Catalina Saavedra brilliert in "La Nana" Die einsame Perle im Haushalt

Rachel ist eine wahre Perle. Aber auch verbittert, tablettensüchtig und noch immer Jungfrau. Ihre Situation ändert sich erst, als die lebensfrohe Lucy in ihr Leben tritt. Regisseur Sebastian Silva hat das einfühlsame Psychogramm einer einsamen Seele entworfen, der es ganz langsam gelingt, aus dem Gefängnis einer Familie auszubrechen, die nicht ihre eigene.

Der 40-jährigen Raquel ist der Frust über einen aufreibend-langweiligen Beruf und ein völlig ereignisloses Privatleben ohne Liebe und Zärtlichkeit ins herbe Gesicht geschrieben. Schon in den ersten Szenen des vielfach preisgekrönten chilenischen Films "La Nana - Die Perle", der ab dem 17. Juni in die Kinos kommt, ist klar: Diese Frau ist nicht glücklich. Dabei arbeitet Raquel schon seit zwei Jahrzehnten als allseits respektierte Haushälterin für eine kinderreiche Familie der Oberschicht in der Hauptstadt Santiago de Chile.

Diese Familie ist keineswegs von der problematischen oder gar üblen Sorte: Der Vater, ein sensibler Mann, baut Modellschiffe, die Mutter ist eine nette, anpackende Frau, die Teenager-Tochter ist halt altersgemäß ein wenig zickig. Und der ältere Sohn ist sogar Raquels Liebling, seine beiden kleinen Brüder sind anstrengende, aber süße Racker. Und alle gehen sie mit der dunkelhaarigen Frau mit den traurigen großen Augen recht freundlich um. Zum runden Geburtstag wird ihr sogar ein Ständchen gebracht, Geschenke gibt es dazu. Doch auch wenn Raquel in der Familie lebt und im Haus ein winziges Zimmer für sich hat: Sie gehört eben nicht wirklich dazu.

Raquel hat längst gesundheitliche Probleme, Kopfschmerzen und Schwächeanfälle plagen die niemals lächelnde Frau aus ärmlichen Verhältnissen. Als die Familie ihr ein zierliches Hausmädchen aus Peru an die Seite stellt, damit sie entlastet wird, reagiert Raquel eifersüchtig, ja regelrecht gemein. Sie schikaniert die neue Kraft und akzeptiert auch nicht, dass die Kinder ein Kätzchen ins Haus bringen. Nach einem Zusammenbruch kommt die Wende im tristen Dasein der Haushälterin: Mit der lebensfrohen Lucy bekommt sie eine Kollegin, die sich zu behaupten weiß, aber auch großes Mitgefühl für die Situation der Einsamen zeigt.

Hauptdarstellerin mit fantastischer Leistung

Zwischen den beiden Frauen entwickelt sich eine Freundschaft, die Raquel endlich auch eine Perspektive außerhalb der Familie und ihres schmucklosen Zimmerchens eröffnet. In der letzten Szene des Films ist eine deutliche gelockert wirkende Frau zu sehen, die im Trainingsanzug mit Musik im Ohr ihre Runden joggt, ganz offensichtlich einer besseren Zukunft entgegen. Der erst 31-jährige Sebastian Silva ist der Regisseur und Drehbuchautor dieses Films um das Schicksal einer Frau, die spät, aber nicht zu spät doch noch einen Ausweg aus tiefer Verbitterung findet. Silva ist es sehr gut gelungen, die Balance zwischen Gesellschaftsstudie und Psychodrama zu halten. Nie kippt der Film zu sehr in die eine oder die andere Richtung.

Allerdings verdankt "La Nana" fast alles seiner fantastischen Hauptdarstellerin Catalina Saavedra, die mit ihrem starren, fast schon hypnotischen Blick aus traurigen dunklen Augen sich tief ins Gedächtnis des Zuschauers eingräbt. Man nimmt der Schauspielerin in jeder Sekunde ab, tatsächlich diese frustrierte Haushälterin zu sein. Das Lob und die Auszeichnungen, die Saavedra für diese Leistung international bekommen hat, sind nur zu berechtigt. Eine kluge Entscheidung Silvas, der übrigens den Film in seinem eigenen Elternhaus drehte, war es, die Familie keineswegs als arrogant oder gar ausbeuterisch zu zeigen, sondern als rundweg sympathische Leute.

Damit verhindert der junge chilenische Filmemacher, dass die Geschichte in wohlfeile Sozialkritik abdriftet: Raquel ist auch, aber keineswegs nur Opfer krasser materieller Unterschiede. Vielmehr ist sie ein Frau, die sich bislang selbst die Lust am Leben verweigert hat. Am Ende der 94 Kinominuten hat die Haushälterin jedoch erkannt, wie wichtig es ist, sich von der Familie und ihrem Job lösen zu können. Und ganz sicher wird sie sich auch bald auf das Abenteuer der Liebe einlassen - dafür ist es mit 40 Jahren auch wirklich noch nicht zu spät.

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Wolfgang Hübner, APN

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