"Am Ende kommen Touristen" Zivildienst in Auschwitz

Die einzige noch freie Zivi-Stelle ist im polnischen Auschwitz: Dort soll Sven einen KZ-Überlebenden betreuen. Diese Aufgabe konfrontiert den jungen Deutschen nicht nur mit einer unbekannten Sprache, sondern mit der Vergangenheitsbewältigung vor Ort.

Durch die nachgebauten KZ-Baracken, wo sich einst tausende Männer, Frauen und Kinder abgemagert aneinanderdrängten, schlendern heute Touristen. Schulklassen stürmen in die Busse, und vor dem "Arbeit macht frei"-Schild lassen sich die Besucher wie vor dem Pariser Eiffelturm oder dem Brandenburger Tor fotografieren. Es sind befremdliche Bilder, die Regisseur Robert Thalheim in seinem bei den Filmfestspielen in Cannes gefeierten zweiten Spielfilm "Am Ende kommen Touristen" aus der Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau einfängt. Vor allem aber wirft Thalheim - der bereits für seinen ersten Langfilm "Netto" mehrfach ausgezeichnet wurde - die unbequeme Frage auf, ob und wie dem Leid hunderttausender Männer, Frauen und Kinder noch heute angemessen gedacht werden kann.

Im Zentrum der Geschichte steht Sven (Alexander Fehling), der seine Zivildienststelle in der Begegnungsstätte etwas unwillig antritt. Eigentlich hätte der junge Deutsche lieber woanders hingewollt als hierhin nach Oswiecim in Polen. Seine Unlust steigt, als er sich um den griesgrämigen Stanislaw Krzeminski (die polnische Schauspielerlegende Ryszard Ronczewski) kümmern soll, einen ehemaligen KZ-Häftling, der noch heute auf dem Gelände des ehemaligen Lagers wohnt. Doch was anfangs nach einer drögen Arbeit in einem langweiligen Ort aussieht, wird für Sven schnell zu einer großen Bewährungsprobe um Liebe, menschliches Miteinander und Erwachsenwerden.

Reisegruppen in Bussen oder Zügen

Oswiecim ist ein kleiner Ort mit rund 40.000 Einwohnern, der von grünen Wiesen umgeben ist und in dem Arbeitsplätze Mangelware sind. Einziger Anziehungspunkt für Besucher aus der ganzen Welt ist die benachbarte Gedenkstätte auf dem ehemaligen KZ-Gelände. Täglich kommen dutzende Reisegruppen in Bussen oder mit dem Zug an und strömen durch die Gedenkstätte.

Die dabei ohne Wertung gezeigten Aufnahmen regen unwillkürlich zum Nachdenken an. Darf man dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte mit so einem Massentourismus gedenken? Ist das angemessen oder artet diese Form des Erinnerns nicht tatsächlich in eine makabre, aber gewissenberuhigende Form des Tourismus aus? Vor allem: Gibt es überhaupt richtiges oder falsches Gedenken?

Nur noch schmückendes Beiwerk

Mit diesem schwierigen Balanceakt zwischen Gutes-tun-wollen und Gut-sein wird in dem von Hans-Christian Schmid ("Requiem") mitproduzierten Film auch Zivi Sven konfrontiert. So darf beispielsweise Stanislaw Krzeminski anfangs noch die Koffer der unzähligen Opfer restaurieren und für die Gedenkstätte aufbereiten, doch über seine grausamen Erlebnisse berichten darf er immer seltener. Vielmehr ist der ehemalige Häftling heute nur noch so etwas wie ein schmückendes Beiwerk bei Gedenkveranstaltungen deutscher Industrieller.

Ignorante deutsche Jugendliche stellen seine Lebensgeschichte zudem unverschämt lapidar infrage ("Man sieht die Nummer auf dem Arm ja kaum noch"), und junge Polen verbieten ihm schließlich die Arbeit mit den Koffern, weil es mittlerweile modernere Techniken gibt. Dass man einem alten Mann so seinen Lebensinhalt wegnimmt, interessiert dabei scheinbar nur Sven.

Der muss in dieser Initiationsgeschichte außerdem mit einem ganz persönlichen Gefühlschaos zurechtkommen, hat er doch die junge Polin Ania kennengelernt, die in der Gedenkstätte als Dolmetscherin arbeitet. Zwischen den beiden entwickelt sich eine zarte Liebesbeziehung, die jedoch durch Anias nationalistisch orientierten Bruder und die kulturellen Unterschiede immer wieder auf die Probe gestellt wird. Es ist eine harte Schule, doch Sven lernt, nicht aufzugeben und sich für die Dinge und Werte einzusetzen, die ihm wichtig sind. Damit gelingt Regisseur Thalheim in nicht einmal 90 Minuten mit "Am Ende kommen Touristen" ein wunderbar zarter und gleichzeitig politischer Film, wie es ihn in den deutschen Kinos nur selten zu sehen gibt.

Aliki Nassoufis/DPA

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