Sylt kommt nicht zur Ruhe: Erst die Punkerinnen und Punker, die dank des 9-Euro-Tickets nach Westerland einfallen, dann Christian Lindners Traumhochzeit und jetzt das: Am Wochenende will das linke Bündnis "Wer hat, der gibt" auf der Nordseeinsel demonstrieren.
"Sylt entern – Klassenfahrt zu den Reichen". So trommeln die Organisatorinnen und Organisatoren schon seit Wochen für den kollektiven Sturm auf Sylt, im Internet und auf Plakaten. "Am 16. Juli ist Sylt fällig", heißt es unter anderem in dem Aufruf. Bis zu 500 Teilnehmende werden erwartet, teilt die Kreisverwaltung Nordfriesland als zuständige Versammlungsbehörde auf stern-Anfrage mit. Ob es wirklich so viele werden, ist ungewiss. Schon in der Vergangenheit hatten sich Demo-Veranstaltende auf Sylt kräftig verkalkuliert.
Demonstration auf Sylt angekündigt
Die Demonstrierenden wollen am Samstag nach einer Kundgebung in Westerland rund sieben Kilometer über Wenningstedt nach Kampen und zurück ziehen, ehe es am Abend in Westerland Auftritte mehrerer Bands geben soll. Ob das Wetter mitspielt, ist noch offen: Bei 17 bis 20 Grad und starkem Wind bestehe eine hohe Regenwahrscheinlichkeit, so der Deutsche Wetterdienst.
"Mythos im Meer" – das alte Sylt mal ganz privat

Der Aufruf zur Demonstration klingt nach Klassenkampf: "Fernab von den Problemen dieser Welt residiert der Geldadel dort mehrere Wochen im Jahr zurückgezogen auf seiner Insel. (...) Auf Sylt bejubeln sich Reiche für Leistungen, die sie nicht erbracht haben, und vererben Geld, das sie nicht verdient haben. (...) Austern und Champagner schlürfend lässt sich dort leicht ausblenden, welche Konsequenzen die massive Konzentration von Reichtum in den Händen einiger Weniger hat. Andernorts ist das Armutsniveau derweil auf einem Rekordhoch. Die rapide steigenden Preise treiben immer mehr Menschen in die Existenzangst." Mit der Demonstration wolle man ein Zeichen gegen das Wohlstandsgefälle im Land und die vermeintliche Umverteilung von unten nach oben setzen. "Lange genug haben wir für sie gebuckelt, sollten den Gürtel immer enger schnallen, nur damit sie weiter ihre Gewinne einfahren können!"
Martialische Worte, die auf Sylt offenbar für Eindruck sorgen. Inselbürgermeister Nikolas Häckel stellt sich vor die Bewohnerinnen und Bewohner der Insel. "Sylt ist kein Ghetto der Reichen", stellt er in einem Beitrag bei Facebook klar. "Sylt ist eine bunte Gesellschaft, wie jede andere Stadt auch. Auf Sylt gibt es Obdachlosigkeit und Altersarmut." Es gebe Wohn- und Sozialgeldbeziehende, zudem lebten auf der Insel viele "Normalos", die sich "Tag für Tag durch den bundesweit üblichen Alltag kämpfen, ihre Familien durch harte Arbeit gut versorgen und ihnen eben nicht die 'gebratenen Tauben' zufliegen oder der Kaviar kilogrammweise in den Mund fällt", gibt der parteilose Bürgermeister ebenso wortgewaltig zu bedenken. Es sei ein "Schlag ins Gesicht" für alle Sylterinnen und Sylter, wenn nur von den Reichen auf Sylt geredet wird. "Demonstranten sollten schauen, ob Sylt für ihre Parolen wirklich der richtig gewählte Ort ist", so Häckel.
Tatsächlich haben die "einfachen Leute" auf Sylt jedoch mit Problemen zu kämpfen, die vielen wohlhabenden Touristinnen und Touristen auf der Insel fremd sein dürften. Knapp 20.000 Menschen sind auf Sylt gemeldet, verteilt auf zwölf Ortschaften. Ein großes Problem auf der Insel ist der Wohnraummangel. Mittlerweile müssen täglich Tausende über den Hindenburgdamm mit der Bahn vom Festland nach Sylt pendeln. Für Normalverdienende ist es schlicht oft nicht möglich, noch bezahlbare Wohnungen vor Ort zu finden. Dem gegenüber stehen mehr als 7000 Zweitwohnsitze auf der Insel – häufig Wohnungen oder Villen in begehrten Lagen. Diese wechseln, wenn überhaupt, oft nur gegen Millionenbeträge ihre Besitzerinnen oder Besitzer.

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Soziale Schieflage auf Sylt
Das soziale Gefüge auf der Insel drifte auseinander, sagte die Sylter Pastorin Susanne Zingel kürzlich im stern. Darunter leidet auch die Infrastruktur der Insel. So ist laut Bürgermeister Häckel zum Beispiel die Verfügbarkeit der Feuerwehr "extrem angespannt". Auf der anderen Seite spült der Tourismus, auch der der Schönen und Reichen, jedes Jahr Millionen Euro auf die Insel. Vor Corona kamen jährlich fast fünf Millionen Übernachtungen zusammen – in Luxus-Appartements, aber auch auf Campingplätzen. 2019 wurden laut Sylt Tourismus Service und dem Deutschen Wirtschaftswissenschaftlichen Institut für Fremdenverkehr insgesamt 507 Millionen Euro Umsatz auf der Insel durch Urlauberinnen und Urlauber generiert, meldet der Norddeutsche Rundfunk. Der Tourismus auf Sylt ist Fluch und Segen zugleich für die Insel.
"Diesen Sommer rücken wir den Reichen auf die Pelle und versauen ihre Ferien!", kündigt das Bündnis "Wer hat, der gibt" an. Doch trotz der martialischen Ankündigungen übt man sich in der Kreisverwaltung in norddeutscher Gelassenheit und warnt allenfalls vor "Lärmbeeinträchtigungen" und "Verkehrsbehinderungen" am 16. Juli. Und auch die zuständige Polizeidirektion Flensburg erwartet keine besonderen Vorkommnisse: "Wir sind natürlich vor Ort und werden das Ganze versammlungsrechtlich begleiten", sagt ein Sprecher dem stern. Hinweise auf geplante Straftaten liegen demnach nicht vor.
Dass am Wochenende die Revolution auf der Insel ausgerufen wird, ist unwahrscheinlich. Sylt hat schon ganz andere Stürme überstanden.
Quellen: "Wer hat, der gibt", Deutscher Wetterdienst, Nikolas Häckel bei Facebook, Statista, Norddeutscher Rundfunk, Kreis Nordfriesland, Polizeidirektion Flensburg