Kollegen beschreiben ihn als manipulativ, übergriffig, cholerisch. Der Filmjournalist Peter Biskind vergleicht ihn mit Nixon, Mussolini und Darth Vader. Es gibt wirklich nicht viele Menschen, die gut über Harvey Weinstein reden. Und doch gilt der 60 Jahre alte und 250 Pfund schwere Filmproduzent als einer der wichtigsten Erneuerer des Kinos der letzten 25 Jahre. So wie New Hollywood in den späten 60er Jahren der Filmindustrie frisches Blut einflößte, sorgte Weinstein in den 90er Jahren beinahe im Alleingang dafür, dass das Kino nicht ausschließlich von blutleeren Blockbuster-Produktionen beherrscht wird.
Zusammen mit seinem Bruder Bob hatte er 1979 die Produktionsfirma Miramax Film gegründet, die sich dem Independent-Kino verschrieb. Es dauerte ein gutes Jahrzehnt, ehe das Bemühen Früchte trug. Stephen Soderberghs "Sex, Lügen und Video" rüttelte die Filmindustrie auf. Mit einem Mini-Budget von 1,2 Millionen Dollar produziert, spielte der Film mehr als 36 Millionen Dollar ein und verdreißigfachte damit das investierte Kapital.
In der Folgezeit war Miramax für ein paar Jahre die aufregendste Adresse für ein anderes Kino. Die Weinsteins förderten Filme, die zwischen dem klassischen, elitären Arthouse-Kino und den Megaproduktionen lag. Filme mit Anspruch, die trotzdem unterhielten. So schaffte es Miramax, Kritiker und Publikum gleichermaßen zu versöhnen. Vor allem tat sich das Studio als Talentschmiede hervor: Regisseure wie Quentin Tarantino starteten hier ihre Karriere. Keine Frage: Harvey Weinstein liebt das Kino - das gestehen ihm selbst Kritiker zu. Unter Weinsteins Brust schlage das Herz eines Cineasten, attestierte ihm Filmjournalist Biskind.
Truffaut als Initialzündung
Dazu passt der von Weinstein gern verbreitete Mythos über sein filmisches Erweckungserlebnis: Das soll er im zarten Alter von 14 Jahren gehabt haben, als er Francois Truffauts "Les quatre cents coups" ("Sie küssten und sie schlugen ihn") sah, die Geburtsstunde der Nouvelle Vague. Damals habe er sich vorgenommen, Filme zu unterstützen, die es ohne seine Hilfe nicht ins Kino schaffen würden. So die von ihm selbst gepflegte Legende.
Doch es ging dann doch nicht nur um die hehre Kunst, Geld spielte schon auch eine Rolle: 1993 verkauften die Brüder Miramax für geschätzt 80 Millionen Dollar an Disney, blieben aber weiterhin Geschäftsführer. Mit dem gigantischen Konzern im Rücken wurden die Budgets größer, die Filme unterschieden sich dagegen immer weniger von den Produktionen der großen Studios. Dafür kamen die großen Erfolge bei den Academy Awards: 1997 gewann die bombastische Literaturverfilmung "Der englische Patient" neun Oscars, "Good Will Hunting" heimste ein Jahr später zwei Preise ein. Und sieben Trophäen gab's 1999 für den kitschigen "Shakespeare in Love". Harvey Weinstein hatte den vorläufigen Zenit erreicht: Erstmals durfte er selbst einen Oscar als Produzent für den besten Film entgegennehmen.
2005 wagten die Brüder noch einmal einen Neustart: Sie verließen Miramax und gründeten The Weinstein Company, Regisseure wie Quentin Tarantino oder Robert Rodriguez blieben ihnen treu. Die Erfolge stellten sich schnell ein. Es hagelte Oscars für ihre Produktionen, etwa für "The King's Speech", "The Artist", oder aktuell "Silver Linings" und "Django Unchained". Allein 2012 erhielten die Filme des Hollywood-Paten 16 Nominierungen.
Wie weit geht sein Einfluss?
Dass Weinstein-Filme bei den Academy Awards so erfolgreich sind, liegt nicht allein an deren Qualität. Der Mogul fährt im Vorfeld der Oscar-Verleihung eine aggressive Kampagne für die von ihm vertriebenen oder produzierten Filme. Er schaltet Anzeigen, schmeißt Partys, bearbeitet Entscheidungsträger im persönlichem Gespräch und schickt den Mitgliedern der Academy Geschenke. Auf diese Weise, so behaupten Kritiker, übt er einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf das Abstimmungsergebnis aus.
Doch seine Macht reicht weiter - offenbar bis ins Weiße Haus. Die Idee, dass Michelle Obama den Oscar für den besten Film überreicht, soll von Weinstein und seiner Tochter Lily gekommen sein. Und wer, wenn nicht Weinstein, kann seine Ideen sofort in die Tat umsetzen? So reiste der Filmpate höchstpersönlich nach Washington und gehörte zu der Delegation, die der First Lady den Vorschlag unterbreitete. Die sagte spontan zu.
Gestört hat dabei nicht, dass Weinstein 2008 bei den Vorwahlen der Demokraten Hillary Clinton unterstützte - und damit gegen Obama Position bezog. Doch der US-Präsident ist offenbar nicht nachtragend. Oder er kann es sich nicht leisten, nachtragend zu sein: Denn wer möchte schon Harvey Weinstein einen Wunsch abschlagen?