Muss man sich erst Mal trauen. Ein Buch über Busen zu schreiben, über ganz große Busen. Und dann auch noch die eigenen. Auf dass alle Welt erfahre, wie es ist, mit Körbchengröße 75 F vom U-Bahnhof Ruhleben bis Kottbusser Tor zu reisen, eine Dreiviertelstunde lang quer durch Berlin, das Glotzen, Pfeifen und Johlen der Männer zu erleben, ihre Säuglingsblicke, Greifreflexe, ihre Beschimpfungen ("Sautitten!"), ihre Anmachen ("Was kostet anfassen?"), ihre kreative Wortwahl, die von Quarktaschen und Beulen zu Dutteln und Tüten reicht. Und das alles immer im hintersten Waggon, wo noch am wenigsten los ist.
"Ich habe über das geschrieben, was man so erlebt, wenn man Brüste hat", sagt Annika Line Trost. "Das kennt jede Frau, glaube ich. Und bei mir war es eben noch ein bisschen mehr." Ja, tatsächlich, ihr Busen ist "so groß wie zwei Honigmelonen, so schwer wie vier Hefeweizen und so einfach zu verstecken wie ein rasierter Affe, der Akkordeon spielt." Trost ist Berlinerin, Jahrgang 1977, und Musikerin, die eine Hälfte des Electronic-Punk-Duos "Cobra Killer", aber nicht darüber schreibt sie in ihrem Buch, das keine Autobiografie sei, "sondern eine Sammlung der Geschichten, die meine Brüste erlebt haben".
Die erste spielt im Frühling 1988, als die elfjährige Anni von ihrer Mutter ein Alf-T-Shirt geschenkt bekam und an einem schwülen Tag mit dem hauchdünnen Baumwolltextil "die Busenblickbestie" weckte – worauf eine Ära begann, die von "Chauvinistenclowns und notgeilen Nuckelaugen" bevölkert wurde "von hupenden Kastenwagen mit winkenden Handwerkern", von Fotografen, die ihren Körper als Gebirge inszenieren wollten, von Filmemachern, die sie gern als lesbische Nazi-Krankenschwester besetzt hätten. Von Casting-Agenten, die sie bei Bärbel Schäfer vorbeischicken wollten, "150 Mark, Reise nach Köln, Übernachtung, und das Thema der Sendung: Männer haben Angst vor mir." Die dann auch noch eine Primetime-Karriere in Aussicht stellten: "Mit deinen Mega-Tittis schick ich dich durch alle Formate."
Große Brüste sind keine High-Heels oder Lippenstift
"Das Schlimme ist ja, dass es die jungen Mädchen am härtesten trifft, auch wenn die ganz und gar nicht auf Männerfang sind", sagt Trost. So gesehen sei ihr Buch auch ein feministisches Projekt. "Jede Brust erlebt Geschichten, die viel darüber aussagen, wo Brüste in der Gesellschaft stehen, wo wir Frauen stehen." Ihr Buch sollte nicht nur jungen Mädchen helfen, sondern auch jungen Männern, zu begreifen, dass große Brüste keine High-Heels oder Lippenstift sind. "Da gibt es viele Männer, die sehen einen großen Busen und denken sofort, die hat sie sich extra umgeschnallt, um flirten zu gehen und will jetzt eine Reaktion von mir."
Die Neurowissenschaft kann es belegen: Weibliche Brüste steigen den Männern direkt zu Kopf, der Blick auf den Busen aktiviert unmittelbar das Belohnungszentrum in ihren Hirnen. "Die können nicht anders", weiß Trost. "Große Brüste sind ein Zeichen von Fröhlichkeit und Gesundheit, wir verbinden Genuss und Freude mit ihnen, alle immer satt, das pralle Leben eben, obwohl wir schon lange nicht mehr in der Höhle wohnen." Ein dickes Dekolleté werde genauso gerne missverstanden wie das Dauergrinsen eines Delfins. "Das einzige Leid, was man einer Frau mit großen Brüsten tatsächlich gerne abnimmt, sind Rückenschmerzen." Ihr erster BH wurde Annika Trost "aufgrund einer medizinischen Indikation ärztlich verordnet, wie eine Brille, wie eine Zahnspange oder Anti-Senkfuß-Einlagen".
Annika war fast 14, ein schlankes Mädchen, aber ihre Brüste passten in keine 75 D mehr, als sie lernen musste, dass ihre Brüste sich weder zum Tanz im Pogo-Kessel eigneten noch zum Wegrennen von der Demo, dass sie also zu groß für die Punk-Revolution waren, "einfach nichts für die Subkultur, die wirken immer irgendwie Mainstream. Keiner guckt auf die grünen Haare, die Rattenkacke im Kragen der Jacke, die Sicherheitsnadeln im Ohrläppchen." Alle starrten nur auf die Oberweite.
