Hollywood ist immer für eine Überraschung gut. Der mit acht Oscars nominierte Schwulen-Western "Brokeback Mountain" wurde mit drei Oscars abgespeist. Einige Kommentatoren sehen in Hollywood eine Trendwende weg von bombastischen Materialschlachten zu politisch engagierten Autorenfilmen.
Nordwest-Zeitung
Hollywood langweilt die Kino-Fans allzu oft mit einem vorher sehbaren Happy-End, aber manchmal sitzt eben doch noch eine überraschende Wendung drin. Eine solche war sicher die Entscheidung der Filmakademie, den Oscar für den besten Film nicht an das favorisierte Schwulen-Drama Brokeback Mountain zu vergeben. Vorführen lassen wollte sich Hollywood nicht. Dass Deutschland bei der Verleihung leer ausging, ist indes kein Untergang. Gleich zwei Filme mit deutscher Beteiligung waren nominiert, das deutsche Kino ist in Übersee angekommen. Und originelle Filmemacher gibt es bei uns noch viele mehr. Weitere überraschende Wendungen in Hollywood sind also nicht ausgeschlossen.
Pforzheimer Zeitung
Die Oscar-Nacht war mithin eine selten trostlose Nabelschau für das Amerika des George Bush. Und eine erfreuliche für all jene, die - wie George Clooney - Kino als eine Kraft begreifen, welche die Gesellschaft reflektiert. Dass in mindestens einem Provinzkino im Westen der USA "Brokeback Mountain" aufgrund des erpresserischen Drucks religiöser Kreise aus dem Programm genommen wurde, erschreckt. Und es zeigt einmal mehr, dass fundamentalistische US-Amerikaner nur allzu gerne und dazu neigen, die Werte ihrer eigenen Verfassung zu verraten.
Volksstimme
Hollywood ist dabei, an seine besten Traditionen anzuknüpfen seit langem war die größte Show der Welt nicht so hochgradig politisiert wie in diesem Jahr. Ein Film über schwule Cowboys, einer über die McCarthy-Ära und schließlich einer über Rassenprobleme als Gewinner dominierten die Nominierungen. Die Gründe dafür sind nicht nur in einem neu- oder wiederentdeckten künstlerischen Verantwortungsbewusstsein der Traumfabrikanten zu sehen nach wie vor will man hier vor allem Geld verdienen. Wenn man aber glaubt, dies mit politischen Filmen zu können, lässt das auch Rückschlüsse auf veränderte Stimmungen im Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu. Die Politik der Bush-Administration weckt offensichtlich schlummernde Tugenden der Supermacht allen voran die Selbstkritik.
Kölner Stadtanzeiger
Zwei Zweifel am Oscar für "Crash" drängen sich auf: Zum einen war die Oscar-Kampagne teurer als der Film selbst. Und zweitens ist eine Sensation wie diese gut für aufgeregte Schlagzeilen, die ansonsten angesichts eines nahezu komplett vorhersehbaren Abends vermutlich klein bis abfällig ausgefallen wären. Allerdings war die Entscheidung zugunsten von "Crash" weitaus mehr als ein Marketing-Trick. Das episodische Rassendrama hat mehr mit den akuten Alltagsproblemen zu tun als "Brokeback Mountain", der stille Western über die Liebe zweier Cowboys. Nüchtern betrachtet hat der relevantere und vermut- lich sogar der bessere zweier exquisiter Filme gewonnen. In 20 Jahren jedenfalls dürfte der Sensationsgehalt dieser Oscar-Nacht schwer nachvollziehbar sein. Dafür hat ein zu guter Film gewonnen.
Lausitzer Rundschau
Was ist los in Hollywood? Dass der haushohe Favorit Brokeback Mountain mit drei Neben-Oscars abgespeist wird, ist unerwartet, aber nicht extrem verwunderlich. Der Schwulen-Western war den meisten Juroren dann doch zu heikel. Die Entscheidung aber, stattdessen L.A. Crash zum Film des Jahres zu küren, verblüfft durchaus. Eine kleine Produktion, die nur mit mäßigem Erfolg in den Kinos gelaufen ist - alles andere als ein Kassenschlager! Von den mit großem Aufwand produzierten Streifen wie King Kong oder Geisha wäre offensichtlich keiner als echte Alternative zu Brokeback Mountain zu vermitteln gewesen. Und da ohnehin in diesem Oscar-Jahrgang politisch ambitionierte Filme dominierten, blieb die gesellschaftskritische Studie L.A. Crash als politisch korrekter Überraschungskompromiss.
El Periódico (Spanien)
Der erwartete Linksruck in Hollywood blieb aus. Der Oscar für den besten Film ging mit "L.A. Crash" an den Streifen, der von allen Bewerbern am wenigsten unbequem war. Dass der als Favorit gehandelte Western "Brokeback Mountain" nur den Preis für die beste Regie erhielt, war ein Kompromiss, den die Verantwortlichen politisch für die korrekteste Lösung hielten.
Einige Juroren wollte von schwulen Cowboys nichts wissen, die anderen dagegen lobten das Werk. Unter dem Strich erwies Hollywood sich ein weiteres Mal als konservativ und orientierte sich am traditionellen Geschmack des Durchschnittsamerikaners.
Berner Zeitung (Schweiz)
Der wirkliche Verlierer ist der Oscar selbst. Was einst als Höhepunkt des Filmkalenders galt und für hohe Einschaltquoten am TV sorgte, wird immer mehr zur Klagestunde einer untergehenden Industrie. DVDs und das Internet vermiesen der Kinobranche das Geschäft. Vermeintliche Blockbuster werden zu Flops, junge Leute ziehen Heimkino und Websites den kuscheligen Samtsesseln vor. Eigentlich hätte sich Hollywood über die hervorragenden Autorenfilme, welche die diesjährige Oscarverleihung prägten, freuen können. Doch diese bringen zu wenig Geld ein und entfachen zu viele politische Diskussionen: Oscar steckt im Dilemma. Und mit ihm ganz Hollywood.