Jahre jünger. Bis zur Pandemie fuhr er mit Begeisterung Ski alpin und saß regelmäßig im Dressursattel. Dann kam Corona, und zehn Menschen in seinem Bekanntenkreis und seiner Verwandtschaft starben. Aber Kirner? Topfit. "Wir gehen dann mal ins Wohnzimmer", sagt der Gastgeber, "die Treppen hoch, ich gehe vor."

Das Tempo, in dem Kirner die Stufen in den zweiten Stock hochstürmt, lässt für einen Moment die Hoffnung keimen, dass das Leben im Alter vielleicht doch ganz schön werden kann. Im Wohnzimmer, dekoriert mit religiöser Hinterglasmalerei, liegt der stern mit dem Gespräch mit Bestsellerautor Ferdinand von Schirach. "Das hat mich sehr berührt", sagt Kirner. "Ein lebenskluger Mann, ein kluges Gespräch." So mag er "seinen" stern. Und blickt zurück: "1962 habe ich das Heft noch am Kiosk gekauft. Es gab auch die ,Quick‘ und die ,Revue‘ und natürlich den ,Spiegel‘. Aber der stern bot für mich die g’scheiteste Mischung: Politik und Unterhaltung, Schweres und Leichtes. Daran hat sich für mich bis heute nichts geändert."

Kultur und Ausland haben Einfluss

Kirner liest das Heft seit Ausgabe 1/1963 nach immer demselben Prinzip: von der ersten bis zur letzten Seite. "Ich lasse nichts aus, vielleicht bis auf die Küchenseite. Ich kann nicht kochen. Bei mir brennt selbst Wasser an." Zum Glück ("Eine wirkliche Gnade für uns!") ist er seit 56 Jahren mit seiner Frau Marianne verheiratet, die sich auch ums Essen kümmert. Kirner deutet auf seine Bücherregale. "Vieles davon verdanke ich Ihnen. Ich verlasse mich vollkommen auf die Rezensionen Ihres Kulturressorts. Drei Bücher pro Monat kaufe ich immer. Und bin nur selten enttäuscht worden."

Kirner ist Bayer mit Herz und Seele ("Immerhin haben wir mehr Einwohner als Österreich!"), aber im stern interessiert ihn vor allem die Auslandsberichterstattung. "Es ist mir wichtig, die großen Entwicklungen und Zusammenhänge zu verstehen", sagt er. "Ihr habt da tolle Leute und schreibt tolle Reportagen, etwa aus Südamerika, den USA, aus Russland oder der Ukraine." Kirner hat selbst viel von der Welt gesehen. Genauer: 137 Länder. Manche auch beruflich bedingt, denn als Industriekaufmann hat er in der Textil-, der Papier- und der Bauindustrie gearbeitet und ist dem Beruf, wie er sagt, "immer hinterhergereist". An sechs Tagen pro Woche, mit vielen freiwilligen Überstunden. "Ich bin davon überzeugt: Das Wichtigste im Leben eines Mannes ist die Arbeit. Dazu stehe ich."

Auch auf den großen stern-Skandal blickt Kirner mit den Augen eines Kaufmanns zurück: "Ich habe dem Magazin auch nach den Hitler-Tagebüchern die Treue gehalten. Menschen machen Fehler. Und hier wurden viele Fehler gemacht. Was mich aber wirklich geärgert hat: Wo war die Kontrolle? Welcher Kaufmann wirft mal eben ein paar Millionen zum Fenster hinaus – ohne wirklich sicherzustellen, dass er dafür einen echten Gegenwert bekommt?"

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Treue trotz und wegen der Skandale

Apropos Skandal: Dass der stern die Steueraffäre um Uli Hoeneß ins Rollen brachte, fand Kirner selbst als bajuwarischer Lokalpatriot "großartig": "Kompliment für die Enthüllung. Aber Kompliment auch für Hoeneß, der sich seiner Verantwortung gestellt und alles zurückgezahlt hat." Weniger gnädig geht Kirner mit den Politikern um und verfällt dabei kurz ins Bairische: "Den Strauß ham ma scho g’mocht!" Ohne den Franz Josef sei die Politik langweiliger geworden. "Wer geht heute überhaupt noch in die Politik? Jeder Sparkassendirektor bekommt mehr Geld, als die Merkel bekam. Wir brauchen höhere Diäten, um die besten Leute zu bekommen."

Kirners Fazit? Der stern möge bitte so bleiben, wie er jetzt gerade ist. Zum Staunen, zum Nachdenken. Und zum Lachen. "Die Gedichte von Thomas Gsella sind herrlich. Dafür hat sich der Mann ein paar Extra-Streicheleinheiten verdient!"

Jette Jeuk am Tisch
Jette Jeuk, 19, liest das Magazin seit fünf Jahren regelmäßig. Bald beginnt sie ein Medizinstudium
© sandra birkner/stern

Ortswechsel: Vom bald 87 Jahre alten Abonnenten zu einer 19 Jahre jungen stern-Leserin sind es knapp 550 Kilometer.

