Westermann liest "Nicht von dieser Welt" - eine melancholische Geschichte, wie ein 13-Jähriger um seinen Vater trauert

  • von Christine Westermann
Frau Westermann vor einem Bücherstapel
Christine Westermann liest: "Nicht von dieser Welt" von Michael Ebert
©  Fotos: Henning Kretschmer/stern / Picture Alliance / DPA
Moderatorin, Journalistin und Autorin Christine Westermann liebt Bücher. Hier stellt sie alle zwei Wochen ihre Neuentdeckungen vor. Diese Woche "Nicht von dieser Welt" von Michael Ebert.

Wenn Sie an Verstorbene denken: Wünschten Sie, dass der Verstorbene zu Ihnen spricht, oder möchten Sie lieber dem Verstorbenen noch etwas sagen?

Wie würde Michael Ebert, der Autor des Buches "Nicht von dieser Welt", die Frage aus dem berühmten Fragebogen von Max Frisch beantworten?

Mischa, die Hauptperson der Geschichte, ist 13, als der Vater stirbt. Völlig unerwartet für die Familie, die Frau, den Sohn. Weil er so traurig ist, dass sein Vater von einem Tag auf den anderen nicht mehr für ihn da ist, sehnt sich Mischa danach, noch einmal mit ihm zu sprechen. Von ihm zu erfahren, warum er wegwollte. Ob es ihm dort, wo er jetzt ist, gut geht.

Der 13-jährige Mischa steht im Mittelpunkt, ein bisschen erzählt der Autor aber auch entlang seiner eigenen Lebenslinie. "In seinem Debütroman führt er uns an den verwunschenen Ort, an dem er selbst aufgewachsen ist: ein Krankenhaus in einer süddeutschen Kleinstadt", heißt es im Klappentext.

Seit dem Tod des Vaters lebt Mischa mit seiner Mutter in einer Wohnung der Klinik, die Mutter ist Krankenschwester auf der Intensivstation. Das Geld ist knapp, aber das war es auch schon, als der Vater noch lebte. Er war spielsüchtig, hat alles an Spielautomaten verdaddelt, der Gerichtsvollzieher ging im Haus ein und aus.

Das Sterben kann Mischa im Krankenhaus gut an den Jahreszeiten festmachen. Im Herbst kommen die Großmütter, die beim Obstpflücken von der Leiter fallen. Im Winter die Einsamen, im Frühjahr die Wasserleichen und im Sommer die Motorradfahrer.

Die Aufgaben der Toten

An einem Sonntag, kurz nach seinem 13. Geburtstag, geht Mischa an der Telefonkabine der Klinik vorbei. Das Telefon klingelt, Mischa zögert, dann nimmt er den Hörer ab. Ob er sich um ihre kleine Katze Fini kümmern könne, jetzt, wo sie tot sei, fragt ihn die alte Frau. Dass sie tot ist, weiß er ganz sicher, seine Mutter hat es ihm erzählt.

Er kümmert sich um Fini, wie von der Toten gewünscht, sie bleibt nicht die Einzige, die ihn um etwas bitten wird. Nie fragen die Toten, wer er ist. Er kann sie nur hören, nie mit ihnen sprechen. Nie erzählt Mischa jemandem davon, denn "wenn ich meine Aufgaben gut erledige und darüber schweige, so dachte ich, werde ich irgendwann belohnt. Und dann ruft mein Vater an."

Buchcover Michael Ebert -  Nicht von dieser Welt
„Nicht von dieser Welt“
von Michael Ebert, Penguin, 240 Seiten, 24 Euro
© PR

Nein, das ist keine abgehobene, esoterisch angehauchte Geschichte. Auch wenn sie von Verlust und Traurigkeit erzählt, passiert das wie nebenbei. Auf keiner Seite kippt der Roman ins Rührselige, was wiederum ungemein tröstlich ist. Der melancholische Ton, der sich durch das Buch zieht, bekommt oft eine ungeahnte, fast schon fröhliche Leichtigkeit. Es geht um große Gefühle, aber die hat der Autor fein und zurückhaltend verpackt.

Sieben Tage im Sommer 1991, die einem Jungen, der nicht weiß, was das Leben mit ihm noch vorhat, plötzlich eine Richtung geben. An seiner Seite Sola, eine französische Austauschschülerin, mit der Mischa zu einer Abenteuerreise in die ehemalige DDR aufbricht, wo beide in einem Stollen nach Geld suchen. Das wird keine Liebesgeschichte. Oder vielleicht doch, nur anders, als man denkt. Ich könnte noch weiterschwärmen, mach ich aber nicht. Weil es viel schöner sein wird, wenn Sie das Buch selbst lesen.

Ich wüsste gern, wie Michael Ebert die Frisch-Frage beantwortet. Könnte ihm vielleicht erzählen, dass ich so alt war wie der Mischa aus seinem Roman, als mein Vater überraschend starb. Ich mir heute noch manchmal wünsche, er könnte mir etwas sagen. Bei Mischa hat es übrigens geklappt.

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Erschienen in stern 41/2023

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