Die Reinheit von Linie und Form in der Architektur abzubilden, beherrscht kaum jemand so vollendet wie der spanisch-schweizerische Architekt Santiago Calatrava. Seine Brücken scheinen zu schweben – zum größten Teil in Weiß gestaltet, verleihen sie selbst den tristesten Landschaften Eleganz, werden alte Eisenbahngleise flott und trübe Flüsse scheinbar klar. Von manchen seiner trotz aller Masse leicht wirkenden Gebäuden glaubt man fast, dass sie auch fliegen können.
Der Taschen Verlag hat nun eine neue Werkschau herausgebracht, in der sich der Architekturexperte Philip Jodidio mit den Arbeiten Calatravas auseinandersetzt, in Englisch, Deutsch und Französisch erfährt der Leser vom Werdegang des 1951 geborenen Architekten, der ursprünglich Künstler werden wollte. Mit seinen aquarellfarbenen Zeichnungen illustriert, wird der Bildband zum Begleiter der Fantasie, über die Calatrava verfügt. Seine Inspirationen findet er in Lebewesen, von einer Vogelschwinge bis hin zum menschlichen Auge.
Die Transparenz und optische Leichtigkeit von Calatravas Bauten bringen Leben in die Städte - sei es das Kunstmuseum in Milwaukee, das am Ufer des Lake Michigan gebaut zu sein scheint, um das Ufer zu wechseln. Oder die World Trade Center Station in New York, die als unterirdischer Bahnhof und Knotenpunkt für den öffentlichen Schienenverkehr dient und oberirdisch auf dem Gelände der Twin Towers zwischen all den Wolkenkratzern wie ein wachsamer Vogel auf seinem Nest zu sitzen scheint. Da geht einem das Herz auf, oder, wie Calatrava es nüchterner formuliert: "Mit der richtigen Kombination von Kraft und Masse lässt sich Emotion erzeugen."

Die Brücken von Calatrava
Ganz besonders überzeugen vor allem die Konstruktionen von Calatravas Brücken, zum Beispiel die drei im trockengelegten Haarlemmermeer in Nordholland. Wie hart am Wind liegende Segelboote überspannen "Harp" (Harfe), "Lyre" (Leier) und "Lute" (Laute) den kleinen Kanal Hoofdvaart. Der Stadtverwaltung waren die Kosten angeblich egal, sie wollte ihrer Region Aufmerksamkeit verschaffen – und das Ergebnis gibt ihr Recht. Der Architektur-Fan-Tourismus hoffentlich auch! (Selbst wenn die Folgekosten für immer neue Anstriche dieses reinweißen Trios womöglich unterschätzt worden sind.)
Ein weiteres, ganz besonderes Brückenwerk, entstand in der irischen Hauptstadt – eine Drehbrücke. Die Idee, Raum für durchfahrende Schiffe zu schaffen, der nicht in die Höhe geht, sondern die Brücke um 90 Grad bewegt, ist nicht neu. Vielmehr – auch in Deutschland – ein liebenswerter Klassiker seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. In Dublin hat Calatrava diesen Joker gezogen, um Land- und Wasserreisenden den Weg über die Liffey zu ermöglichen. Die letzten fünf Bilder unserer Fotostrecke machen Lust darauf, einmal überzusetzen, egal auf welchem Weg – Hauptsache: ganz nah an einem Calatrava-Kunstwerk.