Studentische Wohnungsnot Ich habe eine Wohnung gesucht. Bekommen habe ich fragwürdige "Jobangebote"

Drei junge Menschen gehen mit Umzugskisten und vollen Wäschekörben die Treppe hoch und blicken hinauf
Endlich umziehen. Doch wohin, auf dem angespannten Wohnungsmarkt? Bezahlbarer Wohnraum für Studierende ist selten. Die Wohnungssuche kann da manchmal ganz schön abenteuerlich werden, weiß unsere Autorin.
© Anchiy / Getty Images
Die Wohnungssuche als Studentin kann ganz schön abenteuerlich sein. Auf ihrer langen Suche nach einem WG-Zimmer oder einer bezahlbaren kleinen Wohnung in Hamburg hat unsere Autorin jedenfalls viel Skurriles erlebt.

"Suchst du eigentlich auch noch einen Nebenjob? Ich suche Frauen, die ihre getragene Unterwäsche oder Socken verkaufen wollen. Interesse?" So lautete eine von vielen Anfragen, die ich auf meine Suchanzeige nach einem WG-Zimmer in Hamburg bekommen habe. Diese Nachricht war aber nur ein Vorgeschmack auf eine ganze Reihe skurriler Reaktionen. 

Wer schonmal in der Großstadt nach einem Zimmer in einer WG oder einer Wohnung gesucht hat, kennt das Problem. Bei einem angespannten Markt, der zu immer abstruseren Preisen für WG-Zimmer und kleine Wohnungen führt, wird der Kampf um ein noch einigermaßen bezahlbares Zimmer immer härter. Alles, was einen bei der Bewerbung attraktiver machen könnte, wird da angepriesen: Eine Bürgschaft von meinen Eltern kann ich bekommen; einen neuen Dyson-Staubsauger oder eine neue teure italienische Espressomaschine, die in Raten abbezahlt wird, wie einige meiner Mitbewerber:innen in ihren Anzeigen ausführen, kann ich leider nicht vorweisen. 

Wohnungssuche mit 500 Euro

500 Euro habe ich mir als Grenze gesetzt. Eigentlich schon viel zu viel für mein kleines Budget, aber wer nicht stundenlang in die Hamburger-Innenstadt zur Uni fahren möchte, muss das leider einplanen, um überhaupt etwas Passendes zu finden. Und natürlich möchte auch ich – wie fast alle – am liebsten in den begehrten Hamburger Stadtteilen Altona, Eimsbüttel oder Mitte meine neue Traum-WG finden. Eine gute Anbindung mit den Öffentlichen Verkehrsmitteln ist mir ebenfalls wichtig, denn ich bin viel unterwegs. Ich weiß, das sind nicht die einfachsten Voraussetzungen.

Also stelle ich die Benachrichtigungen aller Apps, über die sich Wohnungen und WG-Zimmer finden lassen, sofort an und eine Mail habe ich auch schon vorformuliert, damit ich möglichst innerhalb von Minuten auf neue Angebote reagieren kann. Die Suche kann beginnen.

Auf WG-Gesucht finde ich zwar meist keine klassischen WGs, aber die Angebote hier sind nett: Mütter bieten das Zimmer ihres ausgezogenen älteren Kindes an oder ältere Damen haben in ihrer Wohnung noch Platz und bieten ein Zimmer an. Daneben gibt es Angebote, die zu schön wirken, um wahr zu sein, wahrscheinlich eine Abzock-Masche. Es ist immer der gleiche Text. "Hallo, mein Name ist Ulrike. zunächst vielen Dank für Ihr Interesse an meiner Wohnung in der [hier Adresse einfügen]. Mein Vater hat mir diese Wohnung gekauft, als ich in Deutschland studierte, aber jetzt bin ich wieder zu Hause (Spanien) und vermiete sie auf unbestimmte Zeit."

Fragwürdige Angebote

Je näher der Semesterstart rückt, desto verzweifelter werde ich. Ich möchte nicht zu den vielen Studierenden gehören, die zum Semesterstart noch wohnungslos sind. Vielleicht muss ich doch mein Budget erhöhen? Meinen Suchradius habe ich bereits ausgeweitet. Im Minutentakt durchsuche ich die Portale, aber die Anzeigendichte wird weniger – der Semesterstart kommt näher. Jetzt muss ich meine Suchstrategie radikal ändern und selbst in die Offensive gehen: eine Suchanzeige über Kleinanzeigen. Dass ich hier nicht nur Wohnungsangebote bekommen würde, war mir klar. Deshalb hatte ich bisher keine eigene Suchanzeige erstellt. Die Menge der seltsamen Anfragen überrascht mich dann aber doch. 

Ob ich nicht einen Nebenjob suchen würde und dafür getragene Wäsche verkaufen wolle – diese Frage wird mir nicht nur einmal gestellt. Und dann meldet sich noch eine wirklich nett wirkende Studentin mit einem freien Zimmer. Sie schreibt mir, dass ich es haben könnte, wenn ich wollte. Es wäre auch wirklich günstig! Wo die Wohnung liege und wie teuer das Zimmer sei, frage ich sie über WhatsApp. Gar nichts, schreibt sie zurück. Verlockend, aber doch ein bisschen suspekt. Ob ich eigentlich auch auf Frauen stehen würde, schickt sie direkt hinterher. Es sei halt so schwer andere Frauen kennenzulernen, so mit Corona und überhaupt. 

