Der sechste Tag Ein erster Festival-Favorit ist gefunden

Mit seinem radikalen Moralstück "Dogville" geht Lars von Trier die amerikanischen Gesellschaftsverhältnisse hart an - und stößt auf großes Interesse im Publikum in Cannes.

Nach sechs Tagen Festivalprogramm und einem partyreichen Wochenende ist es kein Wunder, dass immer mehr Leute im Kino einschlafen. Es wird gedöst und geschnarcht in sämtlichen Vorführungen. Um so erstaunlicher, dass am Montag in aller Frühe niemand die Augen schloss über ganze drei Stunden lang. Cannes hat seinen ersten Favoriten: Lars von Trier stellte sein radikales Moralstück "Dogville" vor, großes Festivalkino mit kleinster Kulisse. In neun Kapiteln plus Prolog erzählt der dänische Kinovisionär die Geschichte der jungen Frau Grace (Nicole Kidman), die vor Gangstern in die Rocky Mountains flüchtet. Das Drama spielt auf einem einzigen Set, ein auf dem Boden gemaltes Dorf namens Dogville, in dem sich die Figuren bewegen. Dort gewährt man Grace Unterschlupf. Doch die Gastfreundlichkeit hat bald ein Ende, die junge Frau wird missbraucht, vergewaltigt, gefoltert und erträgt still alle Qualen.

"Dogville ist ein universelles Dorf", erklärte von Trier auf der heillos überfüllten Pressekonferenz. "Der Film ist aber eine rein amerikanische Geschichte". Von kritischen Fragen amerikanischer Journalisten, wie er denn über die USA urteilen könne, wo er noch nie dort gewesen sei, ließ sich der reiseunwillige Regisseur nicht verunsichern. "Ich bin nur ein Spiegel für das was passiert. Dogville ist mein persönlicher Kommentar zu den USA. Man muss es ja nicht mögen."

Die meisten Festivalbesucher waren jedoch begeistert von seinem Film, seinem ehrlichen Auftritt und seiner charmanten Hauptdarstellerin Nicole Kidman. Sie stellte sich mit einem Lächeln, Zigarette und Brille den Fragen der Journalisten und erklärte, dass sie auch in den nächsten beiden Teilen der Trier-Trilogie die Rolle der Grace übernehmen werde. "Nur wenn ich mich wieder verlieben sollte, werde ich kürzer treten und mich niederlassen. Es gibt schließlich noch andere Dinge im Leben", so die Schauspielerin.

Während am Abend auch die deutschen Festivalteilnehmer bei einem Empfang der Exportunion auf ihre Koproduktion "Dogville" die Gläser hoben, spazierte Mrs. Kidman unter Blitzlichtgewitter über den roten Teppich. Sie feierte später mit ihrem Regisseur und Adrien Brody bei einem "Diner and Dance". Es heißt, weil Kidman im exklusiven "Hotel du Cap" nächtigt, reichte das Budget nicht mehr für eine der legendären großen Partys, für die die dänische Produktionsfirma Zentropa berüchtigt sind. Es war trotzdem ein schönes Fest, auch wenn sich die Australierin bereits um kurz vor zwölf verabschiedet. Auch sie war sicher nur müde.

Bianca Lang

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