Berlinale-Tagebuch Glamour und Politik

Mit Jennifer Lopez kam noch mal eine große Portion Glamour auf die Berlinale. Mit ihrem Wettbewerbsbeitrag "Bordertown" brachte die Latin-Diva nebenbei ein politisches Anliegen auf die Agenda.

Es gibt so kleine Momente in denen einem klar wird, dass da draußen, weit weg vom Planeten Berlinale, auch noch Leben existiert. Kolonien mit Menschen, denen der ganze Fez hier ziemlich egal ist. Diese Passantin im beigefarbenem Mantel mit der Fellmütze zum Beispiel. Steht da so rum auf der Straße und bestaunt die Fan-Hundertschaften, die am Seiteneingang des Hyatt Hotels Antonio Banderas zujubeln. Als die Polizei die Umstehenden bittet, den Weg für den Autokorso freizumachen, fragt die Passantin einen Schutzmann: "Wer ist das denn?" "Na, det is der Antonio Banderas". "Kenn ich nicht". "Is' nich wahr", sagt der Schutzmann, und die Unwissende klärt auf: "Na ja, ich komm halt vom Lande."

Und dann gibt es Momente, in denen einem klar wird, dass es auf dem Planeten Berlinale nicht nur intelligentes Leben gibt. Bei der Pressekonferenz mit Arthur Penn zum Beispiel, Regisseur von "Bonnie & Clyde" und New Hollywood-Geburtshelfer, dem dieses Jahr die Hommage inklusive Ehren-Bär gewidmet ist. Nicht genug damit, dass der Saal nur zu einem Drittel gefüllt war, nein, ein Journalist ließ es sich nicht nehmen, dem Mann auch noch eine Frage zu "Ihrem Sohn Sean Penn" zu stellen. Während sich der Rest der Runde fremdschämte, reagierte der Veteran gelassen wie jemand, der in den letzten achteinhalb Jahrzehnten schon weitaus größeren Blödsinn gehört hat. "Sorry, wir sind nicht miteinander verwandt, aber ich kannte seinen Vater."

Schlafend im Berlinale-Palast

Schon eigenartig. Da hat man mal die Gelegenheit, eine der großen Kino-Legenden live und in Farbe zu erleben, und kaum jemand kommt. Mögliche Erklärung: Die fehlenden zwei Drittel saßen immer noch schlafend im Berlinale-Palast und hatten nicht mitbekommen, dass der koreanische Wettbewerbsbeitrag "Hyazgar" ("Desert Dream") längst vorbei war. Die Kollegin zwei Sitze links weiter hatte sich bereits nach einer knappen Viertelstunde ins Land der Träume verabschiedet. Was war geschehen? Nun, nichts eben.

Der chinesische Regisseur Zhang Lu erzählte von einem in Auflösung befindlichem Dorf an der monglolisch-chinesischen Grenze. Während die meisten Bewohner bereits weggezogen sind, harrt der Bauer Hangai nach wie vor aus, pflanzt sogar Bäume, um der Ödnis zu trotzen. Nachdem selbst seine Frau samt Tochter Richtung Stadt abgezogen sind, taucht eines Tages die junge Soon-hee mit ihrem Sohn auf, die beide nach dem Tod des Mannes bzw. Vaters aus Nordkorea flüchteten. Im Verlauf der Geschichte entwickelt sich zwischen den Dreien eine Freundschaft, die sogar Spurenelemente von Liebe in sich trägt. Das Ganze wird aber derartig zäh und langatmig präsentiert, dass selbst die Feuilletonisten-Floskel vom "Film, der sich ganz auf seine Bilder verlässt" nicht mehr greift.

J.Lo lässt die Fans im Regen stehen

Fast schon wie eine Erlösung wirkt da der hysterische Glamour, den Jennifer Lopez seit 48 Stunden in der Stadt verbreitet. Die Latin-Diva hatte gleich mal eine Image-gerechte Duftmarke gesetzt: Eingeschwebt mit Louis-Vuitton- und Prada-Gepäck, Gatte Marc Anthony und Ich-will-nicht-erkannt-werden-Sonnenbrille (eine Stunde vor Mitternacht besonders effektvoll), stöckelte sie wenig später am Hotel ignorant an ihren zahlreichen Fans vorbei, die bis zu vier Stunden im Nieselregen auf sie gewartet hatten. Erst als die dann schlecht gelaunt buhten, machte sie nochmal kehrt und signierte diverse Fotos und Notizbücher. Vielen Dank auch.

Man mag von ihrem albernen Getue, ihren Allüren halten, was man will, ihre cleane Musik mögen oder nicht, sie für eine gute oder mäßige Schauspielerin halten - es ist Lopez hoch anzurechnen, dass sie mit ihrer Popularität die Aufmerksamkeit auf einen kleinen Ort an der mexikanisch-amerikanischen Grenze lenkt, in dem seit Jahren junge Frauen das Opfer bestialischer Verbrechen sind, die von der Polizei und den Behörden ignoriert werden. 1998 hatte ihr Regisseur Gregory Nava, der Lopez mit der Sängerinnen-Bio "Selena" den Durchbruch ebnete, erstmals von seiner Idee erzählt, die Geschehnisse in Ciudad Juarez und Chihuahua filmisch umzusetzen. Sie sagte sofort zu - für die Hauptrolle und als Co-Produzentin.

Politisch brisante Geschichte

Seit der Einführung der nordamerikanischen Freihandelszone NAFTA lassen Großkonzerne an der Nahtstelle zwischen erster und dritter Welt in zahllosen Fabriken, sogenannten "maquiladoras", billig Produkte für den US-Markt fertigen. Die zum Teil noch minderjährigen Arbeiterinnen dort verdienen vier Dollar am Tag und leben unregistriert in weit entfernten Slums. Und sind Freiwild. Vergewaltigung, Folter. Organhandel und Mord stehen auf der Tagesordnung. Bis heute wurden 400 Frauen ermordet, die Dunkelziffer ist weit höher, die Aufklärungsrate tendiert gen Null. Navas Wettbewerbsbeitrag "Bordertown" schildert exemplarisch das Schicksal der jungen Eva, die auf dem Weg von ihrem Arbeitsplatz in Juarez nach Hause vergewaltigt und fast getötet wird. Lopez spielt eine Journalistin, die den Fall recherchiert, Antonio Banderas einen mutigen Lokalredakteur, der ihr unter Lebensgefahr hilft.

Man mag dem Film einige Schwächen vorwerfen, wie etwa das überzogene Finale oder die ziemlich klischeehaft ausgefallene Lopez-Reporter-Figur, die auch noch mit einem überflüssigen Kindheitstrauma ausgestattet wird. Doch die sind im Grunde sekundär, wenn man weiß, dass der Produzentin Barbara Martinez Jitner bereits gefilmtes Material aus ihrem Hotelzimmer in Juarez gestohlen, ein Produktionsassistent aus dem Ort von der Polizei festgenommen und misshandelt wurde und Regisseur und Crew Morddrohungen erhalten haben. Und wenn man bei der Pressekonferenz in das Gesicht von Norma Andrade gesehen hat, deren 17-jährige Tochter Laila vor sechs Jahren ermordet wurde, wünscht man sich, dass "Bordertown" in irgendeiner Form von der Jury berücksichtigt wird.

Am Samstag werden wir's wissen. Bis dahin warten auf uns unter anderem: vier Altmeister, ein Jungmeister - und eine Handvoll verrückter Russen.

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