Jeder dritte Patient hat sie 2014 von seinem Arzt angeboten bekommen: sogenannte individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL), die von den Kassen nicht übernommen werden. Das sind deutlich mehr als noch vor einigen Jahren, wie eine aktuelle Umfrage des Wissenschaftlichen Instituts der AOK zeigt. Nach wie vor zählen Frauen eher zu der Zielgruppe, auch die Spitzenreiter der Selbstzahlerleistungen sind gleich geblieben: Diverse Ultraschalluntersuchungen sowie die Glaukomfrüherkennung zählen zu den am häufigsten angebotenen IGeL.
Doch bevor ein Patient sich für eine Selbstzahlerleistung entscheidet, sollte er sich gut über den Nutzen informieren. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen prüft regelmäßig, was die IGeL-Leistungen, die Ärzte ihren Patienten verkaufen, nützen - und wann sie schaden. Der stern zeigt eine Auswahl der am häufigsten angebotenen Checks.
Augeninnendruckmessung, auch in Kombination mit Augenspiegelung
Anlass: Glaukom-Vorsorge und -Früherkennung
Kosten: Augeninnendruckmessung inklusive Beratung 10 bis 22 Euro, mit Augenspiegelung 20 bis 40 Euro
Erklärung: Das Glaukom, auch grüner Star genannt, ist eine Krankheit, bei der der Sehnerv langsam abstirbt. Wer an ihr leidet, kann blind werden. Die Augenarztverbände empfehlen zwei Maßnahmen: Mit der Augenspiegelung soll der Arzt Glaukome früh diagnostizieren können, mit der Augeninnendruckmessung sogar schon die Gefahr ihrer Entstehung. Beide Verfahren werden bei Risikofaktoren oder bei Verdacht auf ein Glaukom von den Krankenkassen bezahlt, sind sonst jedoch eine IGeL. Die Studien zur Augeninnendruckmessung zeigen, dass sich ein Glaukom damit nicht zuverlässig vorhersagen oder diagnostizieren lässt. Es ließen sich keine aussagekräftigen Arbeiten dazu finden, ob sie in Kombination mit einer Augenspiegelung helfen kann, Sehverschlechterungen oder gar Blindheit zu verhindern. Das Gleiche gilt für die Frage, ob man mit dem Diagnose-Duo Glaukome früh erkennen kann. Mögliche negative Folgen der Untersuchungen sind eine leichte Reizung des Auges sowie indirekte Schäden, die sich bei Früherkennungsuntersuchungen grundsätzlich nicht vermeiden lassen - etwa das Risiko von Fehlalarmen, die zu unnötigen Ängsten und unnötigen weiteren Untersuchungen führen.
Bewertung: tendenziell negativ
IGeL-Angebot: Bestimmung des Immunglobulins G (IgG) gegen Nahrungsmittel
Anlass: Allergien; diverse Beschwerden
Kosten: 8 bis 10 Euro; Immun-Check im Paket zusammen mit "großem Blutbild": 40 bis 60 Euro
Erklärung: Um Beschwerden abzuklären, die auf eine Nahrungsmittelallergie zurückgehen könnten, bieten manche Ärzte eine Bestimmung des Immunglobulins G (IgG) im Blut an - entweder einzeln oder im Paket mit anderen Verfahren als "Immun-Check". Ein Nutzen als Allergie-Check ist aus immunbiologischer Sicht nicht zu erwarten, da für Allergien ein anderer Typ von Immunglobulinen verantwortlich ist. Auch aus Studien ergeben sich keine Hinweise auf einen Nutzen, denn eine hohe Konzentration an IgG geht nicht mit Allergiesymptomen einher. Ein auffälliger Befund, der bei dem Betroffenen eine vermeintliche Allergie diagnostiziert, die er gar nicht hat, wird ihn unnötig beunruhigen. Wenn ein Patient aufgrund eines auffälligen Immunglobulin-G-Tests bestimmte Nahrungsmittel meidet, kann seine Lebensqualität ebenfalls stark leiden.
Bewertung: negativ
IGeL-Angebot: Lichttherapie bei saisonal depressiver Störung ("Winterdepression")
Anlass: saisonal depressive Störung
Kosten: pro Sitzung 7 bis 13 Euro
Erklärung: Depressive Störungen können in der dunklen Jahreszeit gehäuft auftreten. Da es vielleicht die Dunkelheit ist, die "aufs Gemüt schlägt“, liegt der Versuch nahe, die Stimmung durch zusätzliche Lichtzufuhr "aufzuhellen". Die dem IGeL-Monitor vorliegenden Untersuchungen und Übersichtsarbeiten liefern kein einheitliches Bild zum Nutzen der Behandlung. Einige kommen jedoch zu dem Schluss, dass eine Lichttherapie die depressiven Beschwerden etwas besser lindert als eine Scheinbehandlung. Negative Erscheinungen wie Kopfschmerzen, Müdigkeit und ähnliche Beschwerden treten dagegen nicht häufiger auf als bei einer Scheinbehandlung. Da die eingesetzte Lichtstrahlung keinen UV-Anteil mehr enthält, ist sie unbedenklich.
