"Ratatouille" Man ist, was man isst

Eine Ratte, die sich allabendlich durch die Edelrestaurants von Paris frisst? Nach "Findet Nemo" haben die Pixar-Studios wieder einmal ein Tier zum Hauptdarsteller gemacht. "Ratatouille" ist fein verästelt in seiner Erzählstruktur, ausgetüftelt inszeniert und gewürzt mit einer Fülle skurriler Nebenfiguren.

Schon der Titel: "Ratatouille". Ziemlicher Zungenbrecher. Wird ausgesprochen: "Ratte-tuu-ii". Aber damit nicht genug. Eine Szene zeigt, wie in einem rituellen Akt ein Haufen Packungen Tiefkühlgerichte verbrannt wird. An anderer Stelle erfahren wir, dass die Qualität guten Brotes am seinen Knacken erkennbar ist. Mehr noch: Wir befinden uns hier in einem Plädoyer für Stil und guten Geschmack, für Genuss und Sinnlichkeit. Und vorgelebt wird diese Lebensart von - einer Ratte. Einer französischen Ratte, die sich Remy nennt und die Seele eines Poeten besitzt. Die aufrecht geht, weil sie sich die Vorderpfoten nicht schmutzig machen möchte, davon träumt, ein Meisterkoch zu sein und die verkündet: "Wenn man das ist, was man isst, möchte ich nur die guten Sachen essen."

Das Bemerkenswerte an diesem Gourmet-Produkt ist der Name auf der Verpackung: Walt Disney. Die Ur-Mutter der formatierten amerikanischen Unterhaltungsindustrie, Meisterin des Merchandise, deren possierliche Helden als kleine Plastikfiguren die Menüs großer Burger-Bratereien garnieren, hat plötzlich das Slow Food entdeckt. Was ist geschehen?

Von den Schöpfern von "Findet Nemo"

Der Micky-Maus-Konzern, dessen Trickfilmabteilung schöpferisch schon einige Zeit der Konkurrenz hinterherhinkt, schluckte 2006 mit Pixar jene Firma, die das Genre mit frischen, schnellen Späßen wie "Toy Story", "Findet Nemo" oder "The Incredibles" im Alleingang revolutioniert hatte. Und die Buchhalter glücklich machten, denn Disney verdiente kräftig mit als Verleiher der komplett am Computer animierten Späße, die insgesamt weltweit rund 3,7 Milliarden Dollar umsetzten.

Mit dem Kauf für 7,4 Milliarden Dollar einher ging die Übernahme von Disneys Kreativabteilung durch die Pixar-Leute Ed Catmull und John Lasseter. Im Haus der etwas geriatrischen Oma hatten nun die frechen Enkel der Dotcom-Generation das Kommando übernommen. Ein verschworenes 900-Personen-Kollektiv, das sich schon immer als Gegenentwurf zum schwerfälligen Studiosystem Hollywoods begriffen hat: Auf dem Ausweis, den jeder Besucher des Hauptquartiers im kalifornischen Emeryville bekommt, steht: "A Stranger from the Outside".

Sprung ins kalte Wasser

Erdacht und ausgeführt werden sämtliche Pixar-Projekte von einem mehrköpfigen Think Tank, dessen größte Feinde die in der Popkultur grassierende Bequemlichkeit und Mittelmäßigkeit sind. Zielgruppen-Affinität und Markt-Passgenauigkeit sind sekundär, die Qualität der Geschichte hat Vorrang. "Pixar springt immer ins kalte Wasser und versucht einen Weg zu finden nicht unterzugehen", sagt Brad Bird, Mitglied des obersten Planungsstabes, sowie Regisseur und Autor von "Ratatouille".

Die erste Produktion nach dem Disney-Deal schien indes selbst für Pixar-Absprüche ein Wagnis. "Eine Ratte als Held, die auch noch kocht", so Ed Catmull, "das ist sicherlich der Film, der bisher am schwersten zu verkaufen war." Doch wieder einmal ist das Rezept aufgegangen. Die Fabel von der feinsinnigen Provinz-Ratte Remy, die mit Hilfe des talentfreien Küchenburschen Linguini (sie dirigiert ihn unter seiner Kochmütze sitzend) zum Pariser Star-Chef avanciert, hat bis dato über 400 Millionen Dollar eingespielt und setzt künstlerisch wie technisch neue Maßstäbe.

Gewürzt mit einer Fülle skurriler Nebenfiguren

Fein verästelt in seiner Erzählstruktur, ausgetüftelt inszeniert und gewürzt mit einer Fülle skurriler Nebenfiguren, changiert "Ratatouille" federleicht zwischen rasantem Slapstick-Salut an Buster Keaton oder alte Tex Avery-Cartoons und sentimentaler Hommage an ein nostalgisches Puppenstuben-Frankreich à la "Amélie". Die Pastelltöne, in die Bird das Ganze taucht, verströmen dabei eine Wärme, wie sie bislang bei noch keiner Produktion von der Festplatte zu spüren war.

In der anrührendsten Szene des Films tischt der Kellner dem selbstherrlichen Restaurant-Kritiker Anton Ego eine Ratatouille-Komposition von Remy auf. Als er sich den ersten Bissen auf der Zunge zergehen lässt, sieht er sich plötzlich wieder als kleiner Junge in der Küche seiner Mutter stehen. Das schafft kein Cheeseburger dieser Welt.

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