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85. Oscar-Verleihung "Hast du den Umschlag, Obama?"

Bis auf wenige Ausnahmen waren die 85. Oscars ein Wohlfühlpaket: Preise für Christoph Waltz, Michael Haneke, Adele und Daniel Day-Lewis. Aber was um Himmels Willen hatte Michelle Obama da zu suchen?
Von Sophie Albers

Es war ein sehr skurriler Augenblick, als Jack Nicholson den Blick zur Leinwand hob und der zugeschalteten First Lady zurief "Hast du den Umschlag, Obama?" "Ja, hab ich", antwortete Michelle glitzernd gut gelaunt, um dann den Gewinner des Königs-Oscars bekanntzugeben, ganz am Ende der Gala, die gefühlt eh schon "Wetten, dass…?"-mäßig überzogen hatte: Bester Film der 85. Academy Awards ist also Ben Afflecks Iran-Thriller "Argo".

Doch anstatt sich mit Affleck und Kumpel-Produzent George Clooney zu freuen, stutzte man über diese Verquickung, die sich in solch plakativer Art irgendwie falsch anfühlte - Hollywood und Weißes Haus als best Buddys. Moderator Seth MacFarlane konnte zwar Hitler-Witze über Hanekes grandioses Drama "Liebe" machen, aber zu Michelle Obama fiel ihm dann auch nichts mehr ein. Das sicherste Zeichen dafür, dass bei der Laudatorenwahl etwas schiefgelaufen ist.

Dabei hatte sich die Verleihung zwischenzeitlich richtig gut entwickelt. Und das obwohl besagter Gastgeber des Abends, "Ted"- und "Family Guy"-Erfinder MacFarlane, gleich zu Beginn mit viel zu langgezogener Selbstverliebtheit Witze erzählte. Die waren allerdings sofort vergessen, als gleich der erste Oscar an Christoph Waltz ging - als bester Nebendarsteller in Tarantinos "Django Unchained". Das Glücksgefühl war tief und anhaltend, schließlich hatte kaum jemand damit gerechnet, dass Waltz sich nach dem Durchbruch 2009 mit "Inglourious Basterds" nun schon wieder durchsetzen würde. Hat er aber - gegen die Ultraschwergewichte Tommy Lee Jones, Robert De Niro, Alan Arkin und Philip Seymour Hoffman. Was für ein Fest.

Shirley Bassey, Adele und Ted

Eine halbe Stunde später sang Dame Shirley Bassey zu Ehren von 50 Jahren Bond "Goldfinger". Dann gewann Michael Haneke auch schon den Oscar für den besten ausländischen Film für das brillante Drama "Liebe" mit Jean-Louis Trintignant und Emmanuelle Riva. Und zwischendurch wurde auch noch der wunderbare "Searching for Sugar Man" mit dem Oscar für den besten Dokumentarfilm ausgezeichnet. Menschlichkeit, Hoffnung, Ernsthaftigkeit, Glück.

Auch wenn es so sicher war wie die starr-gebotoxten Gesichter auf dem roten Teppich: Es war befriedigend, Anne Hathaway zart berührt und ganz in Rosa die Trophäe als beste Nebendarstellerin in den fragilen Armen halten zu sehen. Ihr Auftritt als am System zerbrochene Frau in Tom Hoopers monumentaler Musicalverfilmung von "Les Misérables" ist schlicht Beton-erweichend. Und um große Gefühle geht es hier schließlich. Da störte nicht mal der unmotivierte Auftritt von MacFarlanes verdorbenem Film-Teddy "Ted".

Als sei das nicht genug, stand plötzlich Adele auf der Bühne und sang ihren Bond-Song "Skyfall", für den sie später auch einen Goldmann bekam. Der Sound war nicht der beste, aber die leichte Unsicherheit in der sonst so starken Stimme machte die glattpolierte Veranstaltung noch ein bisschen perfekter. Keine 20 Minuten später zog die Gedenkgalerie der verstorbenen Hollywoodianer über die riesige Leinwand - und Barbra Streisand sang "The Way we were". Mehr Traumfabrik geht nicht!

"Life of Pi" hat die meisten Oscars

Die emotionale Verschnaufpause kam mit den "Chicago"-Stars René Zellweger, Catherine Zeta-Jones, Richard Gere und Queen Latifah. Und brutale Abkühlung brachte schließlich der Oscar für Jennifer Lawrence ("Tribute von Panem"), die in "Silver Linings" eine durchgeknallte Witwe spielt, die an der Liebe zu Bradley Cooper genest. Ja, der Film ist nett und hoffnungsfroh, aber Emmanuelle Riva - die an diesem Tag auch noch ihren 86. feierte, spielt einfach mal in einer ganz anderen Liga.

Und dann war da immer noch Jessica Chastain mit ihrer präzisen Leistung in "Zero Dark Thirty". Doch Rivas Sterben in "Liebe" war der Jury wohl zu trist, und Kathryn Bigelows Film über das Jagen und Töten von Osama bin Laden gilt vielen als heißes Eisen, weil Folter gezeigt wird. Trostpflaster waren der Drehbuch-Oscar für Tarantino und der Regie-Oscar für Ang Lee und sein Fest für Herz und Kopf: "Life of Pi". Die Verfilmung des Bestsellers "Schiffbruch mit Tiger" räumte übrigens die meisten Trophäen ab: vier insgesamt, gefolgt von "Les Misérables" und "Argo" mit dreien.

Dann bekam Daniel Day-Lewis auch schon seinen gründlich erspielten Hauptdarsteller-Oscar für "Lincoln". Und als nächstes brachte Jack Nicholson das "dicke Ding" (MacFarlane), eben die Schalte ins Weiße Haus. Der "Hollywood Reporter" hat auch schon vermeldet, wie die zustande gekommen sein soll: Hollywoods furchteinflößender Mega-Produzent Harvey Weinstein und seine Tochter Lily hätten es auf den Weg gebracht, heißt es. Dass er an solch bedeutenden Strippen ziehen kann, lässt einen gruseln. Denn die Weinstein-Company hat auch "Silver Linings" mit Jennifer Lawrence herausgebracht. Aber vielleicht wollte die Jury ja einfach nur Hollywoods vermaledeites Happy-End.

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