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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Zahlen und Fakten zur studentischen Wohnungsnot

458 Euro geben Studierende laut dem Moses Mendelssohn Institut im Sommersemester 2023 im Schnitt für ihre Wohnung aus. In Großstädten werden es leicht über 600 Euro. In Berlin zum Beispiel liegt der durchschnittliche Preis für ein WG-Zimmer inzwischen bei 640 Euro monatlich, in München sogar bei 720 Euro. Hamburg ist da mit einer durchschnittlichen Miete von 570 Euro noch verhältnismäßig „günstig“. Dabei sieht das BAföG gerade einmal 360 Euro monatlich für die Miete von Studierenden vor. Für diesen Preis zu wohnen, ist nicht einmal mehr in allen Studierendenwohnheimen möglich. Kein Wunder, dass viele während der Coronapandemie zurück zu ihren Eltern gezogen sind. Denn nicht selten geben Studierende über 50 Prozent ihres monatlichen Budgets für die Miete aus, wie die im Frühjahr 2023 veröffentlichte 22. Sozialerhebung des Deutschen Studierendenwerks zeigt, die sich aus Zahlen aus 2021 bezieht.  

Schade, damit hat sich diese kostenlose Unterkunft wohl erledigt. Ob sie vielleicht wirklich nur nett ein Zimmer anbieten wollte, explizit nach einer Mitbewohnerin für Sex gesucht hat, oder eigentlich nicht mal ein Zimmer hatte und Kleinanzeigen zu ihrem Dating-Portal gemacht hat, ich weiß es nicht. Denn ihre Nummer blockiere ich sofort.

Der lebendige Fußabtreter

Mein absolutes "Highlight" – oder besser Lowlight – erhalte ich kurz darauf per Sprachnachricht: Eine – vermeintliche – WG, will eine kleine Vorauswahl treffen bei den vielen Bewerbungen, die sie bekommen haben, erzählt mir eine junge, männlich klingende Stimme. Dafür sollen alle auf ein, natürlich "rein hypothetisches", Szenario, dass sich die WG überlegt habe, reagieren. "Stell dir vor", sagt die Stimme, "dir wird angeboten, dass eine Person für unsere WG eine Party schmeißt. Getränke, Snacks, wirklich alles wird bezahlt." Klingt erstmal gut, denke ich. Doch dann der Twist. Denn es gäbe natürlich eine Bedingung. "Die Person, die die Party zahlt, möchte sich gerne als lebendige Fußmatte in den Eingang legen und jede Person, die auf die Party kommt, müsste erstmal auf die Person treten, also über sie rüber, um auf die Party zu kommen", erzählt der Anbieter weiter.

"Das wirkt wirklich seltsam. Bitte blockier die Nummer", sagt mir eine Freundin, die beim Anhören der Nachricht besorgt neben mir sitzt. Ich hätte sofort auf sie hören und die Person nach dieser Nachricht blockieren sollen, denn natürlich kommt mir dieses "rein hypothetische" Szenario komisch vor. Aber es sind keine zwei Wochen mehr bis zum Semesterstart, und ich bin verzweifelt, sehr verzweifelt. 

Schließlich siegt meine Angst, keine Wohnung zu finden, und ich antworte. Schreibe irgendwas in Richtung, dass die Anfrage ja schon seltsam sei, und ich mich fragen würde, was die Person daran finden würde, als lebendige Fußmatte im Eingang einer Party zu liegen, aber natürlich würde ich das nicht allein entscheiden, sondern eben zusammen mit der gesamten WG. 

Die Antwort bestätigt mein schlechte Bauchgefühl: Der Absender würde selbst gerne den lebendigen Fußabtreter für eine WG-Party geben. Ob es tatsächlich eine WG gibt, die seine seltsame Vorliebe hinnimmt, oder ob eine Einzelperson hinter der Anzeige steht, die auf diesem Weg nach Menschen sucht, die so eine Party schmeißen wollen, weiß ich nicht. Denn noch nie habe ich so schnell den Blockieren-Button gedrückt. 

Über 100 Mails

Wenn ich mit Kommiliton:innen spreche, höre ich solche Geschichten leider immer wieder: themenfremde, immer wieder auch sexualisierende Nachrichten als Antwort auf ein Wohnungsgesuch. 

Wie viele Mails ich in den gut zwei Monaten Suche verschickt habe, kann ich gar nicht mehr zählen. Über hundert Mails werden es aber gewesen sein. Antworten bekomme ich maximal zwanzig. Mehr als die Hälfte sind also direkte Absagen. Nur etwa fünf Mal durfte ich die Bewohner:innen einer WG überhaupt kennenlernen.

Während der Orientierungswoche ist es dann endlich so weit: "Hey, wir würden uns freuen, wenn du bei uns einziehst", steht in der Nachricht einer WG, mit der ich mich schon bei der Besichtigung, beim "Casting", wirklich gut verstanden habe. Gefunden habe ich sie dann doch ganz klassisch über die Plattform WG-Gesucht. Ich habe den Bewohner:innen geschrieben, wir haben geskyped, sie fanden mich sympathisch, ich fand die WG sympathisch, also kann ich einziehen. Schon eine Woche später. 

Mein Budget habe ich am Ende um fast 50 Euro gerissen. Aber es nützt ja nichts. Wohnungslos zu werden, ist auch keine Option. Also bleibt es vorerst bei Nudeln mit Pesto. Hauptsache die Miete ist bezahlt.

Wie eine Gruppe Studierender aus Heidelberg ihre ganz eigene Lösung für das Wohnungsproblem gefunden hat, lesen Sie hier.