Eine High School wie es sie wahrscheinlich zu tausenden gibt: Ein weitläufiger Backsteinbau mit hellen Fluren und Licht durchfluteten Räumen. Die Klassenzimmer haben große Fenster, der Schulhof ist begrünt und sauber. Hier sickert eines Nachmittags um 2:37 Uhr eine Blutlache aus der Mädchentoilette. Eine Schülerin hat sich dort vor wenigen Minuten eingeschlossen und sich aus Liebeskummer die Pulsadern aufgeschnitten.
Allgegenwärtiges Mobbing
Der Film "2:37 - Entscheide über Tod oder Leben" erzählt die Geschichte von sechs Jugendlichen. Jeder hat mit seinen ganz eigenen Problemen zu kämpfen, und doch sind sie auf verschiedene Weisen miteinander verwoben. Existenzielle Nöte treffen auf für Teenager typischen Liebeskummer.
Da ist die zerbrechlich wirkende Melody, die aus der Telefonzelle mit ihrer Mutter telefoniert - einfach, um die Stimme eines Menschen zu hören, der sie mag. Als sie in der Schultoilette einen Schwangerschaftstest macht, der positiv ausfällt, bricht für sie die Welt zusammen. Zwar geht sie zunächst noch zum Unterricht, muss aber dann weinend das Klassenzimmer verlassen.
Oder Marcus, Melodys Bruder, der sie vergewaltigt hat und selbst darunter leidet, dass er immer perfekte Leistungen bringen muss. Er hat regelrechte Panik vor dem vernichtenden Urteil seiner Eltern. Oder Steven, der hinkt, weil seine Beine ungleich lang sind und deshalb von seinen Mitschülern übel gehänselt wird. Sean, der sich als schwul geoutet hat und sich nun aus dem permanenten Mobbing in den Haschkonsum flüchtet. Luke, der Mädchenschwarm der High School, der sich, seiner Freundin und vor allem seiner Clique nicht eingestehen kann, dass auch er homosexuell ist.
Schulhof und Flur wirken plötzlich bedrohlich
Die Geschichten der jungen Menschen werden in Episoden erzählt. Die Kamera wechselt ständig zwischen den Hauptpersonen. Die Kameraführung ist unruhig - so bricht das Bild der scheinbaren Idylle. Plötzlich wirken der begrünte Schulhof und der weitläufige Flur bedrohlich. Mittels geschickter Rückblenden lassen die Filmemacher im Halbdunkel, was wann genau geschieht. Ein künstlerisches Element lässt die Geschichte so verworren wie ein Labyrinth wirken: Alle Szenen werden mehrmals aus verschiedenen Perspektiven gezeigt. Oft wird dem Zuschauer erst dann klar, mit wem die jeweilige Hauptperson kurz zuvor gesprochen hat. So wird die scheinbare Ausweglosigkeit der Teenager widergespiegelt, aber es führt auch leicht dazu, dass der Zuschauer den Faden verliert.
"2:37" ist ein Film, der schonungslos an die Probleme der Jugendlichen herangeht. Das Drehbuch stammt von Murali K. Thalluri, einem damals 20-Jährigen, der bei "2:37" auch Regie führte. Weil er für den Film keine staatliche Förderung bekam, finanzierte er die Produktion größtenteils aus privaten Mitteln. "2:37" lief 2006 in Cannes - der 1984 geborene Thalluri war der jüngste Regisseur auf dem Festival. Das Drehbuch schrieb er vor dem Hintergrund seiner eigenen Erfahrungen. Er verlor nicht nur einen Freund, weil dieser sich das Leben nahm, sondern überlebte selbst einen Selbstmordversuch. Thalluri nennt sein Debut den "Film, der mein Leben rettete".
Für einige Szenen müssen die Zuschauer hartgesotten sein, beispielsweise wenn aus verstörender Nähe gezeigt wird, wie Marcus seine Schwester vergewaltigt, oder wie sich Kelly die Pulsadern mit einer Papierschere aufschneidet. Lange Passagen, in denen die Kamera ohne konkretes Ziel durch die Gegend schwenkt, begleitet von theatralischer Musik, tragen anfangs zur beunruhigenden Atmosphäre des Films bei, werden aber gegen Ende ein wenig langatmig.
Ein wenig zu dick aufgetragen
Gelungen sind dagegen die Szenen, in denen die konfuse Handlung unterbrochen wird, um die Hauptpersonen in schwarz-weiß einen kurzen Monolog sprechen zu lassen. Hier blickt der Zuschauer hinter die Fassade der Jugendlichen, die zwar fragil ist, aber im Schulalltag mühsam mit allen Mitteln aufrecht erhalten wird - ein unbehagliches Gefühl, als würde man in ihrem Tagebuch herumschnüffeln.
Der junge australische Drehbuchautor und Regisseur Thalluri hat bei seinem ersten Spielfilm zu viel gewollt und sich letzten Endes selbst im Weg gestanden. Es gelingt ihm, den Zuschauer aufzuwühlen, was offensichtlich Intention dieses provokanten Debüts ist. Jedoch bleibt das vage Gefühl, einer sehr konstruierten Geschichte zu folgen, einer Geschichte, die mit der Wucht der einzelnen portraitierten Schicksale lähmt, und zugleich ein wenig zu dick aufgetragen wirkt.
Die Geschichte ist überzeichnet, die Menge der schwerwiegenden Probleme unrealistisch. Sicherlich gibt es Teenager, die in solchen, nicht zu unterschätzenden Schwierigkeiten stecken. Gottseidank - der Film zeigt einen Schulalltag, der so meist nicht Alltag ist. So sehr es der Film zu schockieren vermag, so schnell verpufft auch seine Wirkung.
Murali K. Thalluri hätte gut daran getan, sich auf weniger Figuren zu beschränken und damit einen Film zu drehen, der gleichermaßen berührt ohne Gefahr zu laufen, dass die Zuschauer auf der Strecke bleiben.