Karl-May-Verleger Lothar Schmid Als Bücher noch Werte vermittelten

Karl May zählt mit rund 200 Millionen Exemplaren zu den meistgelesenen Autoren weltweit. Im stern.de-Interview spricht der langjährige Karl-May-Verleger Lothar Schmid anlässlich seines 80. Geburtstags über Werte, Wildwest-Träume und den Erfolg von Charlotte Roche.

Wann haben Sie Ihr erstes Buch von Karl May gelesen?

Als ich sieben Jahre alt war. Angefangen habe ich mit "Unter Geiern", gleich darauf folgte "Der Schatz im Silbersee".

Was bedeuten Ihnen die Bücher von Karl May persönlich?

Am meisten bewundere ich heute Karl Mays gesamtes Lebenswerk, mehr als ein bestimmtes Buch. Er hat insofern eine Vorbildfunktion und kann diese für viele Menschen haben, weil er aus dem Nichts, aus größter Not und Armut kam und sich ganz aus eigener Kraft und vielen Schicksalsschlägen zum Trotz emporgearbeitet hat - auch aus dem Abgrund, in den ihn seine Verhaftungen wegen diverser Bagatelldelikte gestürzt hatten. Bei der Sicht des Werkes erscheint mir am wichtigsten, dass May mit der Buntheit und Vielfalt seiner Beschreibungen und seiner Ideen die Fantasie anregt; das gehört zum größten Schatz des menschlichen Daseins: die eigene Fantasie.

Karl May starb 1912, seine Werke gelten manchen Kritikern als trivial. Warum wird er auch heute noch gelesen?

Ich denke, das liegt vor allem an der Mischung aus Traumerfüllung und scheinbarem Realismus. Mays Schilderungen aus aller Welt stimmen bis in die Details, aber dennoch ist es gleichzeitig ein Traum-Orient, ein Traum-Wildwest, das nicht an historische Wirklichkeiten gebunden ist und Freiraum lässt für Utopien: eine Welt, die nicht von 1000 kleinen Alltagszwängen reguliert ist, sondern in der das Individuum frei nach seinem Gutdünken handeln und sich verwirklichen kann. Eine Welt, in der Erfolg oder Scheitern jedem selbst in die Hände gegeben sind und nur von seinem Können, seinem Wissen und seinen charakterlichen Qualitäten abhängen - nicht von Name oder Herkunft.

In den 60er Jahren wurden seine Werke verfilmt, was einen wahren Karl-May-Boom zur Folge hatte. Können Sie uns davon erzählen?

1962 saß ich mit dem Filmproduzenten Horst Wendlandt von Rialto im Hotel Königshof in München zusammen und verhandelte über die Filmrechte zu "Der Schatz im Silbersee". Herr Wendlandt fragte den jungen Kellner, ob er denn Karl May kenne. Dieser antwortete: "Na klar!" Der Rialto-Chef wandte sich an mich: "Herr Schmid, wir machen den Film!" - Das war der Startschuss für die erfolgreichste deutsche Filmserie aller Zeiten.

Zur Person

Lothar Schmid, geboren am 10. Mai 1928, ist der Sohn des Verlagsgründers Euchar Albrecht Schmid, der Karl May noch persönlich kannte. Gemeinsam mit seinen zwei Brüdern leitete Lothar Schmid jahrzehntelang die Geschicke des Karl-May-Verlages. Er gilt darüber hinaus als einer der besten deutschen Schachspieler und erhielt den Titel "Internationaler Schachgroßmeister". 1972 leitete er als Schiedsrichter des viel beachteten Weltmeisterschaftsduells zwischen Boris Spasski und Bobby Fischer.

Welche Werte vermitteln Karl Mays Werke?

Ehrlichkeit, Standhaftigkeit, Treue - Treue gegenüber Menschen, Freunden, aber auch gegenüber den eigenen Werten und Grundsätzen. Bei May ist ja nicht alles rosarot gemalt; es gibt Verrat, Verbrechen und Lüge. Aber auch in größter Not verlieren seine Helden nicht den Glauben an ihre moralischen Überzeugungen und das Vertrauen in eine höhere Gerechtigkeit. Diese innere Stärke gehört zu seinen ganz wichtigen Botschaften. Daneben zeigt er immer wieder den Triumph der Überlegung, der Cleverness über die rohe Gewalt. Und nicht zu vergessen sein Beitrag zur Völkerverständigung: Er versteht es, Interesse für das Leben der Menschen in anderen Ländern und Kulturen zu erwecken, und das ist der erste entscheidende Schritt zum Verständnis. Er zeigt, wie nahe und menschlich ähnlich auch die "Fremden" uns doch letztlich sind, wo auch immer auf dem Erdkreis sie leben.

Heutzutage boomt im Literaturbetrieb die Selbsterfahrung: Hape Kerkeling führte mit seiner Wanderung auf dem Jakobsweg lange die Bestsellerlisten an, momentan erzielt Charlotte Roche mit der Erkundung ihrer "Feuchtgebiete" sensationelle Verkaufserfolge. Wie empfinden Sie den Siegeszug solcher Literatur?

Das kann ich ganz gelassen sehen. An Karl May sind in über 100 Jahren schon so viele kurzlebigere literarische Moden und Trends vorübergezogen. Das kommt und geht; May hält davon unberührt seinen besonderen Platz in der Gunst der Leser und gewinnt in jeder Generation, die heranwächst, wieder neue hinzu. Dass viele der genannten Bucherfolge einen solchen Longseller-Erfolg haben werden, darf man getrost bezweifeln.

Interview: Björn Erichsen