Fukunagas "Sin Nombre" Mexikanischer Film zeigt "das Elend des Südens"

Der mexikanische Film "Sin Nombre" läuft heute in den deutschen Kinos an. Regisseur Fukunaga hat mit seinem Werk eine Mischung aus Thriller, Gangster-Drama, Liebesgeschichte und Sozialstudie auf die Leinwand gebracht.

Irgendwie nach Nordamerika kommen, irgendwie nach Europa gelangen: Das ist der größte Wunsch von Abermillionen jungen Menschen ohne Hoffnung und Perspektive in den Ländern Lateinamerikas und Afrikas mit ihrer explosionsartig wachsenden Bevölkerung. Von den Dramen, die mit dieser verzweifelten Bewegung gen Norden so oft verbunden sind, erfährt der Rest der Welt meist nur dann etwas, wenn dabei wieder einmal viele Tote zu beklagen sind oder einer spektakulär großen Anzahl von Menschen die Flucht gelungen ist.

Welche individuellen Tragödien mit der Massenwanderung verbunden sind, zeigt die mexikanisch-amerikanische Produktion "Sin Nombre", die ab Donnerstag (29. April) in den deutschen Kinos zu sehen ist. Der 96-minütige Film des 1977 geborenen Regisseurs Cary Joji Fukunaga, von dem auch das Drehbuch stammt, erzählt die Geschichte des jungen Mädchens Sayra und des 18-jährigen Willy, den alle El Casper nennen. Beide stammen aus dem zentralamerikanischen Honduras, das seinen Bewohnern nur wenige Chancen auf ein halbwegs gutes Leben bietet. Sayra hat die Chance, ihrem Vater in die USA zu folgen und will diese Möglichkeit nutzen.

Casper hingegen ist Mitglied der Mara, einer riesigen, straff militärisch organisierten Verbrecherbande, die in ganz Zentralamerika agiert. Mord, Vergewaltigung und Körperverletzung gehören zur täglichen Routine in der Mara, deren jüngste Mitglieder nicht älter als sieben Jahre alt sind. Casper ist schon einige Jahre dabei, er hat unter anderem den Auftrag, neue Mitglieder in die Mara-Gliederung seiner Stadt Tapachula zu finden. Bei dem erst zwölfjährigen Smiley hat Casper Erfolg, denn der kleine Junge übersteht sogar das brutale Aufnahmeritual: Dreizehn Sekunden prügelt die von dem abenteuerlich tätowierten Lil' Mago unerbittlich geführte Gang auf Smiley ein.

Doch der lacht danach blutverschmiert trotz aller Schmerzen. Noch ahnt Casper nicht, welche Rolle Smilex bald für sein eigene Zukunft spielen wird. Denn noch ist der Junggangster damit beschäftigt, möglichst oft ins Bett der aus einem besseren Viertel stammenden schönen Martha Marlene zu kommen. Doch nach deren Ermordung durch Lil 'Mago und Caspers spontane Rache während einer Raubaktion auf einem mit Flüchtlingen überladenen Zug in Mexiko sind plötzlich Casper und Sayra schicksalhaft aneinandergekettet. Beide wollen, ja müssen um jeden Preis die US-Grenze überwinden, doch nur einer von beiden wird es schaffen.

Fragwürdige Aspekte trotz glaubwürdiger Besetzung

"Sin Nombre" (dt.: Ohne Namen) ist der inzwischen mehrfach international ausgezeichnete Versuch, zugleich einen Thriller, ein Gangster-Drama, eine Liebesgeschichte und eine Sozialstudie zu zeigen. Zweifellos ist dem aus einer japanisch-schwedischen Ehe stammenden Amerikaner Fukunaga ein spannender, vitaler und auch erschütternder Film gelungen. Mit der Mexikanerin Paulina Gaitan und dem Honduraner Edgar Flores, einem Kinodebütanten, sind in den Hauptrollen völlig unverbrauchte und daher sehr glaubwürdige Darsteller zu sehen, auch die anderen Rollen sind überzeugend besetzt.

Trotzdem hat der Film fragwürdige Aspekte: Denn die massiven sozialen, ethnischen und demografischen Probleme des Südens sind eben auch Kulisse für eine Handlung, deren Machart sehr zugerichtet wirkt auf das wohlhabende, actiongierige Publikum in den reichen Ländern der Welt. Vielleicht kann dieses Publikum mit solchen Filmen besser und massenwirksamer für die Nöte der Menschen in den Ländern Zentral- und Lateinamerikas interessiert werden als mit Fernsehdokumentationen, die es ja durchaus in großer Zahl gibt.

Aber Produktionen wie "Sin Nombre" entgehen nicht der Gefahr, für die Leinwand Verhältnisse zu individualisieren und spektakulär zu dramatisieren, die in der Realität nach radikalen Lösungen schreien, zu denen jedoch auch wohlmeinende Betrachter kaum bereit sein dürften. Das hinterlässt ein ungutes Gefühl, wenn der Film vorbei ist und die Zuschauer das Kino in der beruhigenden Gewissheit verlassen, im besseren Teil des Globus zu leben.

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Wolfgang Hübner, APN

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