"Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden“, sagte Mark Twain einst. Der berühmte Schriftsteller war augenscheinlich ein optimistischer Mensch. So weit, so gut. Wenn wir uns den Satz nämlich einmal genauer ansehen, dann hat er auch etwas Forderndes an sich. Nehmen wir an, wir folgen dem Rat von Mark Twain und versuchen ab jetzt, aus wirklich jedem einzelnen Tag das allerbeste herauszuholen, was geht.
Das könnte schnell in Stress ausarten, oder? Natürlich müssen wir den Satz auch nicht überinterpretieren. Aber er zeigt sehr schön, wie fließend die sprachlichen Grenzen zwischen Optimismus und Toxischer Positivität, zwischen Mutmacher und Druckmacher sein können.
Der Unterschied zwischen Optimismus und toxischer Positivität
Die gute Nachricht zuerst: Optimismus ist eine Eigenschaft, die uns nachweislich länger und gesünder leben lässt. Es macht also schon Sinn, das Leben auch mal von der positiven Seite aus zu betrachten. Es darf eben nur nicht zu positiv werden. Sobald wir uns ausschließlich auf die Sonnenseite setzen und ignorieren, dass auch der Schatten seine Berechtigung hat, wird es schnell ungesund.
Dann sprechen wir von toxischer Positivität. Das Phänomen beschreibt Menschen, die nahezu zwanghaft immer das Positive suchen und dadurch negative Gedanken und Gefühle unterdrücken. Das sind die Leute, die selbst in der aktuellen Zeit inmitten von Klimakrise, Ukraine-Krieg und Coronavirus-Pandemie den Ernst der Lage verkennen und bei jeder sich bietenden Gelegenheit das Glücksbärchen mimen.
Sie ahnen es schon: Toxische Positivität ist nicht nur für die Betroffenen selbst ein Risiko, sondern manchmal auch für ihre Mitmenschen. Dann nämlich, wenn die toxischen Glücksbärchen es gut mit uns meinen und tröstende Worte finden wollen. Das Problem daran: Wer toxische Positivität verinnerlicht hat, der denkt anders über Krisen und Probleme. Das führt wiederum dazu, dass gut gemeinte Sätze am Ende mehr Schaden bei den Leidenden anrichten, als ihnen zu helfen.
Blöderweise haben wir alle ab und an toxische Sätze verinnerlicht, weil sie geläufiger sind, als man erwartet. Damit Sie nicht aus Versehen auch in die sprachliche toxische Positivität rutschen, zeigen wir Ihnen acht Sätze, die gut gemeint, aber toxisch sind – und verraten Ihnen wirklich hilfreiche Alternativen.
"Es gibt Schlimmeres“
Bestimmt haben Sie diesen Satz schon einmal gehört. Vielleicht, als Sie sich mit dem Fuß gestoßen haben oder, als Sie mit Liebeskummer und einer Packung Eiscreme einer Freundin Ihr Herz ausgeschüttet haben. Hat es Ihnen in dem Moment geholfen zu hören, dass es auf dieser unübersichtlichen, chaotischen Welt noch Schlimmeres gibt? Wahrscheinlich nicht. Zumal das Empfinden von Leid eine höchst subjektive Angelegenheit ist. So sehr wir es manchmal wollen, wir können nicht nachempfinden, was andere Menschen fühlen.
Jemandem also zu sagen, dass es Schlimmeres gibt, während dieser augenscheinlich gerade leidet, ist anmaßend. Auch, wenn die Intention sicher eine andere ist. Wer darauf hinweist, dass es noch Schlimmeres da draußen gibt, der möchte das Leid für den Betroffenen vielleicht wirklich schmälern. Stattdessen schmälert er mit diesem Satz vielmehr die Berechtigung, sich über das empfundene Leid zu beklagen. Dabei reicht es oftmals schon aus, einfach da zu sein und zuzuhören, wenn jemand seine Sorgen mit uns teilt.
"Sieh es doch einfach positiv“
Dieser Satz ist toxische Positivität wie sie leibt und lebt. Wahr ist, dass wir in der Hand haben, wie wir auf die Ereignisse in unserem Leben reagieren. Rein theoretisch könnten wir uns also entscheiden, einen Schicksalsschlag auch positiv zu sehen. Wenn wir jetzt aber einen geliebten Menschen verloren haben, ist das in der Umsetzung schon wieder schwieriger.

Wer Gefühle wie Trauer, Angst und Schuld nicht zulässt, der wird sie früher oder später noch einmal serviert bekommen. Und verdrängte Gefühle kommen in der Regel mit doppelter Wucht zurück. Wenn wir traurig sind, dann sind wir also traurig. Und wenn wir uns über eine Sache ärgern, dann dürfen wir wütend sein. Klar, irgendwann sollten wir versuchen, jeder Krise etwas Positives abzugewinnen, um nicht im Tief zu versinken – aber wann das der Fall ist, das ist individuell unterschiedlich. Wenn wir es gut mit unserem Gegenüber meinen, dann könnten wir also stattdessen sagen: "Ich verstehe, dass die Situation blöd ist und ich bin für dich da, wenn du mich brauchst.“
"Ich weiß, wie es dir geht“
Wenn wir unser Mitgefühl ausdrücken wollen, dann rutscht uns so ein Satz schonmal gerne über die Lippen. Manchmal fühlen wir uns dann sogar verpflichtet, ähnliche Situationen aus unserem Erfahrungsschatz auszukramen und mitsamt all der Lehren, die wir daraus ziehen konnten, zu erzählen. Das Problem: Wir sprechen dann über uns selbst und helfen damit unserem Gegenüber oft nicht wirklich weiter.
