Auf Hawaii würden sie milde lächeln über so eine Welle. Gerade mal so breit wie ein Gartenteich und nicht viel höher als 140 Zentimeter. Keine Welle, eher eine Delle. Und doch pilgern seit über 30 Jahren Surfer aus Bayern und anderen fremdartigen Ländern an einen Nebenarm der Isar, den Münchner Eisbach. Klettern unter den Kastanien- und Ahornbäumen am Ufer nackt in schwarze Neoprenanzüge, um kurz darauf ihre Bretter in das wahrlich eisige Flüsschen zu werfen.
Neulich schaute auch einer dieser mit allen Wassern gewaschenen Surfprofis vorbei. Einer, der routinemäßig Monsterwellen besteigt vor Tahiti und vor Hawaii. Er blickte auf die Delle, auf das flaschengrüne Nass, das mit der Wucht eines ungebremsten Güterzuges unter zwei steinernen Brückenbögen hervordonnert. 21.000 Liter pro Sekunde, die hier am Rande des Englischen Gartens auf eine künstliche Schwelle aus Granit prallen und sich aufstülpen zu einer wulstigen, dauerhaften Woge. Ganz blass wurde der Profi. "Ich glaube, ich habe Angst", sagte er, stieg dennoch ins Wasser und wurde sofort umgerissen von der Strömung. Belächelt und weggespült. In einer Stadt, in der man Hawaii nur als Toast kennt. Die Delle hatte ihr wahres Gesicht gezeigt. Hinterfotzig nennen die Einheimischen so was.
Sonnyboys, Outlaws und Familienväter surfen auf der Eisbach-Welle
Quirin Rohleder und Björn Richie Lob, beide 35, schmunzeln noch heute, wenn sie diese Geschichte zum Besten geben. Sie sitzen in einem Museumscafe, nur einen Steinwurf von der fiesen Welle entfernt, und wühlen wie zwei erfahrene, gut gelaunte Veteranen in ihren Eisbacherinnerungen. Rohleder, früher Dolmetscher, heute Marketingmanager und professioneller Surfer, warf sich schon mit 13 auf ein Bodyboard und bezwang die Welle im Liegen. Lob, Fotograf und Kameramann, zog nur der Welle wegen von Köln nach München und verbrachte monatelang fast seine gesamte Freizeit auf dem Eisbach.
Auch wenn viele der Surfer eher verschlossene Eigenbrötler sind, lernte Lob so immer mehr Gleichgesinnte kennen und schätzen. Da ist der schweigsame Dieter, Familienvater und ebenfalls Kameramann, ein Flusssurfer der ersten Stunde, dessen Tochter beim Wellenreiten einmal fast ertrunken wäre. Da war der ganzkörperlich tätowierte Eli, der in seiner Heimatstadt San Diego Ärger mit einem Drogenboss bekam, flüchten musste und seitdem weltweit nach guten Flusswellen sucht. Da war der Sonnyboy Quirin, dessen eleganter Stil für Furore in der Szene sorgte.
Und da war der wilde Walter, Tankschutzmonteur und Motorradrocker. Der irgendwann die Nase voll davon hatte, dass die Welle nur bei Hochwasser ordentlich lief und in einer geheimen Aktion Eisenbahnschwellen ins seitliche Flussbett montierte: die eigentliche Geburt der Münchner Dauerwelle. Walter, der bald als Hausmeister der Welle galt, war es auch, der seinen Surfspot verbissen verteidigte gegen all die Adabeis und Möchtegern-Wellenreiter, die hier Show machen wollten, nicht Sport. Als der mehrfache Weltmeister Kelly Slater den Eisbach für einen PR-Aktion nutzen wollte, drehte ihm Walter mit ein paar Handgriffen kurzerhand das Wasser ab. Das hinterfotzige Monster lag plötzlich flach und ungefährlich im Bach, der Rest war Gischt.
