Der Ukraine gehen die Soldaten aus. Junge Männer verlassen ihre Heimat, weil sie nicht sterben wollen. Laut "Redaktionsnetzwerk Deutschland" leben bereits über 250.000 Ukrainer im Alter zwischen 18 und 60 Jahren in Deutschland. Viele von ihnen könnte die ukrainische Armee im Kampf gegen Russland gut gebrauchen.
Nun werden Stimmen laut, ihnen den Schutzstatus zu entziehen, damit sie in ihre Heimat zurückkehren. "Es passt nicht zusammen, davon zu reden, die Ukraine bestmöglich zu unterstützen, und im gleichen Atemzug, fahnenflüchtige Ukrainer zu alimentieren", sagte Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU). Er ist Vorsitzender der Innenministerkonferenz.
Bürgergeld streichen
Um die Männer in den Krieg zu treiben, würde er Ukrainern im wehrfähigen Alter am liebsten das Bürgergeld streichen, wie er sagt. Der Lebenslauf, den Stübgen ins Netz gestellt hat, wirkt lückenlos. Gedient hat er offenbar nicht, sondern Theologie studiert. Eine Anfrage ließ er unbeantwortet. Dass ausgerechnet ein ausgebildeter Pfarrer aus Deutschland nun junge ukrainische Männer in den möglichen Tod schicken möchte, ist bemerkenswert.
Schützenhilfe bekommt Stübgen von Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU). "Mehrere zehntausend Männer, die der Wehrpflicht der Ukraine unterliegen, bekommen hier in Deutschland Bürgergeld", kritisiert er. Immerhin hat Herrmann gedient. Auch Johannes Winkel, Chef der Jungen Union, fordert, dass Ukrainer im wehrpflichtigen Alter, "in Deutschland gar keinen Schutzanspruch haben, sondern ihr Land verteidigen sollten". Als bei uns 2011 die Wehrpflicht ausgesetzt wurde, war Winkel 19 Jahre alt. Das kann man ihm nicht vorwerfen, aber laut Munzinger-Archiv hat auch er nicht gedient. Dafür flott Jura studiert. Auch er ließ eine Anfrage unbeantwortet.
Große Reden schwingen, aber in Deckung gehen
Vom Schreibtisch aus, im sicheren Deutschland, lässt sich gut fordern. Böse formuliert könnte man schreiben: Sterben dürfen die anderen. Oder ihre Söhne. Man selbst schwingt große Reden und geht lieber in Deckung. Aber nein, ist ja gar nicht nötig. Deutschland ist noch immer eines der sichersten Länder der Welt. Frieden seit fast 80 Jahren, da hat man gut reden über das Schicksal anderer Menschen, die mal schön in den Krieg ziehen und ihr Land verteidigen sollen. Das ist, mit Verlaub, heuchlerisch.
Im Ampel-Kabinett sitzen derzeit nur zwei Minister, die gedient haben: Verteidigungsminister Pistorius (SPD) leistete Grundwehrdienst. Marco Buschmann (FDP) verweigerte, zog zurück und trat an. Christian Lindner leistete Zivildienst, war aber während seines Studiums Reserveoffizier der Luftwaffe und ist noch heute Major der Reserve.
Ja, es ist eine persönliche Entscheidung, ob man zur Bundeswehr geht oder nicht. Problematisch ist nur, wenn man über heikle Themen redet, vor denen man sich (in einer anderen Lebensphase) lieber mal ferngehalten hat. Das spricht nicht gerade für Glaubwürdigkeit. Das gilt für Politiker besonders.
Ukrainern den Schutzstatus aberkennen?
Aber zurück zu den Ukrainern, die in Deutschland leben, anstatt für ihr Land zu kämpfen: Todesangst ist für das deutsche Grundgesetz kein Grund zu verweigern. Wohl aber, dass man den Dienst an der Waffe aus Gewissensgründen ablehnt. Allerdings passt es nicht zusammen, dass wir Kriegsflüchtlinge aufnehmen und Ukrainern gleichzeitig den Schutzstatus aberkennen wollen. Ausweisen kann man die Ukrainer ohnehin nicht. Das würde gegen das Non-Refoulement-Prinzip verstoßen. Es verbietet die Ausweisung, Auslieferung oder Rückschiebung von Menschen, denen in ihrem Land Folter, unmenschliche Behandlung oder Menschenrechtsverletzungen drohen. Es ist Bestandteil der Genfer Flüchtlingskonvention.
Die Ukraine ist von Russland angegegriffen worden. Es steht viel auf dem Spiel. Stimmt. Aber Menschen sind immer Spielball einer Geschichte, für die sie nichts können. Flucht ist die einzige Möglichkeit, dem zu entkommen. Es passt nicht in unser christlich geprägtes Land, Menschen in den Tod schicken zu wollen. Der ausgebildete Pfarrer Stübgen, der heute der Innenministerkonferenz vorsteht, sollte das eigentlich wissen.