Filmfestspiele Cannes Der Widerspenstigen Zähmung

Bislang gab es keine Skandale in Cannes. Selbst die Buhs und Bravos des Publikums sind leidenschaftslos. Ein bisschen zahm sind sie geworden, die großen Autorenfilmer wie Lars von Trier, David Cronenberg oder Jim Jarmusch.

Die Herren zwischen Ende 40 und Anfang 60 haben im letzten Jahrzehnt in Cannes immer wieder mit verstörenden oder extrem eigenwilligen Filmen die Meinungen gespalten. In diesem Jahr präsentieren sie sich im Wettbewerb ohne Skandal, ohne Provokation mit handwerklich perfekten, intellektuell reifen Werken. Davon profitiert das Niveau, aber es fehlt am Ende der meisten Vorstellungen die Leidenschaft der jubelnden "Bravos" und beleidigenden "Buhs".

Dem Mainstream nahe

Nahe am Mainstream, urteilen die Branchenblätter. Was nicht bedeutet, dass die Produktionen kommerzielle Massenware sind, sondern dass sie sich ästhetisch und inhaltlich einem breiteren Publikum öffnen. Selbst, wenn der Däne von Trier den US-Präsidenten George W. Bush als "Arschloch" beschimpft, gilt das zumindest in Frankreich fast noch als politisch korrekt. In seiner Heimat Dänemark fing sich von Trier allerdings verbale Ohrfeigen der Presse ein. Sein starker Beitrag im Wettbewerb, "Manderlay", stürzt die Zuschauer jedoch nicht mehr in die leidenschaftlichen Extreme seines Palmen- Gewinners "Dancer In The Dark".

Der Kanadier Cronenberg kann zu den Favoriten für die Goldene Palme gezählt werden, die am Samstagabend vergeben wird. Er ist einen weiten Weg gegangen bis zu "A History of Violence". Horror und Angst seiner früheren Film wie "Spider" oder "Crash" lauern jetzt eher im Hintergrund. Die "Geschichte der Gewalt" ist als Familiendrama im eleganten Geradeaus-Stil eines klassischen Westerns erzählt.

Mit rosa Blumen gleich zu vier Frauen

Kinofans im Studentenalter, die sich seit langem immer wieder neu an den Filmen von Jim Jarmusch begeistern, werden mit dem Reifeprozess des New Yorkers vielleicht Probleme haben. "Broken Flowers" ist eine schöne, melancholische Erzählung über einen ewigen Junggesellen, der durch einen anonymen Brief davon erfährt, dass er vor 20 Jahren möglicherweise einen Sohn gezeugt hat. Mit rosa Blumen macht er sich auf zu den vier als Mütter in Frage kommenden Frauen.

Bill Murray spielt den Mann mit wortkarger, verzweifelter Minimalkomik ganz im Stil seines Erfolgs "Lost in Translation". "Es ging mir weniger um eine Story als solche", erklärte Jarmusch seinen Ansatz. "Ich wollte die Geschichte der einzelnen Figuren zeigen." Das ist ihm raffiniert gelungen. Die Gesichter, Häuser und Kleider der Charaktere geben mehr Aufschluss über ihre Lebenserfahrungen und Gefühle als alle Dialoge. Wie verblühte, geknickte Blumen haben die Menschen in Jarmuschs Film ihre rosigen, besten Zeiten hinter sich.

Aufregend knusprige Schwarz-Weiß-Bilder

Auf der risikofreudigen und innovativen Seite steht in Cannes bisher nur der junge Texaner Robert Rodriguez mit "Sin City". Der 36-jährige Regisseur hat das Licht-und-Schatten-Spiel der düsteren Comic-Erzählungen von Frank Miller in aufregend knusprigen Schwarz-Weiß-Bildern umgesetzt. Der Zeichner Miller war als zweiter Regisseur beteiligt. "Wir wollten etwas wirklich Experimentelles und Kreatives machen", sagte Rodriguez ("The Mexican") am Mittwoch zur digitalen Bearbeitung des Films.

Harte Kerle und sexy Mädchen bevölkern "Sin City". Sie alle sind jederzeit gewaltbereit, wenn es um Fragen der Ehre, Rache oder Liebe geht. Doch der fantastische Look und Stars wie Mickey Rourke, Bruce Willis, Brittany Murphy und Benicio Del Toro täuschen nicht darüber hinweg, dass es der "Stadt der Sünde" vor allem an Herz fehlt.

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Karin Zintz/DPA

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