In Deutschland leben nach einer aktuellen Schätzung des Robert-Koch-Instituts (RKI) rund 78.000 Menschen mit einer HIV-Infektion. Etwa 50.000 Betroffene erhalten eine Therapie, während von den anderen 28.000 rund jeder Zweite noch gar nichts von seiner Infektion wisse, berichtete das RKI am Montag in seinem neuesten Epidemiologischen Bulletin. Am kommenden Samstag ist Welt-Aids-Tag.
Für das Jahr 2012 liege die geschätzte Zahl aller HIV-Neuinfektionen bei rund 3400 Menschen, sagte RKI-Experte Osamah Hamouda am Sonntag. Seit Mitte der 90er Jahre hat sich die Zahl der Infizierten verdoppelt und wird voraussichtlich in den nächsten Jahren weiter steigen. "Es stecken sich aktuell mehr Menschen neu an als Patienten in Behandlung kommen", erläuterte Hamouda. Damit wachse der Pool von Infizierten, die HIV weitergeben können. "Männer, die Sex mit Männern haben, sind weiterhin die am stärksten betroffene Gruppe", ergänzte er. Hier sei die mit Abstand größte Zahl der neuen Ansteckungen zu verzeichnen.
Das Humane Immunschwächevirus (HIV) ist die Ursache für die unheilbare Krankheit Aids. Es wird heute vor allem durch ungeschützten Geschlechtsverkehr und infizierte Injektionsnadeln übertragen. Das Virus ist sehr wandlungsfähig. Viele Tests für einen Impfstoff sind bisher gescheitert.
Virus bleibt unheilbar
Der Erreger legt unter anderem bestimmte Immunzellen lahm. Deshalb kann das Abwehrsystem des Körpers Krankheitserreger wie Bakterien und Viren nicht mehr wirkungsvoll bekämpfen. Selbst an sich harmlose Infektionen können so zur tödlichen Bedrohung werden.
Nach einer erkannten HIV-Infektion lassen sich Ausbruch und Symptome von Aids ("Acquired Immune Deficiency Syndrome", erworbene Immunschwäche) in Industrieländern heute mit verschiedenen Medikamenten bekämpfen. Sie verhindern die Vermehrung des Erregers im Blut, können ihn aber nicht aus dem Körper entfernen. Lebensqualität und Lebenserwartung von Patienten sind durch diese Therapien deutlich gestiegen. Da es die Medikamente aber erst seit rund 15 Jahren gibt, können Forscher Langzeiterfolgen noch nicht einschätzen.
"Mit Tests und Therapien allein lässt sich diese Epidemie nicht stoppen. Da bleibt immer eine Lücke", ergänzte der Experte. "Wenn sich die Bereitschaft, Kondome zu nutzen, nicht stark verändert, wird es auch weiter zu neuen Infektionen kommen."
Junge Risikogruppe
Im Vergleich zu anderen Industrieländern gebe es in Deutschland aber eine recht gute Situation - dank Präventionskampagnen und guter medizinischer Versorgung, erläuterte Hamouda. Prävention werde aber schwieriger, wenn immer mehr von Therapieerfolgen die Rede sei. So hat die Zahl der Sexualkontakte unter schwulen Männern durch die besseren Lebensumstände in den vergangenen Jahren wieder zugenommen. "Vor allem bei den Jüngeren gehen die Zahlen der HIV-Infektionen hoch", sagte der Experte. "Nicht dramatisch, aber es ist schon eine kritische Entwicklung."
HIV-Infektionen erfolgen oft unbemerkt. Ansteckung und HIV-Test können deshalb zeitlich weit auseinanderliegen. Deshalb kann das RKI die Zahl der Neuinfektionen pro Jahr nur schätzen. Besonders aktuelle Trends seien mit einer gewissen Unsicherheit belastet, erläuterte Hamouda. Sie könnten sowohl über- als auch unterschätzt werden