Sie stellen sich vor große Gruppen und schwingen Reden, oder sprechen ganz ungeniert die schönste Person im Raum an: Woher nehmen manche Menschen das Selbstbewusstsein, Dinge einfach zu tun, während andere lieber sterben würden, als sich einen Korb abzuholen?
"Selbstbewusste Menschen verarbeiten Informationen ganz anders", sagt der Heidelberger Psychologe Roland Kopp-Wichmann. Muss ein Vortrag gehalten werden, bereitet es dem Selbstbewussten keine Magenschmerzen, dass er nicht alles aus dem Effeff kann und seine Zuhörer womöglich kritische Fragen stellen werden. Dann gibt er eben zu, dass er die Antwort auch nicht kennt. Nichtwissen hat für ihn nichts mit Scheitern zu tun. Für die Zuhörer im Übrigen auch nicht: "Wer zugibt, dass er nicht alles weiß, kommt beim Publikum meist sympathischer an, als jene, die vorgeben alles zu können", sagt Kopp-Wichmann.
Perfektionisten werden oft von Selbstzweifeln geplagt
Für den Unsicheren ist das dagegen ein klarer Fall von Versagen. Er schläft schon Tage vorher schlecht, weil er befürchtet, dass die Menschen ihn für einen schlechten Arbeitnehmer halten könnten, wenn er nicht auf alles klug zu antworten weiß. Sicherheit gibt ihm da nur, sein Thema perfekt zu beherrschen - und dafür die Nächte durchzumachen. Nicht selten gingen Perfektionismus und mangelndes Selbstvertrauen miteinander einher, so Kopp-Wichmann. Eine andere Strategie von Unsicheren sei Vermeidung: Sich gar nicht erst in beschämende Situationen bringen. Wer nicht wagt, der nicht verliert.
Aber der gewinnt auch nicht.
Wie wird man selbstbewusster?
Ganz einfach - in nur dreißig Minuten! Das zumindest versprechen Ratgeber. Darin steht dann etwa, man solle sich einfach auf seine Stärken konzentrieren, oder seinem Gegenüber tief in die Augen blicken. Kopp-Wichmann hält von solchen Tipps wenig bis gar nichts. Sie griffen viel zu kurz. Sich das Publikum in Unterhosen vorzustellen, um seine Angst abzubauen, sei in Stresssituationen wenig hilfreich. "Sind wir gestresst, greifen wir automatisch auf jene Strategien zurück, die sich für uns bislang immer bewährt haben", erklärt der Psychologe. Und das sind meist uralte Handlungsweisen, die wir uns schon in der Kindheit oder Jugend angeeignet haben.
Wir haben sie in Situationen entwickelt, in denen die Eltern sagten: "Das kannst du nicht, das konnte noch keiner von uns". Dann machten wir es uns zum Glaubenssatz, dass wir nicht auf andere Menschen zugehen können, weil Offenheit einfach nicht in der Familie liegt. Oder in der Situation, in der die Mutter enttäuscht war, weil man das Flöten-Vorspiel verhauen hatte. Man vermied daraufhin nochmal vorzuspielen, um nicht mehr scheitern zu können. Beziehungsweise übte wie besessen, damit Mutti einen lieb hatte.
Mit diesen Strategien fahren wir gut. Denn sie bewahren uns davor, wieder schlechte Erfahrungen zu machen. Bis ins Erwachsenenalter. Dann stehen sie uns plötzlich im Weg, machen uns unflexibel für andere Verhaltensweisen. Wir sind unfähig, uns mehr zuzutrauen.
Selbstbewusst sein heißt, sich seiner selbst bewusst zu sein
Doch solche eingebrannten Verhaltensweisen legen wir nicht einfach von heute auf morgen ab. Und auch aus einem mehrtägigen Workshop gehen notorische Selbstzweifler nicht als selbstbewusste Redenschwinger hervor. Wer ein Selbstbewusstseinsproblem hat, muss tiefer gehen. Mithilfe eines Reflexionsprozesses, durch bewusstes Verlassen der inneren Komfortzone oder gar einer Therapie. Sich mit seinem Inneren zu beschäftigen, um sich seiner selbst bewusst zu werden, ist natürlich unbequem - und Seminare, die das bewerkstelligen könnten, ziemlich teuer. Da scheint der Kauf eines 10-Euro-Ratgebers erst einmal naheliegender.
Kopp-Wichmanns Klienten haben meist auch solche Ratgeber gelesen, bevor sie zu ihm kommen. Sie beklagen sich dann, dass die Tipps und Übungen nichts genutzt hätten. Vielmehr hätten sie ihre Selbstzweifel noch befeuert. Getreu dem Motto: "Nicht einmal die simplen Tipps aus dem Buch kannst du anwenden. Typisch!"
"Selbstbewusstsein kann man nicht trainieren"
Selbstbewusstsein könne man nicht trainieren, sagt Kopp-Wichmann. "Man kann nur erforschen, wie man es untergräbt." Anstatt vor dem Spiegel selbstbewusste Gesten zu üben, müsse man sich vielmehr fragen, woher das fehlende Selbstbewusstsein rührt. Und mit welchen Gedanken man es immer wieder schaffe, sich klein zu machen. Wer seine unbewussten Glaubenssätze entlarvt, ist zwar nicht automatisch selbstbewusster, aber kann anfangen, sich aus diesen Mustern zu befreien - und seine "vergifteten" Gedanken in andere Bahnen zu lenken.
Das Modell des "Inneren Teams" könne beim Umdenken helfen, schlägt Kopp-Wichmann vor. Es wurde vom Hamburger Psychologen Friedemann Schulz von Thun entwickelt und besagt, dass sich in jeder Situation verschiedene Stimmen in uns zu Wort melden. Haben wir wenig Selbstvertrauen, ist etwa der innere Kritiker sehr laut. Er ruft: "Lass es, du kannst das nicht!" Zu erkennen, dass dieser Kritiker aber nur ein Teil des Teams ist, hilft, ihn zu relativieren. Schließlich macht es einen großen Unterschied, ob man sagt: "Ich habe Angst vor dem Vortrag", oder: "Mein innerer Kritiker warnt mich, weil ich nicht alles weiß". Es lohnt auch, auf die anderen "Teammitglieder" zu hören. Etwa auf den wohlmeinenden Fachmann, der sagt: "Du wärst nicht zu diesem Vortrag eingeladen worden, wenn Du nichts drauf hättest". Oder auf den Ehrgeizigen: "Du willst doch Karriere machen. Das ist jetzt deine Chance, nutze sie!"
Einfach hinstellen uns losreden, mehr Gehalt fordern oder den hübschen Kerl am Tresen ansprechen... Wer selbstbewusster werden will, muss also vor allem eins tun: in sich hineinhorchen. Wer sich selbst kennt, hat weniger Angst.