"Citius, Altius, Fortius" – das in der Olympischen Charta ausgewiesene Motto "Schneller, Höher, Stärker" steht für die Ansprüche an die Sportler bei den alle vier Jahre stattfindenden Wettkämpfen. Es könnte aber auch sinnbildlich für die Aussetzer der IOC-Offiziellen stehen, die sich bei politisch heiklen Aussagen regelmäßig übertreffen, immer schneller in Fettnäpfchen treten und nur zwei Monate vor den Olympischen Winterspielen in Peking immer stärker unter Druck geraten. Eine kleine Auswahl des Versagens des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) in den letzten Tagen:
Der Fall Peng Shuai – für den IOC ist alles in Ordnung
Da ist der Fall der chinesischen Tennisspielerin Peng Shuai, der ein düsteres Licht auf das IOC wirft. Die 35-Jährige warf Anfang November dem Ersten Vizepremierminister Zhang Gaoli auf der Social-Media-Plattform Weibo vor, sie 2018 sexuell missbraucht zu haben. Nur kurz nach der Veröffentlichung war der Post ebenso verschwunden, wie Peng Shuai selbst. Sämtliche Kontaktversuche des internationalen Frauentennis-Verbands WTA sowie anderen Organisationen laufen seitdem ins Leere. Es folgt der Auftritt des IOC, nachdem der Druck auf die Organisation wegen der anstehenden Peking-Spiele immer größer wurde: Mitte November veröffentlichte die Presseabteilung ein Foto von IOC-Chef Thomas Bach, das ihn in einer Videokonferenz mit Peng Shuai zeigen soll. Über den Inhalt des Gesprächs machte das IOC keine konkreten Angaben, stattdessen setze man auf eine "stille Diplomatie, die man weiter verfolgen werde", erklärte Bach in einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur.
Das IOC versicherte nach dem Gespräch, dass es Peng Shuai gut gehe und sie Wert auf Privatsphäre legen würde. Über die Umstände der Gespräche – Anfang Dezember sprachen Peng und Bach erneut – ist weiterhin wenig bekannt, so dass der Eindruck entsteht, das IOC lasse sich von China einspannen und dass das Durchführen der Winterspiele das primäre Ziel ist. Einen Vorwurf, den auch der Verein Athleten Deutschland dem IOC in einem öffentlichen Schreiben in der vergangenen Woche machte. "Der fragwürdige Umgang mit Peng Shuai hat unsere Zweifel an den handlungsleitenden Motiven des IOC erneuert", heißt es in dem Brief. Die Haltung des Dachverbandes lasse befürchten, dass das IOC den "politischen und wirtschaftlichen Interessen größeren Stellenwert" beimesse als dem Schutz von Athlet:innen. Dass man statt Wischi-Waschi-Aussagen auch einfach handeln kann, zeigte die WTA. Der Verband erklärte, dass man keinerlei Turniere mehr in China austragen werde und damit auch erhebliche finanzielle Verluste in Kauf nehme. Laut "Sports Illustrated" erzielt die WTA rund ein Drittel ihrer Einnahmen auf dem chinesischen Markt.
Misshandlung von Uiguren in China? Das IOC hat davon noch nichts gehört
So undurchsichtig der Fall Peng Shuai ist, so klarer wird die IOC-Haltung in Bezug auf China. Nachdem sich die Akte Peng Shuai in den letzten Tagen ein wenig geschlossen hatte, sorgte IOC-Funktionär Richard Pound mit fragwürdigen Aussagen in einem Interview mit dem Deutschlandfunk für Aufsehen. Angesprochen auf die Lage der Uiguren, eine in Xianjing lebende muslimische Minderheit, die zu hunderttausenden in Umerziehungslager interniert werden, sagte Pound, dass er "zu wenig über die Fakten" wisse. Gleichzeitig säte Pound aber auch Zweifel an den Vorwürfen gegen China. "Das, was als Fakt behauptet wird, muss nicht unbedingt stimmen", sagte Pound. Ebenso zweifelte Pound an, dass es Berichte von Menschenrechtsorganisationen ("Gibt es die? Wirklich?") gibt und auch von den Reportagen von Buzzfeed und der New York Times zur Lage in Xianjing will Pound nichts gewusst haben: "Sie können mich für mein Unwissen beschimpfen, wie sie wollen. Aber ich weiß es nicht."
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Dass Pound das Interview damit beendet, dass die Athlet:innen in Absprache mit China ihre Meinung frei äußern dürfen, nur halt nicht bei Wettkämpfen und der Medaillenvergabe ist die Kirsche auf der Torte. Denn was das IOC hier als große Errungenschaft im Austausch mit China feiert, ist nichts anderes als eine Regel in der Olympischen Charta. Die eigenen Regeln zu brechen, wäre wohl ebenso fatal für das Ansehen des IOC wie ein Athlet, der für seine Meinung in China inhaftiert wird. Und wohlgemerkt: Pound verwechselt dabei auch noch die Regeln der Charta. Der 79-Jährige verweist bei der Meinungsfreiheit im Interview auf die Regel 30 der Charta. Diese beschäftigt sich jedoch mit der Länderbezeichnung der jeweiligen nationalen olympischen Komitees. Richtig wäre Regel 50 gewesen, was man als IOC-Mitglied seit 1978 durchaus wissen könnte.