Polizei jagte Surfer mit Waffe und Handschellen
All diese Geschichten kann man sich nun auch im Kino erzählen lassen. "Keep Surfing" heißt die von Lob konzipierte und gefilmte Doku, die auf dem Münchner Filmfest bereits den Publikumspreis einheimste und jetzt bundesweit anläuft. Der Titel ist eine Anspielung auf die jahrzehntelangen Katz- und Mausspiele mit der oberbayerischen Obrigkeit. "Lebensgefahr!", warnten Schilder, "Baden und Surfen verboten wegen gefährlicher Uferströmungen und wassertechnischer Einbauten". Wer dennoch übers Wasser bretterte, riskierte Strafzettel, Bußgelder und sein Surfboard, das gerne von der Polizei konfisziert wurde. Es gab sogar Vorfälle inklusive Handschellen und gezogener Dienstwaffe.
Alles Vergangenheit. "Heute kommen die Polizisten nur noch zum Zugucken", berichtet Lob. Oder wenn sich die Wagemutigeren unter den Surfern bei Hochwasser in die offene Isar stürzen und Spaziergänger erschrecken. War der Sprung auf den Eisbach lange untersagt und dann klammheimlich geduldet, wird die inzwischen international bekannte Touristenattraktion diesen Sommer endgültig legalisiert. Für die neue Saison wurde die Surfstelle zum ersten Mal aufgehübscht. Die Verbotsschilder an der Brücke sind bereits entfernt, auf einer Uferseite hat man für Surfer und Zuschauer neue Holztribünen angelegt. Ab Juli gehört der Flussabschnitt um die perfekte Welle dann offiziell der Stadt München und nicht länger dem Freistaat Bayern. Die Surfer unterschreiben einen Haftungsausschluss und dürfen dann mit einer städtischen Plakette auf dem Board ungestört weiter reiten.
Riversurfing und die Philosophie des Glücklichseins
"Keep Surfing" dokumentiert aber nicht nur Extremsportler, die auch in ihrem Leben gegen den Strom schwimmen. Lob gelang ein schwereloser, fast philosophischer Film, der einer Handvoll Leute zuschaut beim Glücklichsein. Das Leuchten in den Augen von Dieter, Walter und Quirin, wenn sie vom Brett steigen, wirkt selbst für Außenstehende bewusstseinserweiternd. "Surfen kostet wahnsinnig viel Kraft", sagt Rohleder. "Aber sobald du eine Welle erwischt, sind die Gefühle so stark, dass man die Anstrengungen nicht mehr spürt."
Zu den Glücksgefühlen gehört auch, dass an wohl keinem anderen Ort der Welt die Zuschauer so nahe an die Aktiven herankommen. Während man auf Tahiti und anderswo Boote mieten muss, um die Surfer zu bestaunen, genügt hier ein Busticket bis zur Haltestelle Nationalmuseum/Haus der Kunst. Ein paar Meter zu Fuß und schon steht man auf einer unscheinbaren Brücke nur ein paar Armlängen entfernt von den Athleten. "Am allerschönsten ist es", erzählt Lob selig strahlend, "wenn ein Kindergarten vorbeikommt an unserer kleinen Arena mitten in der Großstadt." Ein Jubeln und Klatschen und Schreien. Lob: "Da merkt man plötzlich, welche Begeisterung man weckt in anderen. Das fühlt sich total gut an."
Die offizielle Freigabe. Und der erste Film über die Münchner Wellenreiter, wo doch früher die goldene Regel galt: Sobald ein TV-Team die Kameras auspackt, wird das Surfen abrupt eingestellt. Fürchten sich die Veteranen nicht ein wenig vor dieser Zeitenwende am Eisbach? "Gewisse Leute meckern schon länger darüber, dass die Stelle immer voller wird", sagt Rohleder. Aber der Eisbach sei weiterhin schwierig zu surfen. Rohleder. "Kann gut sein, dass es kurzfristig einen Boom gibt." Aber viele Anfänger würden schnell wieder kneifen, sobald sie einmal von der Eisbachwalze länger unter Wasser gedrückt werden oder auf die Steine am Boden knallen. Auch Lob sorgt sich nur wenig: "Das reguliert sich von selbst. Sobald da mehr als 15 Leute stehen, frustriert das Warten, und die kommen sowieso nicht wieder."
Darauf, dass irgendwann der Hausmeister aus dem Gebüsch springt und die Massen vergrault, können sie heutzutage nicht mehr bauen. Walter lebt inzwischen auf Sardinien und baut Didgeridoos. Alles weitere im Kino.