Bewertung: tendenziell positiv
Bestimmung der Protein-C-Aktivität ("Thrombose-Check")
Anlass: Thrombose-Vorsorge
Kosten: Bestimmung der Protein-C-Aktivität im Blut 26 bis 30 Euro, "Thrombose-Check" inklusive weiterer Laborparameter 120 bis 250 Euro
Erklärung: Gerinnt das Blut zu leicht, können Thrombosen eine tödliche Lungenembolie auslösen. Ob man dazu neigt, Blutklümpchen zu bilden, lässt sich unter anderem über die Aktivität eines bestimmten Proteins feststellen, das die Blutgerinnung hemmt - die Protein-C-Aktivität. Allerdings ist eine angeborene erhöhte Gerinnungsneigung nur einer von zahlreichen Risikofaktoren für das Auftreten von Thrombosen. Viel häufiger bestehen Gefahren in bestimmten Risikosituationen wie etwa bei längerer Bettruhe oder nach OPs. Dann werden die erforderlichen Maßnahmen von der Krankenkasse bezahlt. Die insgesamt sehr schwache Datenlage lässt keine Hinweise auf einen Nutzen des Checks bei gesunden Menschen ohne zusätzliche Risikofaktoren erkennen. Auch die Datenlage zu möglichen Schäden ist schwach. Allerdings können Vorsorgeuntersuchungen immer negative Folgen haben - durch falsche Befunde, unnötige Diagnosen und Therapien.
Bewertung: tendenziell negativ
Hyperbare Sauerstofftherapie beim Hörsturz
Anlass: Hörverlust
Kosten: Behandlung (in der Regel 10 bis 15 Sitzungen) jeweils 200 bis 250 Euro
Erklärung: Bei der Therapie wird reiner Sauerstoff in die Lungen der Patienten gepresst, der O2-Gehalt im Blut erhöht sich. Auf diesem Wege sollen diverse Krankheiten günstig beeinflusst oder gar geheilt werden, unter anderem der Hörsturz. Die für die IGeL-Monitor-Bewertung vorliegenden, wenig aussagekräftigen Studien lassen nicht erkennen, dass die Hyperbare Sauerstofftherapie den Hörsturz heilen oder auch nur günstig beeinflussen könnte. Dagegen berichten Patienten vereinzelt über unangenehme Nebenwirkungen.
Bewertung: tendenziell negativ
Laserbehandlung von Krampfadern
Anlass: Krampfadern
Kosten: pro Bein inklusive Einmal-Lasersonde zwischen 1000 und 2000 Euro, für beide Beine über 1300 Euro
Erklärung: Krampfadern können Beschwerden verursachen und sogar gefährlich werden, etwa wenn sie zu offenen Beinen, Entzündungen oder Blutungen führen. Die für den IGeL-Monitor recherchierten Studien vergleichen die Lasertherapie mit der Standardbehandlung: einer Operation, bei der die knotig veränderten Venenabschnitte entfernt und defekte Venenklappen verschlossen werden. Die Untersuchungen zeigen, dass Laser und Operation etwa gleich nützlich sind, also die Krampfadern gleich gründlich und gleich dauerhaft beseitigen. Was die Nebenwirkungen wie etwa Blutungen, Schwellungen und auch den Schmerzmittelverbrauch angeht, ist die Lasertherapie nach der Studienlage etwas im Vorteil.
Bewertung: tendenziell positiv
MRT zur Früherkennung einer Alzheimer-Demenz
Anlass: Früherkennung von Demenz
Kosten: 250 bis 460 Euro
Erklärung: Die Kernspin- oder Magnetresonanztomografie (MRT) ist ein wertvolles Verfahren, das helfen kann, eine Alzheimer-Demenz zu diagnostizieren. Es konnten jedoch keine Studien gefunden werden, die den Nutzen der MRT zur Früherkennung von Demenz untersucht haben. Ein konkreter Vorteil wäre auch nicht zu erwarten, da es derzeit keine Möglichkeiten gibt, einen Ausbruch der Krankheit zu verhindern. Dagegen weiß man aus wissenschaftlichen Arbeiten etwa zur Krebsfrüherkennung, welche indirekten Schaden vor allem auffällige Befunde anrichten können.