Den "Brusttarnmantel" trug sie sogar bei 30 Grad

Auch Mode war schwierig. "Sich der Laune gemäß anzuziehen, daran war nicht zu denken. Immer nur brustgerecht. Irgendwann habe ich das Thema Klamotten abgehakt." Ein paar Wickelkleider, ein bisschen was Maßgeschneidertes, dann die eine Bluse, die wirklich passte, "die habe ich gewaschen und mit dem Fön getrocknet, fünf Jahre lang, jeden Tag." Ihren ledernen "Busentarnmantel" trug sie sogar bei dreißig Grad Hitze noch, denn ging sie mal ohne ihn aus, sammelte sie "über zwanzig Belästigungen oder sonstige Beklopptheiten in vierzig Minuten" ein – das hat sie in mehrfachen Feldstudien beim Warten auf den Nachtbus ermittelt.
"Ich wurde kein Bikini-Mädchen und deswegen auch kein Badesee- oder Sommermädchen", sagt sie. Stattdessen war sie das Mädchen, das den Bus verpasste, weil sie sich nicht traute, vor den Augen anderer zu laufen. Denn "eine natürliche Brust wippt, bewegt sich, geht mit. Da muss man schon zugreifen, damit einem während des Spurts die Oberweite nicht um die Ohren fliegt – Voll peinlich!"
Der Führerschein wird extra teuer
Doch halt! Frauen mit großen Brüsten bekommen jeden Job und leichter an Männer, oder? Sie kommen einfacher durch den TÜV, den Führerschein gibt’s geschenkt? Alles nicht wahr, schreibt Trost in ihrem Buch. "Den Job bekommst du nicht, damit nicht der Eindruck entsteht, die Chefetage wäre notgeil. Den Mann bekommst du nicht, weil er nicht will, dass jemand von ihm denkt, er leide an einem ödipalen Komplex. Der TÜV-Prüfer prüft anhand deiner Brüste seine Unbestechlichkeit, der Fahrlehrer will sich gar nicht von deinen Hupen trennen, und der Führerschein wird extra teuer."
Die richtigen Männer trauen sich häufig gar nicht erst an sie heran. "Ich hatte viele ältere Verehrer und eher so die handfesten Typen." An der Barriere Oberweite scheiterten leider all die "süßen Jungs, die schüchtern am Rand der Disko stehen und denen die Haare vorm Gesicht hängen."
Wie steht es um den Neid von Geschlechtsgenossinnen?
"Ja, den gibt’s, das finde ich ganz dumm. Ich hätte mir da mehr Solidarität erhofft", sagt sie. "Das Geld hätte ich besser angelegt als in Titten" – solche Sätze hat sie gehört, oder: "Wer’s im Kopf nicht hat, braucht’s halt woanders." Und auch die Urteile von "Studentinnen, die hinter vorgehaltener Hand erörterten, ob meine Brüste frauenfeindlich sind oder nicht".
"Frauen gucken mir plötzlich auf die Schuhe"
Und dann kam jener Tag, als zuerst der Frauenarzt ihr eine Brustverkleinerung nahelegte, sie dann von ihm erfuhr, dass sie schwanger war.
Zwei Wochen später waren ihre Brüste auf Körbchengröße 80 G angewachsen. "Noch im achten Monat überschattete mein Busen meinen Babybauch. Kaum jemand kam auf die Idee, ich könnte schwanger sein." Schließlich geschah, was ihren Brüsten "endlich, endlich einen Sinn gab. Ich stillte am Strand, an der Bushaltestelle und in der U-Bahn, in Restaurants und Flugzeugen. Ich stillte dreizehn Monate. Und mein Sohn wurde immer größer und größer und meine Brüste immer kleiner."
Eines Tages ging sie mit dem Kinderwagen zu H&M in Spandau. "Plötzlich gingen die Knopfleisten zu, alles passte, ich konnte Konfektion anziehen! Ich bin lachend durch das Einkaufszentrum gelaufen, wie in einem surrealen Traum."
Noch immer hat sie Körbchengröße 70 F, sagt sie, "aber weniger pneumatisch als früher. Ich bin als zweifache Mutter unterwegs, ich bin älter, ich kann die Straße langgehen, ohne dass die Männer seltsam werden. Und die Frauen gucken mir plötzlich auf die Schuhe. Das ist mir früher nie passiert."