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Reisekrankheit Wenn die Übelkeit mitfährt

So rasant muss es gar nicht zugehen: Schon ein leicht schwankendes Schiff kann bei Menschen mit Reisekrankheit Schwindel, Übelkeit und Erbrechen hervorrufen
So rasant muss es gar nicht zugehen: Schon ein leicht schwankendes Schiff kann bei Menschen mit Reisekrankheit Schwindel, Übelkeit und Erbrechen hervorrufen
© Colourbox
Eine Seefahrt, die ist lustig? Nicht für alle. Menschen mit Reisekrankheit wird es dabei speiübel. Auch Busfahrten oder Flüge können für sie zur Tortour werden. Dabei helfen oft einfache Tipps, um Schwindel, Übelkeit und Erbrechen vorzubeugen.
Von Lea Wolz

Die Urlaubszeit steht vor der Tür. Doch mancher kann sich erst richtig auf die schönste Zeit des Jahres freuen, wenn er am Urlaubsort angekommen ist - und wieder festen Boden unter den Füßen hat. Wer unter der Reisekrankheit leidet, dem wird im Auto, Bus oder Flugzeug schwindelig und übel. Auch ein schwankendes Schiff ist für Betroffene häufig die reinste Qual. Treffen kann das Phänomen im Prinzip jeden, denn es handelt sich weniger um eine Krankheit als um die normale Reaktion auf sich widersprechende Sinneseindrücke.

"Ausgelöst wird die Reisekrankheit dadurch, dass Informationen unterschiedlicher Sinnesorgane nicht sinnvoll zusammengefügt werden können und dadurch Angst entsteht", sagt Helmut Jäger, Leiter des Reisemedizinischen Zentrums am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg. Auf See registriert das Gleichgewichtsorgan im Innenohr zum Beispiel, dass das Schiff schaukelt. Die Augen vermitteln allerdings unter Deck den Eindruck, dass alles ruhig sei. Ähnlich ist es bei einer Auto- oder Busfahrt, wenn der Blick zum Beispiel auf ein Buch gerichtet ist. Der Gleichgewichtssinn im Ohr gibt an, dass sich der Körper bewegt, die Augen melden das Gegenteil.

Das Gehirn signalisiert Stress

Ein Konflikt, auf den das Gehirn wie jemand reagiert, dem gleichzeitig "Geh!" und "Steh!" signalisiert wurde: Es schüttet Stresshormone aus. Das Zuviel an Information könne nicht sinnvoll eingeordnet werden, die aufsteigende Angst blockiere, sagt Jäger. Da ein Entkommen aus der angstauslösenden Situation nicht möglich sei, schalte der Körper auf Ohnmacht. "Schweiß bricht aus, das Herz klopft, das Blut versackt, Übelkeit entsteht und schließlich kommt es zu Erbrechen", sagt der Reisemediziner. Warum manche Menschen anfälliger für die Reisekrankheit sind als andere, ist letztlich noch nicht geklärt. Jäger zufolge trifft es Menschen mit Angststörungen eher als andere, die gelernt hätten, dass Schiffe und Flugzeuge wackeln, ohne dass davon eine Gefahr ausgehe.

Unempfänglich für die Störungen sind lediglich Säuglinge, da ihr Gleichgewichtsorgan noch nicht vollständig entwickelt ist. Auch bei Menschen, bei denen dieser Sinn ausfällt, löst ein schaukelndes Schiff oder eine kurvenreiche Busfahrt keine Übelkeit aus. Vermehrt tritt das auch als Kinetose (von "kinein", griechisch für "bewegen") bezeichnete Phänomen dagegen bei Kinder im Alter von vier bis zwölf Jahren auf. Bei älteren Menschen nimmt die Anfälligkeit wieder ab. Manche Studien kommen zum Ergebnis, dass Frauen häufiger an der Reisekrankheit leiden als Männer. Untersuchungen der US-Weltraumbehörde bestätigten dies allerdings nicht.

Angst verschlimmert das Problem

Je nachdem, wie ausgeprägt die Reisekrankheit ist, zeigen Betroffene unterschiedliche Symptome: Manche Menschen haben ein flaues Gefühl im Magen oder Kopfschmerzen. Andere fühlen sich müde und abgeschlagen, müssen vermehrt gähnen und können sich nicht konzentrieren. Mitunter kommt es zu Schweißausbrüchen, Herzrasen, einem Kreislaufzusammenbruch und Bewusstlosigkeit. "Je größer die Angst und der Stress sind, desto schlimmer wird das Problem", sagt Jäger.

