Cannes Lauter alte Bekannte

Warum der Eröffnungsfilm "Lemming" kein Fehlstart war und was der Jurypräsident mit George W. Bush gemein hat, darüber berichtet stern.de-Mitarbeiter Matthias Schmidt aus Cannes.

Achtung! Ruhe, bitte! Der Präsident spricht: "Demokrat zu sein ist sehr schwierig für mich. Aber wir werden eine gute Zeit haben." Ende der Ansage.

Klingt ein wenig wie George W. Bush. Ist aber nur Emir Kusturica, Macher von Filmen wie "Time of the Gypsies" oder "Underground", und dieses Jahr Präsident der Jury. Dass der exzentrische Haudegen aus Sarajevo diesmal ein entscheidendes Wort mitreden darf, wer auf dem größten, wichtigsten und glamourösesten Filmfestival der Welt den Hauptpreis bekommt, lieferte am ersten Tag mehr Gesprächsstoff als die Qualität des Eröffnungsfilms oder welcher Hollywood-Star wann und wo genau heuer den Weg nach Südfrankreich findet.

Ästhetische, statt kassenträchtige Entscheidungen

Kusturica hatte denn schon im Vorfeld auf seine Auswahlkriterien hingewiesen. Er werde eine "rein ästhetische" Entscheidung treffen, keine kassenträchtige. Er liebe das Autorenkino und Cannes sei eine der letzten Schlachtschiffe gegen all den "materialistischen Trash" der aktuellen Mainstream-Kultur.

Seine prominenten Mitjuroren, unter anderem die mexikanische Schauspielerin Salma Hayek ("Frida"), der spanische Schauspieler Javier Bardem ("Das Meer in mir"), Hongkongs Actiongott John Woo, die Literatur-Nobelpreisträgerin Toni Morrison oder der Hamburger Deutsch-Türke Fatih Akin nahmen Kusturicas Diktatoren-Spielchen bei der Pressekonferenz jedoch sportlich. "Wenn das die Meinung des Präsidenten ist, dann ist das auch meine", witzelte beispielsweise Bardem.

Lauter alte Bekannte

Das Programm des Wettbewerbs scheint auf jeden Fall wie massgeschneidert für Kusturica. Lauter große Autorennamen, lauter alte Bekannte, die mit dem Blockbuster-Kino meist wenig am Hut haben. Jim Jarmusch präsentiert seinen neuen Film, Gus van Sant, Lars von Trier, David Cronenberg, Atom Egoyan oder Michael Haneke. Ob das am Ende wirklich ein Festival ergibt, dass noch jahrelang in Erinnerung bleibt, wird man sehen. Der Eröffnungsfilm "Lemming", ein französisches Werk über einen Ingenieur, dem langsam die Kontrolle über sein Leben und über seine junge Frau (Charlotte Gainsbourg) entgleitet, war zumindest kein kompletter Fehlstart. Auch wenn der Thriller, der so wirkt als ob sein Regisseur ein bisschen zu viel David Lynch geguckt hat, in der zweiten Hälfte deutlich an Spannung verliert und sich in seltsame Drehbuch-Volten flüchtet.

Am ersten Tag bringt das aber noch keinen der rund 4000 akkreditierten Journalisten um den, sowieso viel zu knapp bemessenen, Schlaf. Man genießt die laue Meeresbrise, die französische Küche, das Geschrei und Blitzlichtgewitter rund um den roten Teppich, einfach das "Cannes"-Gefühl. Wir werden eine gute Zeit haben.

Matthias Schmidt

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