Vielleicht hätte ich einfach den Mund halten sollen. Aber bis eben war ja alles noch ganz harmlos. So harmlos wie der Name der Übung, die für heute Nachmittag auf dem Programm unseres Laufseminars steht: Fahrtspiel in freier Natur. Lockerer Dauerlauf - und dazwischen ein paar Sprints. Zwei, vier, sechs, acht Minuten. Immer ein bisschen länger. Und reihum jeder Teilnehmer mal vorneweg, als Lokomotive, die die anderen mitzieht. Doch dann, ausgerechnet, als es an die längste, die Acht-Minuten-Etappe ging, musste ich unseren Coach herausfordern: "Thomas, gib du doch mal das Tempo vor."Nun zeigt meine Pulsuhr 186, und ich bin froh, dass die fliegenden Beine vor mir nicht irgendeinem Thomas gehören, sondern Dr. Thomas Wessinghage, ehemaliger Spitzenläufer und erfahrener Mediziner. Also jemand, der schon wissen wird, was er uns zumuten darf. "Noch eine Minute", sagt Wessinghage mit ruhiger Stimme. Der Schweiß rinnt mir an den Schläfen hinunter, das Ziehen in den Oberschenkeln wird stärker, aber es ist ein tolles Gefühl, mit einem Europameister Schritt zu halten, auch wenn dessen Sieg über 5000 Meter in Athen schon 23 Jahre zurückliegt. Von Stolz beflügelt, schließe ich noch einmal zu ihm auf - und traue meinen Augen nicht: Der schwitzt nicht. Was unsere Drehzahlmesser in den roten Bereich treibt, ist für den 53-Jährigen entspanntes Schleichen. Erschöpft erreichen wir unser Ziel, den Klinikkomplex im Ostseebad Damp. Wessinghage trabt gleich weiter: "Ich muss zur Chefarztsitzung, bis später." Wahrscheinlich braucht er nicht mal eine Dusche.
Lebender Beweis, dass Laufen fit hält
Kein Wunder, dass Damp den Mann verpflichtet hat. Der Kurort an der Eckernförder Bucht in Schleswig-Holstein, eine Betonklotzsiedlung aus den 70ern, genießt einen soliden Ruf: als erstklassige Adresse für Patienten mit künstlichen Hüft- und Kniegelenken. Im Wellness-Zeitalter aber will man dynamischer daherkommen. Das Motto: Bewegung. Also haben die Reha-Klinik und das Deutsche Zentrum für Präventivmedizin seit knapp drei Jahren in Wessinghage einen ärztlichen Direktor, der trotz Anzug und Krawatte im Joggingschritt über die langen Flure federt - quasi als lebender Beweis, dass Laufen fit hält. Vorausgesetzt, man macht es richtig. Und so gibt Wessinghage Wissen und Erfahrung in Kursen weiter. Vom Wochenendseminar für Anfänger bis zum Sieben-Tage-Training für Marathonläufer und solche, die es werden wollen.
Das Programm ist nur im Laufschritt zu bewältigen
So wie wir. Zwölf Vertreter dieser in bunte Funktionskleidung gehüllten Spezies, die in jedem Park zu besichtigen ist, Hobbysportler, die auf keinem Treppchen mehr stehen werden, aber dennoch vom Ehrgeiz gepackt sind. Hermann aus Lingen zum Beispiel, er ist frisch pensionierter Schulleiter, mit 65 Jahren der Älteste. Er will Selbstvertrauen tanken, um sich im Herbst an die berüchtigten 42,195 Kilometer zu wagen - und die Fotos vom Zieleinlauf an sein altes Gymnasium schicken. Alle sprechen von Urlaub, wenn sie die Woche in Damp meinen. Obwohl sie sich hier richtig antreiben lassen: Der Tag beginnt morgens um acht mit Joggen am Strand und endet zwölf Stunden später mit dem letzten Vortrag. Der Terminplan ist so dicht, dass das Programm manchmal nur im Laufschritt zu bewältigen ist.
Beim Laktat-Stufentest wird's spannend
Wer so viele Kilometer abreißt, muss Muskulatur aufbauen und sie gleichzeitig flexibel halten, sagt Jochen, der Physiotherapeut. Nur so bleibe der Oberkörper beim Laufen stabil und die Bandscheibe heil. Also trainieren wir auch immer wieder Bauch, Rücken und Gesäß.
Mehr zum Thema laufen bei unserem Partner runnersworld.de
Einer der spannendsten Teile des Kurses ist der Laktat-Stufentest. Was Bundesliga-Fußballer fürchten, macht auch uns mächtig nervös. Die Messung des Milchsäurespiegels unter steigender Belastung ist ein unbestechliches Instrument zur Feststellung der Leistungsfähigkeit. Wir legen unsere Pulsmesser an und rennen um das Damper Hafenbecken. Viermal. Und immer ein bisschen schneller. Nach jeder Runde zapft uns Wessinghage Blut aus dem Ohrläppchen, notiert Zeit und Herzfrequenz.
Arme schlenkern, Becken pendelt
Zwei Tage später bekommen wir das Ergebnis, und ich bin überrascht: Meine Muskeln übersäuern später, als ich gedacht hatte. Der optimale Trainingsbereich, in dem ich auch die Marathondistanz absolvieren könnte, liegt zwischen 156 und 175 Schlägen pro Minute. Bisher war ich fast immer mit einem viel niedrigeren Puls dahingetrabt, was als Wettkampfvorbereitung Unterforderung bedeutet hätte. Es sind diese individuellen Ergebnisse, die ein Laufseminar jedem Buch voraushat. Selbst die Video-Analysen, die inzwischen viele Sportgeschäfte anbieten, seien völlig unzureichend, sagt Wessinghage. "Der Bildausschnitt hört ja oft bei den Waden auf, dabei fangen die Probleme meist viel weiter oben an." In Damp filmen sie uns von Kopf bis Fuß, und nur so sieht Hermann, dass er mit dem linken Arm schlenkert, und Ute, dass ihr Becken zu sehr pendelt.
Laufseminare
Laufseminar Damp: www.damp.de (unter: Prävention Damp) Andere Veranstalter: www.lauftreff.de/info/laufseminare.html
Vorbereitung ist gesund
Am Ende der Woche sind sich alle einig: Das hat sich gelohnt. Irgendwie fühlen wir uns erholter als nach einer Woche Mallorca. Angenehm uneitel ist "der Wessinghage": keine Werbung für seine Bücher, keine Hinweise auf seine Rekorde. Und abends fielen wir schon nach dem zweiten kleinen Pils ins Bett. Wie meinte noch unser Kursleiter? Der Marathon selbst sei nicht gerade gesund, eher eine Zumutung für den Körper. "Aber", sagt Thomas Wessinghage, "die Vorbereitung darauf ist so ziemlich das Gesündeste, was man tun kann."
Mehr zum Thema Jogging finden Sie auch bei unserem Partner shape.de