In Dornburg im Westerwald lebt Jette Jeuk, für ein paar Wochen noch im Haus ihrer Eltern. Zweiter Hausbesuch. Eine junge Frau öffnet die Tür. "Hallo, da sind Sie ja!", sagt Jeuk. Und bittet ins Wohnzimmer. Hell und freundlich, viel Holz mit einem runden Tisch. Wieso ausgerechnet diese Leserin? Jeuk hatte der Redaktion vor ein paar Monaten einen ziemlich guten Leserbrief geschrieben. Darin ging es um ihren Traumberuf Ärztin und um die Frage, warum Frauen in diesem Beruf oft noch immer benachteiligt werden. Sie lese den stern regelmäßig, hatte sie damals auf Nachfrage erklärt.

Jette Jeuk am Tisch
Jette Jeuk, 19, liest das Magazin seit fünf Jahren regelmäßig. Bald beginnt sie ein Medizinstudium
© sandra birkner/stern

Eine 19-jährige Gymnasiastin, die im Jahr 2023 ein auf Papier gedrucktes Magazin liest und dann auch noch der Redaktion schreibt? Klang fast wie im Märchen. "Für mich ist es ein Vorurteil, dass der stern Menschen in meinem Alter nichts mehr bieten kann", sagt Jeuk, "ich denke da zum Beispiel an die Berichte über Taylor Swift oder die Legalisierung von Cannabis."

Es ist ein bisschen unheimlich, der jungen Frau zuzuhören: Jette Jeuk – Vater Elektroingenieur, Mutter kaufmännische Angestellte, ein jüngerer Bruder – formuliert fast druckreif. Kürzlich hat sie das Abitur gemacht. Mit ihrer Durchschnittsnote rückt sie erst auf Nachfrage heraus: 1,0. Ergebnis nicht nur von Intelligenz und Fleiß, sondern von, wie sie es sagt, "einem gewissen Hang zum Perfektionismus".

Es war ihr Vater, der sie auf den stern brachte. Christian Jeuk hatte 2006 ein Abo zum 40. Geburtstag bekommen. Vor fünf Jahren begann Jette selbst im Heft zu blättern. "Ich wollte damals nicht viel lesen. Deshalb haben mich zunächst die ,Bilder der Woche‘ reingezogen." Inzwischen interessiert sich Jeuk vor allem für Politik und Medizin – schließlich möchte sie Ärztin werden. Die Rubrik "Die Diagnose" gehöre zu ihren Favoriten, auch als Podcast. Natürlich ist Jette Jeuk auch online und in den sozialen Medien unterwegs, vor allem bei Instagram und Tiktok. "Ich weiß das Thema Social Media schon richtig einzuordnen", sagt sie, "Medienkompetenz haben wir schließlich in der Schule gelernt."

Die Welt auf neuer Ebene verstehen

Dort sei es für sie zuletzt aber vor allem ums Auswendiglernen gegangen. Jetzt möchte Jeuk den Dingen mehr auf den Grund gehen, auch Bestehendes hinterfragen. "Ich will mir mein eigenes Bild von der Welt machen. Das ist mir auch beim stern wichtig. Ich kann es nicht leiden, wenn jemand von oben herab auf mich einredet und versucht, mir seine Weltsicht einzupredigen. Ich will nicht missioniert werden. Ich bin ja noch klargeistig – und will selbst denken und mir meine Meinung bilden."

Deshalb hat es Jeuk gefallen, als der stern während der Pandemie den Ungeimpften eine Titelgeschichte widmete. "Ich bin selbst geimpft, aber ich fand es spannend, die Meinung Andersdenkender kennenzulernen. Auf Augenhöhe. Das leistet der stern immer wieder." Augenhöhe – ein Wort, dass Jeuk im Gespräch mehrfach benutzt. Sie wünsche sich, dass Menschen mehr miteinander statt übereinander redeten, auf der Basis solider Informationen.

"Überall gibt es diese Polarisierung", sagt Jeuk, "egal, ob beim Thema Sexismus, Gendern, Migration oder Ukrainekrieg. Jeder beharrt auf seiner Position, es gibt so wenig Dialog. Wir sollten miteinander streiten, aber unterschiedliche Standpunkte aushalten und uns mit ihnen auseinandersetzen können. Stattdessen nimmt die Polarisierung in ganz Europa zu, rechtspopulistische Parteien werden leider überall stärker."

Das Interview mit AfD-Chefin Alice Weidel fand Jeuk ein richtiges Signal. "Es bringt nichts, das Phänomen AfD totzuschweigen. Der Zulauf für die Partei wird dadurch ja nicht weniger." Trotzdem hätte sich Jeuk eine etwas andere Interview-Führung gewünscht. "Ich hatte das Gefühl, dass die Journalisten zu sehr auf Konfrontation aus waren. Ich dachte nur: Wow, die Frau Weidel pariert alle Vorwürfe aber ziemlich eloquent. Eigentor, stern!"

Das Treffen geht zu Ende. Jette Jeuk widmet sich wieder den Dingen, die jetzt für sie wichtig werden: Sie sucht dringend eine Wohnung in Frankfurt. Bald beginnt sie dort ihr Medizinstudium. Sie will sich für andere Menschen einsetzen, vielleicht als Kinderärztin. Den stern wird sie weiterhin lesen – und sei es bei Besuchen zu Hause.

Erschienen in stern 38/2023