"Sturm" von Hans-Christian Schmid Die Frau, die Kriegsverbrecher verfolgt

  • von Kathrin Buchner
Es ist das Porträt einer Anklägerin zwischen Integrität und Politik-Schacherei. Hans-Christian Schmids Film "Sturm" spielt dort, wo über die grausamsten Kriegsverbrecher gerichtet wird - im UN-Tribunal in Den Haag.

Wenn er Stress habe, würde er beten, sagt der Zeuge. Sie würde Schokolade bevorzugen, entgegnet sie knapp und ziemlich barsch. Hannah Maynard (Kerry Fox) ist Anklägerin am UN-Tribunal für Kriegsverbrecher in Den Haag. Eine Wadenbeißerin, ehrgeizig, aber auch schon ziemlich abgebrüht und leicht frustiert. Ein Kollege hat ihr gerade die Beförderung weggeschnappt. Dann muss sie auch noch dessen Fall übernehmen, die Anklage von General Goran Duric, der in Bosnien als Volksheld verehrt wird, aber im Krieg Zivilisten ermordet hat. "Ein richtiges Schwein", schreit ihr der vermeintliche Zeuge außer sich vor Wut entgegen. Sie will ihm nicht zuhören, kurz darauf erhängt er sich.

"Sturm" beginnt mit diesem Knalleffekt, doch es wird das einzige drastische Bild bleiben in diesem Film, der so viel über Gewalt erzählt, aber doch so wenig zeigen davon zeigen wird. Schmids Manifest für Menschlichkeit spielt in der nüchternen Umgebung des Gerichtsgebäudes, konzentriert sich auf die starke Figur der Hannah Maynard, die dieser Schock aus ihrer Routine aufrüttelt. Jetzt will sie mehr wissen. Geht zu seiner Beerdigung, bohrt, fragt, lässt nicht locker, bringt die Schwester des Selbstmörders dazu auszusagen. 15 Jahre hat Mira Arendt (Anamaria Marinca) geschwiegen, hat nicht mal ihrem Mann die Gräuel erzählt, die ihr in einem Vergewaltigungscamp widerfahren sind. Sie wird bedroht, eingeschüchtert, doch Staatsanwältin Maynard überzeugt sie, ihre Geschichte doch zu erzählen und als Zeuge vor Gericht auszusagen.

Dann fängt der Thriller erst richtig an. Es entwickelt sich ein Kuhhandel, ein politisches Geschacher als Folge der Geschichte von Mira. Denn es geht nicht allein um die Bestrafung von Kriegsverbrechern, es geht um Einhaltung von Prozessregeln. Dahinter stehen wiederum politische Interessen wie die Verhandlungen zum EU-Beitritt von Bosnien. Politisches Kalkül gegen das Schicksal von Einzelpersonen, Gerechtigkeit gegen Zweckmäßigkeit. Und die skrupellosen Kriegstreiber, die Menschenleben auf dem Gewissen haben, kommen letztendlich mit einer Mini-Strafe weg.

Zwischen Integrität und politischem Kalkül

Wie integer kann so ein Gericht sein, dieser Frage wollte Regisseur Hans-Christian Schmid gemeinsam mit seinem Drehbuchautor Bernd Lange nachgehen. Journalistische Pionierarbeit haben sie dafür geleistet. Haben monatelang in Den Haag recherchiert, mit Richtern und Anwälten gesprochen, sich in die Geschichte des jugoslawischen Kriegs eingelesen, Verhandlungen verfolgt. Für die Figur der Hannah Maynard haben sie ein echtes Vorbild gefunden: Die deutsche Anklägerin Hildegard Uertz-Retzlaff, "eine freundliche, unscheinbare Dame um die 50, in deren Büros sich die Akten stapeln", so Schmid. Ein bisschen was von Chefanklägerin Carla del Ponte fließt in die Hannah Maynard auch noch mit ein.

Es sind zwei sehr starke Frauenrollen, die diesen Film tragen und ihm Tiefe und Emotionalität geben. Kerry Fox als Anklägerin, die Kämpferin in dieser männlichen Domäne, und Anamaria Marinca als verschlossenes Opfer, bei der ein Ventil geöffnet wurde und die ihre Wut endlich loswerden will.

Schmids Film für eine Verlängerung des UN-Tribunals

Doch nicht nur Schicksale will Schmid in seinem Film erzählen, sondern ganz explizit setzt er ein politisches Statement für eine Verlängerung des Tribunals. Die Vereinten Nationen wollen 2010 das Mandat für das Kriegsverbrechertribunal beenden, was Richter, Ankläger, Verteidiger und auch die Zeugen unter einen unglaublichen Zeitdruck setzt. Es fehlt sogar an Ausstattung: Ein zusätzlicher Gerichtssaal würde die Arbeit beschleunigen.

Es ist ein aufrüttelnder und bewegender Film. Ein Plädoyer für Zivilcourage. Am Ende lässt sich Hannah Maynard nicht ins Bockshorn jagen, von dem abgekarterten Politikgeschacher. Eine einzige Frage macht den Unterschied. Leider war diese Erkenntnis der Jury keinen Bären wert bei seiner Premiere während der Berlinale.

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