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Medienkolumne

Bundespräsident auf Tauchstation Warum schweigt Wulff?

Noch kann sich die Öffentlichkeit vom neuen Präsidenten kein Bild machen. Auch zu Sarrazin schweigt Christian Wulff eisern. Daraus kann ein Problem werden. Für ihn - und für das Gemeinwesen.
Von Bernd Gäbler

Nein, zum Fall Thilo Sarrazin werde der Bundespräsident nicht Stellung nehmen. Das lässt das Bundespräsidialamt verlauten. Die Begründung? Zu Vorgängen, die der Bundespräsident "im Rahmen seiner Amtsführung möglicherweise noch juristisch bewerten muss", werde er sich nicht vorab äußern. Gemeint ist, dass der Bundespräsident Christian Wulff am Ende die Entscheidung treffen muss, falls der Vorstand der Bundesbank die Entlassung Thilo Sarrazins aus dem Gremium beantragen sollte. Das aber wäre keine "juristische Bewertung", denn der Bundespräsident ist nicht das Verfassungsgericht von Karlsruhe, das die Korrektheit des Verfahrens bewertet, sondern eine politische Entscheidung. Aber auch da spielt der Bundespräsident lieber auf Zeit.

Muss der Bundespräsident sich zu Thilo Sarrazin äußern? Nein, das muss er nicht. Die Debatte mag ihm zu aufgeregt, zu tagespolitisch erscheinen. Über die ihr zugrunde liegende Verunsicherung sollte er schon nachdenken: über die demografische Entwicklung des Landes und seine multikulturelle Perspektive. Es kann nicht darum gehen, gegenüber einer aufkeimenden Diskussion ein "Machtwort" zu verlangen. Aber vielleicht könnte ein kluger Bundespräsident ja ein wenig sortieren: Was ist berechtigte Problemsicht, was nur Aufmerksamkeitsgier, und welcher provokative Ton sprengt die Sitten unseres gedeihlichen Zusammenlebens? Könnte dies nicht eine sinnvolle Aufgabe für einen frisch gewählten Bundespräsidenten sein, der bislang nur vage "die Zukunft" als die Titelzeile über seine Präsidentschaft stellte?

Medial ist Wulff kaum präsent

Christian Wulff ist nun seit zwei Monaten im Amt. Noch ist die 100-Tage-Schonfrist nicht vorbei. Vielleicht ist es zu früh für Kritik, aber ein paar Fragen wird man schon jetzt stellen dürfen. Seit seiner Wahl jedenfalls wirkt Christian Wulff wie verschwunden. Medial ist er kaum präsent. Konturen für seine Präsidentschaft sind (noch) nicht erkennbar. Allmählich sollte er sich darum kümmern, welches Bild er in der Öffentlichkeit abgibt.

Denn was hat er bisher getan? Nach dem anstrengenden Wahlakt hat er eine Antrittsrede gehalten, die gelesen etwas substanzieller wirkte als gesprochen. Er wolle Brücken bauen, hieß es darin, die Menschen sollten aufeinander zugehen, Vorurteile überwinden, weniger fragen, was uns trennt als was uns verbindet. Das mag man heute auch als erste, noch etwas floskelhafte Position zu Sarrazin lesen.

Was hat Christian Wulff sonst in den ersten zwei Monaten seiner Amtszeit öffentlich sichtbar geleistet?

- Er war in Bonn und hat seinen zweiten Amtssitz, die "Villa Hammerschmidt", besichtigt
- Er hat 20 Staats- und Regierungschefs empfangen
- Er hat sich in Hannover von seinen früheren Mitarbeitern verabschiedet
- Er hat auf Mallorca seinen Urlaub auf dem Anwesen seines Freundes, des Ex-AWD-Chef Carsten Maschmeyer verbracht, was höchstes Stilempfinden vermissen ließ
- Er hat in Berlin ein großes Bürgerfest ausgerichtet
- Und: In der Orangerie in Rinteln in Niedersachsen ist Christian Wulff als 1,94 Meter große Terrakotta-Krieger-Skulptur zu bewundern

In den Tagen des unmittelbaren Amtsantritts stand vor allem seine junge Gattin Bettina im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit. Vielleicht kann Wulff nichts dafür, wenn die Medien sich so sehr für die erste First Lady mit Tattoo begeistern und er daneben etwas langweilig wirkt. Ein wenig sah es aus, als ziehe da eine routinierte PR-Frau ihren noch etwas schüchternen Schützling mit auf die große Bühne.

Dann trat der Bundespräsident zur Fußball-WM in Südafrika auf einer Pressekonferenz des DFB als Mitwirkender auf. Er versprach dem Bundestrainer Jogi Löw einen Orden. Zumindest streifte dieser Auftritt populistische Peinlichkeit.

Zur Person

Bernd Gäbler, geboren 1953 in Velbert/Rheinland, ist Publizist und Dozent für Journalistik. Er studierte Soziologie, Politologie, Geschichte und Pädagogik in Marburg. Bis 1997 arbeitete er beim WDR (u.a. "ZAK"), beim Hessischen Rundfunk ("Dienstags - das starke Stück der Woche"), bei Vox ("Sports-TV"), bei Sat.1 ("Schreinemakers live", "No Sports"), beim ARD-Presseclub und in der Fernseh-Chefredaktion des Hessischen Rundfunks. Bis zur Einstellung des Magazins leitete er das Medienressort der "Woche". Von 2001 bis Ende 2004 fungierte er als Geschäftsführer des Adolf-Grimme-Instituts in Marl.

Inhaltlich wurde Christian Wulff dann noch einmal im Frühstücksfernsehen der ARD. "Heute begleitet auch die Politiker viel Häme, viel Spott und viel Misstrauen - mehr als früher, und das kann nicht so bleiben," jammerte er. Da begab er sich in bedenkliche Nähe zum beleidigten "Leber-Horst", seinem Amtsvorgänger Horst Köhler, der mangelnden Respekt als Grund für seinen Rücktritt genannt hatte. Natürlich darf Wulff das Problem einer wachsenden Distanz zwischen Wählern und Gewählten benennen. Aber wie wäre es mit ein wenig Ursachenforschung?

Ob Energie-Zukunft oder Sarrazin-Debatte; ob Zukunft der Bundeswehr oder die im Streit um die Bildungs-Card sich äußernde Sorge um die Kinder aus bildungsfernen Schichten - alles das ist zwar Tagespolitik, lässt sich aber sehr gut in einen größeren Bogen über unsere gesellschaftliche Zukunft fassen. Für einen Bundespräsidenten kann das eine reizvolle Herausforderung sein. Wenn er sie denn sieht. Allmählich sollte Christian Wulff mal aus der Deckung kommen, sich einmischen und für ein Bild von sich selber sorgen, das seine Wahl gerechtfertigt erscheinen lässt.

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