Bewertung: tendenziell negativ
PSA-Test zur Früherkennung von Prostatakrebs
Anlass: Früherkennung von Prostatakrebs
Kosten: inklusive Beratung zwischen 25 und 35 Euro
Erklärung: Für die Untersuchung wird der Wert eines bestimmten Enzyms im Blut gemessen. Sie soll helfen, Prostata-Tumoren früh zu erkennen und durch eine rechtzeitige Behandlung den Tod durch den Krebs zu verhindern. Auch wenn der PSA-Test in Werbekampagnen sowie von vielen Urologen und Allgemeinärzten als sinnvolle Vorsorgemaßnahme dargestellt wird, gibt es über ihn seit Jahren intensive Diskussionen. Die Datenlage zum Nutzen des Verfahrens ist widersprüchlich: Eine der Studien, die für den IGeL-Monitor recherchiert wurden, kommt zu dem Ergebnis, dass der PSA-Test Männer zwischen 55 und 69 Jahren vor dem Tod durch Prostatakrebs bewahren kann. Andere Studien ergeben keine Vorteile. Übereinstimmend weisen die wissenschaftlichen Arbeiten hingegen unnötige Abklärungsuntersuchungen und Behandlungen nach, die mit insgesamt eher seltenen, dafür aber erheblichen gesundheitlichen Risiken einhergehen, etwa mit Inkontinenz und Impotenz.
Bewertung: tendenziell negativ
Stoßwellentherapie beim Fersenschmerz
Anlass: Schmerzen an der Ferse
Kosten: pro Sitzung in der Regel zwischen 80 und mehreren Hundert Euro; Wiederholung zwei- bis viermal
Erklärung: Wird der Fuß über längere Zeit stark belastet, können sich die Sehnen an der Fußsohle im Bereich der Ferse entzünden und Schmerzen verursachen. Die übliche Behandlung sieht vor, die Ferse zu entlasten, damit sich die Entzündung zurückbildet. Dies kann einige Monate dauern. Viele gute Studien zeigen: Werden Schallwellen mit hoher Energie eingesetzt, dann hat etwa jeder zweite Patient nach einigen Wochen deutlich weniger Schmerzen. Bei Patienten, die nur zum Schein behandelt werden, ist es nur jeder vierte. Unerwünschte Ereignisse durch die Behandlung, wie Schmerzen, Schwellungen und Rötungen, scheinen insgesamt gering auszufallen und schnell wieder zu vergehen. Schwere anhaltende unerwünschte Ereignisse sind nicht bekannt.
Bewertung: tendenziell positiv
Ultraschall der Brust zur Krebsfrüherkennung
Anlass: Früherkennung von Brustkrebs
Kosten: inklusive Beratung in der Regel 26 bis 60 Euro
Erklärung: Für die Erstellung des IGeL-Monitors konnten keine wissenschaftlichen Arbeiten gefunden werden, die überprüft haben, ob diese Untersuchung Frauen generell vor dem Tod durch Brustkrebs bewahren kann. Studien an Frauen mit besonders dichtem Brustgewebe zeigen jedoch, dass zusätzlicher Ultraschall in Einzelfällen Tumoren findet, die bei Mammografie und Tastuntersuchung übersehen wurden. Das Team des IGeL-Monitors zieht daraus Schlüsse auch für Frauen, deren Brustdichte nicht bekannt ist, und sieht deshalb schwache Hinweise auf einen geringen Nutzen der Untersuchung. Bezüglich möglicher negativer Folgen gilt: Ultraschall an sich ist unschädlich. Aber die Studien lassen den Schluss zu, dass zusätzlich erkannte Knoten auch zu unnötigen weiteren Untersuchungen führen und schlimmstenfalls Tumoren aufspüren können, die etwa wegen ihres langsamen Wachstums nicht hätten entdeckt und behandelt werden müssen. Der IGeL-Monitor sieht daher auch Hinweise auf geringe Schäden.
Bewertung: unklar
Ultraschall der Eierstöcke zur Krebsfrüherkennung
Anlass: Früherkennung von Eierstockkrebs
Kosten: Wird ohnehin ein Ultraschall am Unterleib durchgeführt, fallen für beide Eierstöcke zusätzlich 9 bis 21 Euro an; ein separater Ultraschall der Eierstöcke kostet 25 bis 53 Euro.
Erklärung: Besteht ein Verdacht auf Eierstockkrebs, ist der Ultraschall eine GKV-Leistung, ohne Verdacht eine IGeL. Diese bieten viele Frauenärzte auch im Rahmen einer "gynäkologischen Krebsvorsorge" an. Eine im Juni 2011 veröffentlichte große Studie bestätigte, was andere wissenschaftliche Arbeiten bereits angedeutet hatten: Mit Ultraschalluntersuchung sterben ebenso viele Frauen an Eierstockkrebs wie ohne die Untersuchung. Diese und andere Studien zeigen, dass es häufig Fehlalarm gibt und sogar eigentlich gesunde Eierstöcke entfernt werden. Eine erneute Suche nach aktuelleren Studien im Juli 2014 bestätigte die Bewertung des IGeL-Monitors. Auch ärztliche Fachgesellschaften raten inzwischen von der Untersuchung ab.
Bewertung: negativ
Mehr IGeL-Checks
Ausführlichere Bewertungen, auch zu weiteren Selbstzahlerleistungen, finden Sie unter www.igel-monitor.de