Ins Kino gehen heißt: Karte kaufen, hinsetzen, in eine andere Welt katapultiert werden, aufstehen, gehen und - wenn alles gut geht - sogar etwas mitnehmen. Bilder, Töne, Gefühle. Das passiert eigentlich viel zu selten, was vielleicht auch mit der Scheu vor dem Unbekannten zu tun hat, aber das ist eine andere Geschichte. Ein Film, der seine Zuschauer zuletzt gleich auf einen anderen Planeten geschossen hat, war James Camerons "Avatar - Aufbruch nach Pandora". Mit extra neu entwickelter Technik schuf der "Titanic"-Regisseur neue Wesen in einer neuen Welt. Es wurde der erfolgreichste Film überhaupt.
In die gleiche Eskapismus-Kerbe schlägt nun "Tron: Legacy". Knapp 30 Jahre nachdem Steven Lisberger dem Kino mit "Tron" Bilder für die digitale Zukunft geschenkt hat - die damals übrigens auf einem Computer mit zwei MB Speicher entstanden sind -, dreht Joseph Kosinski die Geschichte um Kevin Flynn weiter, der einst zwischen den Welten vor und hinter dem Computermonitor wandelte.
Dank an Daft Punk
Diesmal muss in guter alter "Star Wars"-Manier das Motiv der zu kittenden Vater-Sohn-Beziehung herhalten. Sam ist das einzige Kind von Computerspiel-Imperiumsgründer Kevin Flynn. Eine Mutter gibt es nicht. Dann verschwindet auch noch der Vater. 20 Jahre später kommt eine Nachricht aus dessen verlassener Spielhölle - und Sam fährt hin. Ohne zu viel zu verraten: Auch er landet in der digitalen Welt der Programme und findet dort nicht nur seinen Vater.
Die Welt, die Kosinski mit einem Heer von Animations-Spezialisten geschaffen hat - für die Modernisierung der berühmten Lightcycles war übrigens der Deutsche Daniel Simon zuständig -, stellt alles Bisherige in den Schatten. Für genau solche Bilder ist 3D erfunden worden. Doch damit nicht genug. Die französische Elektro-Band Daft Punk ist für die Musik verantwortlich und hat aus dem "Tron"-Thema, das 1982 der progressive Elektromusiker Wendy Carlos schuf, eine wahre Elektro-Oper gemacht. Bild und Musik finden sich immer wieder auf gleicher Augenhöhe. Und in der Kombination heben sie "Tron: Legacy" auf das nächste Level des Kinoerlebnisses.
Design-Visionen
Ja, die Story sollte man nicht all zu sehr hinterfragen. Aber wenn sie nicht zu hanebüchen ist, will man das bei Science Fiction auch gar nicht. Interessanterweise hört sich die Kritik am neuen "Tron" fast genauso an wie die am alten: tolle Bilder, schwache Geschichte. Die visuellen Effekte seien "laut, grell und leer und sie sind alles, was der Film zu bieten hat", schimpfte damals Janet Maslin in der "New York Times". Ganz ähnlich hört sich das heute an: "Vergessen Sie die Geschichte, genießen Sie das Gefunkel." Das klingt smart, ist aber Unsinn, denn die Geschichte funktioniert. Zudem wird sie unter anderem getragen vom großartigen Jeff Bridges, der bereits im Ur-"Tron" den Kevin Flynn spielte, und diesmal - absolut überzeugend - in zwei Altersstufen zu sehen ist. Er erzählte auch, dass es in den vergangenen Jahren immer wieder Versuche gegeben habe, "Tron" zu reanimieren, dass aber erstens keine Geschichte gut genug gewesen sei, und zweitens vor allem die Technik fehlte sowie Menschen mit einer Design-Vision.
Diese Visionäre sind nun da. Viele von ihnen waren noch nicht einmal geboren, als Kevin Flynn das erste Mal in die digitale Welt gesogen wurde. Und das kann man sehen, hören und fühlen. Ein Erlebnis, das man so schnell nicht vergisst. Kino eben.