Pounds Einstellung und die des IOC sind so einfach wie offensichtlich. Bei allem, was das IOC in ein ungünstiges Licht rücken könnte, duckt man sich weg und gibt den Ahnungslosen. Was man nicht weiß, macht einen nicht heiß. Und wenn man von Menschenrechtsverletzungen in China noch nie gehört hat, ist doch alles paletti mit der traumhaften Austragung der Winterspiele. Dabei wäre es auf Dauer auch für das Ansehen des IOC ratsam, Wettkämpfe in Länder zu vergeben, in denen nicht massive Menschenrechtsverletzungen dokumentiert sind – gleiches gilt auch für die Fifa und die WM in Katar.
Nazi-Propaganda auf Social Media? Was ist da schon dabei!
Aber das IOC wäre nicht das IOC, wenn es sich nicht gleich noch eine Grube graben würde. Das Internet vergisst selten und so vergisst es auch nicht den nächsten vermasselten Social-Media-Auftritt des IOC. Als Vorbereitung für die anstehenden Winterspiele wurden auf den Kanälen Plakate vergangener Spiele gezeigt. Den Anfang machten die Winterspiele von 1928 in Sankt Moritz, mit Alpenkulisse und der Fahne von IOC und der Schweiz. Auch die Winterspiele von 1932 in Lake Placid mit schattiertem Skispringer und der US-Karte waren dort zu sehen. Mit dem Post zu den Nazi-Winterspielen 1936 in Garmisch-Partenkirchen aber löste die Social-Media-Abteilung am Wochenende den nächsten berechtigten Shitstorm aus. "Gefällt es euch?", fragt das IOC die User und betätigt sich gleich noch als Kunstkritiker. Das Plakat zeichne sich durch die Farbkontraste und die asymmetrischen Linien aus. Dass das Plakat von Ludwig Hohlwein stammt – dem Mann, der das visuelle Erscheinungsbild des Dritten Reichs mitprägte – und einen Sportler beim Hitlergruß zeigt? Nebensächlich! Der historische und politische Kontext der Propagandaspiele der Nazis ist hier komplett hinfällig, ist ja immerhin auch schon 85 Jahre und einen Weltkrieg her.
Im vergangenen Jahr postete das IOC bei Twitter ein Video der Sommerspiele 1936 in Berlin und den Verweis auf den ersten Fackellauf, der das Feuer zur Schale brachte. Verwendet wurden dafür Bilder aus Leni Riefenstahls Propagandafilm "Olympia". Eine Einordnung blieb auch hier aus. Im Juli dieses Jahres wurde dann ein neuer Imageclip veröffentlicht. In diesem wirbt das IOC mit Ágnes Keleti, die älteste noch lebende Olympiasiegerin und Holocaust-Überlebende. Gegengeschnitten wird die Geschichte erneut mit Bildern der Nazi-Spiele von Leni Riefenstahl. Umso geschmackloser ist dieser von der "FAZ" betitelte "entgrenzende Tabubruch", da Keletis Vater und mehrere Onkel von den Nazis in Auschwitz ermordet wurden.
Nach starker Kritik in den sozialen Medien wurde der Beitrag am Wochenende kommentarlos vom IOC gelöscht. Auf der Homepage aber findet sich das Plakat mit ähnlicher Betitelung weiterhin – von einer historischen oder politischen Einordnung fehlt auch hier jede Spur. Es ist ein verheerendes Bild, dass das IOC in seiner Gesamtheit abgibt. Das Komitee legt weiterhin Wert darauf, Sport und Politik voneinander zu trennen. Dabei sind viele politische Themen längst im Sport angekommen, sei es das Hinknien von Sportlern vor Spielbeginn als Zeichen gegen Rassismus, der Einsatz von vielen Vereinen gegen Homophobie oder das Verschwinden von Sportlern nach Kritik an der Politik des Heimatlandes. So aber macht sich die Organisation zu einem Spielball von Diktatoren, Autokraten und anderen Despoten. Die Arroganz und Ignoranz der IOC-Oberen beim Umgang mit wichtigen politischen und humanitären Fragen schaden dem Sport im Allgemeinen.
Ohne Frage, die Olympischen Spiele sind wie alle anderen Großveranstaltungen im Sport zu einem Milliardeninstrument verkommen, doch die Finanzen und das eigene Ansehen vor das Wohl der Sportler weltweit zu stellen, ist genau der falsche Weg, den das IOC (und auch die Fifa) einschlägt. Die anstehenden Spiele in Peking könnte man mit "Koste es, was es wolle" betiteln – und sei es das Leben von zig unschuldigen Menschen. Vielleicht lohnt es sich aber auch, wenn sich das IOC ein neues Motto zulegt: "nichts hören, nichts sehen, nichts sagen" scheint mittlerweile treffender zu sein.
Quellen: Twitter, Der Spiegel, Deutschlandfunk, FAZ