Zumal – das Thema hatten wir bereits – wir wissen nicht wirklich, wie es dem anderen gerade geht. Das können wir nicht und das erwartet auch niemand. Wie wäre es stattdessen mit Aufrichtigkeit? Wer gerade leidet und sich mitteilen möchte, dem ist zum Beispiel mit einem Satz wie "Ich höre dir zu und möchte gerne verstehen, wie du dich fühlst“ geholfen.
"Alles wird gut“
Guter Versuch, aber eine sehr gewagte These. Vor allem dann, wenn sich unser Gegenüber gerade in einer Lebenskrise befindet. Wenn wir Leiden, dann sehen wir oft den Wald vor lauter Bäumen nicht. Das heißt, wir suhlen uns in unserem Leid und drehen Sorgenspiralen, bis wir eine ganze Sammlung voller Probleme vor unserem Inneren ausgebreitet haben. Wenn dann jemand zu uns sagt, dass schon alles gut werden wird – dann prallt dieser Satz einfach so an unserer Trauermauer ab. Er kommt nicht durch, weil er so banal klingt in einem Moment voller Sorgen.
Im schlimmsten Fall wird er so fehlinterpretiert, dass sich der Leidende nicht ernst genommen fühlt und verschließt. Stattdessen lohnt es sich, das Leid einfach als solches anzuerkennen. Ätzende Momente und schwierige Phasen gehören zum Leben dazu – warum sie nicht als solche benennen und sagen: "Ja, es ist gerade alles ziemlich blöd.“ Das nimmt den Druck aus der Sache, sich schnellstmöglich wieder gut fühlen zu müssen.
"Denk einfach nicht drüber nach“
Viele Menschen neigen dazu, ihre Probleme einfach zu verdrängen. Den Job verloren? Kein Problem, eine Runde feiern mit den Jungs und die Sorgen sind vergessen. Die Ehe ist gescheitert? Ein schöner Urlaub am Meer wird es schon richten. Natürlich ist es im ersten Moment einfach, das Negative durch etwas Positives auszutauschen. Rein intellektuell sind wir alle dazu in der Lage. Tun sollten wir es trotzdem nicht, denn verdrängte Gefühle machen nachweislich krank.
Der Ratschlag "Denk nicht drüber nach“ ist insofern auch nicht unbedingt hilfreich. Vor allem, wenn sich unser Gegenüber gerade mit seinen Sorgen offenbart, kann das desinteressiert wirken. Übrigens eine Wirkung, die toxisch positive Menschen häufig haben. Deshalb führt diese Lebenseinstellung auch immer mal wieder zur Isolation. Wenn Ihnen also das nächste Mal "Denk nicht drüber nach“ auf der Zunge liegt, sagen Sie doch vielleicht lieber sowas wie: "Was würde dir denn jetzt gerade guttun?“. Dadurch geben Sie dem Leidenden die Möglichkeit der Ablenkung, aber ohne Druck.
"Alles geschieht aus einem bestimmten Grund“
Natürlich darf auch der gute alte Fatalismus hier nicht fehlen. Natürlich dürfen Sie gerne weiterhin ans Schicksal glauben. Aber daran zu erinnern, wenn jemand Ihnen sein Leid bekundet, das ist vielleicht nicht die charmanteste Art und Weise, seine Unterstützung auszudrücken. Stellen Sie sich vor, Sie haben gerade eine lebensverändernde Diagnose bekommen. Hilft es Ihnen dann, dass das wohl Ihr Schicksal ist? Eher nicht.
Womöglich werden Sie das Ganze erstmal verdauen müssen, bis Sie das große Ganze wieder sehen können. Genau das ist der Punkt: Im Moment der Krise sehen wir nur bis zur Nasenspitze. Und das Schicksal wirkt dann weder etwas relativierend, als wäre unser Problem nicht groß genug, um sich darüber zu beklagen. Vermitteln Sie Ihrem Gegenüber doch stattdessen, dass Sie sein Anliegen ernst nehmen und ihn unterstützen. Mehr braucht es meistens erstmal nicht.
"Mit der richtigen Einstellung kannst du alles schaffen“
Vom Schicksal direkt zur "Selbst-Schuld-Strategie“. Ja, wir können unsere Denkweise aktiv verändern. Allerdings passiert das meistens, nachdem wir Krisen überstanden haben und nicht mittendrin. Und seien wir mal ehrlich: Auch, wenn wir die smarteste Lebenseinstellung der Welt haben, können wir nicht alles schaffen.
Es kommt immer auf unsere Herkunft, unsere Lebensbedingungen und unsere körperliche Verfassung an, ganz zu schweigen von der dicke unseres Geldbeutels. Wenn Sie das also jemandem sagen, dann lügen Sie ihn schlicht und ergreifend an. Hier ist die beste Alternative: Einfach mal nichts sagen.
"Scheitern ist keine Option“
Wir müssen immer stark sein und dürfen ja nicht aufgeben? Pustekuchen! Oder sagen Sie bloß, Sie sind noch nie gescheitert? Niederlagen gehören dazu und sind sogar wichtig, um unseren Weg im Leben finden zu können. Wenn wir uns nicht trauen, zu scheitern, dann verpassen wir womöglich wunderbare Begegnungen und lehrreiche Erfahrungen und bleiben immer in unserer Komfortzone.
Und wie sagt man so schön: Das Leben findet außerhalb des eigenen Tellerrandes statt. Also streichen Sie diesen Satz einfach aus Ihrem Wortschatz – für sich selbst und für andere. Denn: Scheitern ist mehr als erlaubt.