Der Reisemediziner rät Betroffen daher, sich vorzubereiten: "Gehen Sie zum Beispiel bei bekannter Unsicherheit vor einer Helgolandfahrt paddeln oder segeln oder besuchen Sie vor Fernflügen einen Kurs zur Flugangst", sagt er. Dadurch entstehe Selbstvertrauen und ein Gefühl der Sicherheit. "Wichtig ist es, die Situation bewusst als ungefährlich wahrzunehmen." Auch Atem- oder Bewegungstechniken können Jäger zufolge einer Reisekrankheit vorbeugen: "Das Atemzentrum befindet sich im Gehirn, unmittelbar neben dem Zentrum, das die Übelkeit steuert." Kontrolliertes Ausatmen beruhige den Körper. Manchmal helfe es auch, den Betroffenen am Hals und im Gesicht zu streicheln. Eine Methode, die beruhigend auf das Stammhirn wirke und besonders bei Kindern geeignet sei.

Leichte Kost und keinen Kaffee

Daneben hat der Experte noch andere Tipps für Reisekranke: Vor Reiseantritt sollten diese nur leichte Kost zu sich nehmen, also eine fettarme Mahlzeit mit wenig Ballaststoffen. Auf Alkohol, Kaffee und Rauchen sollten Betroffene besser verzichten. Frische Luft ist im Ernstfall ebenso hilfreich wie eine geschickte Platzwahl. Im Flugzeug befinden sich die ruhigsten Plätze zum Beispiel über den Tragflächen. Heftige Kopfbewegungen sollten bei akuter Reisekrankheit vermieden werden. "Auf See ist es sinnvoll, an Deck zu gehen und einen Punkt am Horizont zu fixieren, um so das Auge und das Bewegungsgefühl in Einklang zu bringen", empfiehlt Jäger.

Wem das nicht hilft, der kann zu Pillen und Zäpfchen greifen. Allerdings:"Medikamente sind nicht das Mittel der ersten Wahl", sagt der Reisemediziner. "Manche helfen nicht mehr als Placebos. Alle, die darüber hinaus in die Gehirnchemie eingreifen, haben auch Nebenwirkungen." Auch Stiftung Warentest rät in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift "test" dazu, zunächst zu versuchen, die Situation ohne Medikamente in den Griff zu bekommen. Gelingt das nicht, empfehlen die Tester unter den freiverkäuflichen Mitteln solche mit dem Wirkstoff Diphenhydramin. Diese Antihistaminika, die in Kaugummi-, Tabletten- oder Zäpfchenform erhältlich sind, dämpfen oder blockieren die Wirkung des körpereigenen Botenstoffes Histamin und unterdrücken so den Brechreiz. Die Mittel müssen vor Antritt der Reise genommen werden und wirken in der Regel bis zu vier Stunden. Allerdings machen sie müde, für Segler oder Autofahrer kommen sie daher nicht infrage. Wer Vorerkrankungen hat oder andere Medikamente einnimmt, sollte ebenfalls besser seinen Arzt fragen, bevor er Antihistaminika schluckt.

Beschwerdefrei spätestens nach drei Tagen

Bei starken Beschwerden helfen zum Beispiel auch Scopolamin-Pflaster, die 12 bis 24 Stunden vor einer Reise hinter das Ohr geklebt werden. "Allerdings können danach Entzugserscheinungen auftreten", sagt Jäger. "Da der Wirkstoff den Augeninnendruck erhöht, sollten Menschen mit Glaukom darauf verzichten." Wie Medikamente mit den Wirkstoffen Cinnarizin oder Meclozin sind die Pflaster verschreibungspflichtig. Als Hausmittel gegen die Seekrankheit hat Ingwerpulver Tradition, schon die Seeleute nahmen es früher auf ihren Reisen gegen Übelkeit ein. "Die therapeutische Wirksamkeit ist durch Studien allerdings nicht belegt", sagt der Reisemediziner. Wer pflanzliche Mittel bevorzugt, um die Übelkeit in den Griff zu bekommen, kann es aber mit Ingwer-Tabletten versuchen.

Für alle, die befürchten, niemals eine Seereise unternehmen zu können, ohne dass ihnen übel wird, gibt es zumindest eine gute Nachricht: Nach etwa zwei bis drei Tagen lassen die Symptome nach. Dann hat sich das Gehirn an die Situation gewöhnt.

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